Hoffnung ist nicht nur ein Gefühl, sondern auch ein Prinzip. Wenn beides zusammenkommt, dann liest du den Klimablog. Und hier gibt es nicht nur Inspiration, sondern auch regelmäßig Porträts von Menschen, welche die Welt besser machen. Ein absoluter Goldschatz unter diesen stelle ich dir heute vor. Dazu fliegen wir an die Westküste der USA in die San Francisco Bay Area, genauer nach Oakland. Wenn du nur per Google mitkommst: Wir landen am Flughafen – wahlweise in San Francisco oder Oakland, nehmen für wenige Stopps die örtliche S-Bahn namens BART (Bay Area Rapid Transit) und steigen an der Station MacArthur aus. Von dort gehen wir noch zehn Minuten zu Fuß und schon sind wir in Emeryville.
Emeryville
Als Europäer sieht man Emeryville als Vorort von San Francisco, denn es befindet sich genau am anderen Ende der Bay Bridge. Dort ist die Gemeinde aber vollständig von Stadt umgeben und erscheint daher wie ein Stadtteil vom ungleich viel größeren Oakland. Doch der Ort ist tatsächlich politisch unabhängig und hat, trotz seiner urbanen Lage in einer Megastadt, nur gerade etwas mehr als 12’000 Einwohner. Emeryville liegt direkt an der Bay. Ursprünglich bauten hier Spanier und Mexikaner eine Werft. Anfangs des 20. Jahrhundert war man vor allem für Bordelle, Pferdewetten und Spelunken bekannt. Während der großen Depression war der Ort das Rotlichtviertel der weiteren Gegend.
Später wurde die Stadt durch das Key-System erschlossen, als die Bay Bridge nach San Francisco gebaut wurde. Dieses Straßenbahnsystem verband die landseitigen Vororte in wenigen Minuten über eine der beiden Etage der Brücke mit dem Zentrum von San Francisco auf der vorgelagerte Halbinsel. Vorher dauerte die Fahrt mit der Fähre mehr als eine halbe Stunde. In den Siebzigern, dem Space Age, wurde die Straßenbahn durch das damals hypermoderne und erstmals computergesteuerte BART-System in einem Tunnel unter der Bay hindurch ersetzt. Trotz seiner Nähe zu einer der reichsten Städte der USA war Emeryville aber schon immer eher Güterbahnhof, Hinterhof und Einwanderergebiet. Weiße sind in der Minderheit, mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat vor allem hispanischen und auch asiatischen Migrationshintergrund. Das macht die Gemeinde sehr divers. Die letzten Jahrzehnte hat sie sich jedoch von einem Industrie- und Vergnügungszentrum zu einem Standort für Biotechnologie, Pharma und Software entwickelt. Bayer und Adobe sind prominente Beispiele mit Präsenz hier. Die Folgen davon sind Aufschwung, aber auch Verdrängung und Gentrifizierung, gerade wegen seiner tollen Lage. 2012 zog ein junger Mann namens John Bauters nach Emeryville. Seit 2016 ist er im Stadtrat aktiv und seit 2018 ist er der Bürgermeister hier.
John Bauters
John ist einer dieser Menschen, in den man sich einfach verlieben muss. Bescheiden, intelligent und herzensgut. Der Job des Bürgermeisters in der kleinen Stadt ist allerdings nur ein Teilzeitjob und wie in den USA üblich schlecht bezahlt. Wer das also macht, tut es aus Überzeugung. Oft sind das Rentner oder Menschen, die es sich leisten können. Das begünstigt wenig demokratische Kandidaten, die eher am Einfluss des Amtes interessiert sind und sich auch in Lebensabschnitten befinden, wo Veränderung eher Bedrohung als Chance empfunden wird. John ist das wirklich absolute Gegenteil davon. Aufgewachsen im mittleren Westen der USA in einer streng katholischen Großfamilie hatte er als homosexueller Jugendlicher eine schwere Zeit und verließ seine Familie früh. Er war damit selbst auf sozialen Wohnraum angewiesen, welchen er heute politisch stark unterstützt.
Er begann daher schon sehr jung, sich für obdachlose Menschen einzusetzen. Nach einer prägenden Zivildiensterfahrung in Tansania, wo er für das Rote Kreuz Katastrophenhilfe organisierte, studierte er später internationale Beziehungen, Regierungspolitik und auch Psychologie. Sieben Jahre arbeitete er als Anwaltsgehilfe für Prozesskostenhilfe, also vor allem für armen Menschen. Insgesamt 15 Jahre setzt er sich so bei einer entsprechenden Organisation für Benachteiligte, wenig Begüterte und Obdachlose ein. Weil er sich besonders für bezahlbaren Wohnraum interessiert, nahm er an einer Bürgerversammlung zum Thema teil, wo er angesprochen wurde, ob er sich nicht politisch engagieren wolle. Das war sein Sprungbrett in den Stadtrat von Emeryville. Nach erstaunlich kurzer Zeit wurde er zu dessen Bürgermeister gewählt, der er bis heute ist. Zufall ist das wohl nicht, denn steigenden Mieten und der Zuzug solventer Firmen üben starken Druck auf die Bewohner der Stadt aus. Ein weltweites Phänomen und Problem.
Die Mission
Doch John ist nicht nur ein famos guter Kerl, den man sofort heiraten wollte, wenn er nicht mit seinem langjährigen Partner Aaron und seinem adoptierten Schäferhund King zusammen leben würde – nein, er hat auch eine klare Mission. Und für diese hat er es zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Abgesehen von seinem Einsatz für bezahlbaren Wohnraum sind vor allem das Klima und die Verkehrswende sein Steckenpferd. Als Fahrradenthusiast verpasst er keine Gelegenheit, Journalisten in Lastenräder sitzend selber durch seine Stadt zu kutschieren – für Amerikaner eine sehr komische Angelegenheit. Er ist meist in Sporthose und Freizeitshirt, mitunter mit Baseballcap anzutreffen und grüßt jeden, der ihm entgegenkommt. John ist ein sehr nahbarer und zugänglicher Bürgermeister wie Zukunftsadvokat. Auf Twitter avancierte er mittlerweile zu einem kleinen Star und erhält aus den ganzen USA Anfragen, ob er denn nicht auch Bürgermeister für andere Gemeinden sein könne. Er ist quasi die wandelnde Blaupause für junge, grüne, progressive und diverse Klimapolitik.
Wir wollen hier nicht sexistisch sein, aber man kann den sportlichen Mann schon ziemlich attraktiv finden. Er selbst witzelt, dass er ständig für Mitte zwanzig gehalten werde, aber sei bereits 45 Jahre alt. Das liege seiner Meinung nach daran, dass er ständig Fahrrad fahre. Er hat das Rad zum bevorzugten Verkehrsmittel erklärt. Fährt man über die Stadtgrenze, landet man schnell auf dem Greenway, einem Radweg, der ganz Emeryville durchquert. Nach dem holländischen Vorbild umgebaut, gibt es erhöhte Straßenübergänge für Autos und Vorrangampeln. Wenn man auf eine Kreuzung zufährt, erkennen einen Kameras bereits weit davor und schalten entsprechend für Radfahrer auf Grün. Also nix mit deutscher Bettelampel mit Tasten. Eine neue Radbrücke überquert die Gleise, welche die Ortschaft teilt und schafft so viel kürzere Wege ins Zentrum. Dort motiviert er Wirte mit gratis Bewilligungen für Parklets zur Außengastronomie.
Wer ihn im Internet wegen dieser progressiven Politik anfeindet, bekommt schlagfertig die Antwort, dass er für jeden negativen Kommentar einen Parkplatz aufheben werde. Das wertvollste, was John besitzt, ist sein Fahrrad. Denn nicht nur die Gesundheit profitiere, man gerate auch nicht in die finanzielle Abhängigkeit vom Auto. Das passiert nämlich allen Amerikaner, sobald sie 16 werden. Auto kaufen, Benzin kaufen, Schulden machen und dafür länger arbeiten, im Stau stehen und Gesellschaftskrankheiten in Kauf nehmen etc. Wer sich hingegen mit dem Rad bewege, der erlebe mehr persönliche Unabhängigkeit. US-Amerikaner geben nämlich im Schnitt unglaubliche 17 % ihres Einkommens für Transport aus, also für Autos und Benzin. Der Nachteil der Geschichte ist, dass die Transformation der Stadt in ein grünes Vorbild sie gerade sehr begehrt macht. Doch er nutzt diesen Umstand geschickt. Eine Firma baut zum Beispiel ein großes Bürogebäude und er hat sie dazu überredet, anstatt Parkplätze zu bauen, im Gebäude extra eine Aussparung vorzusehen, damit der Radschnellweg auf direktem Weg mitten hindurchführen könne. Gebiete, die neu entwickelt werden, erhalten moderne Zonenplanungen, welche vor allem Mehrfamilienhäuser bevorzugt. Das ist den USA völlig unüblich und ein riesiges Problem. Denn zwischen Bürotürmen im Stadtzentrum und strikten Einfamilienhäusergebieten gibt es oft nichts, weil das Gesetz keine andere Bebauung erlaubt. Das produziert Verkehr, Armut und bankrotte Gemeinden am Laufband. Bauters verknüpft Wohnbaupolitik mit der Verkehrswende derart, dass die sich nicht gegenseitig kannibalisieren.
Auch wenn demokratisch regierte Metropolen in den USA mittlerweile alle auch in Radinfrastruktur investieren, ist John das Vorbild schlechthin, weil es ihm gelingt, ganz unaufgeregt und menschlich, aber doch argumentativ bestechend überzeugend die Vorteile davon zu erklären. Zu einer Sitzung über die Luftreinhalteverordnung der Region radelte er medienwirksam 41 Kilometer mit dem Rad rund um die Bucht. Er verkauft das Rad als Transportmittel, nicht als Sportgerät. In Deutschland hört man von den Konservativen oft das Wort “Umerziehung”. Doch Emeryville zeigt, dass eine koordinierte Politik Angebote schafft, die anregen und einladen, nicht bevormunden. Gute und sichere Infrastruktur sind der Schlüssel dazu. John verführt seine Bürger geradezu zum Wandel.
Fazit
Ein charismatischer Bürgermeister kann viel bewegen. Wir alle können wählen und uns aussuchen, wen wir unsere Zukunft gestalten lassen wollen. Nicht alle haben das Glück, einen so tollen Stadtvorsteher zu haben. Doch Menschen wie John Bauters machen Hoffnung. Er hat sich seine Position hart erarbeitet. Jugendliche in Erster Hilfe unterrichten, unermüdlich Medienschaffende über seine Mission aufklären, den Nahverkehr ausbauen, sich für benachteiligte Kinder und Gemeinden einsetzen – damit auch weniger privilegierte Städte genauso in eine bessere Zukunft starten können. Dabei hat er trotzdem die Wirtschaft mit im Boot, die selber vor allem davon profitiert, dass die Stadt attraktiver Lebensort für gesuchte Fachkräfte wird. Im kleinen Großes bewirken könnte es gut zusammenfassen.
Er selber sagt, dass seine eigene schwierige Geschichte ihm einen anderen Blick auf die Dinge ermöglicht, denn er hätte von Anfang sein Leben anders angehen müssen als der Durchschnitt. Als erklärter Kimaadvokat wirkt er über seine kleine Stadt hinaus landesweit, ja sogar weltweit. Geschickt setzt er dazu soziale Medien ein. Verdichtetes, aber grüneres Wohnen, nicht nur über Verkehrswende reden, sondern sie sichtbar umsetzen und dabei alle mitnehmen, vom Akademiker bis zum Einwanderer – ein wahres Kunststück. Auch wenn er sein Privatleben strikt abtrennt, ist er ein Politiker zum Anfassen. Er postet ständig Bilder von sich beim Sport, von Meetings und ist täglich auf der Straße anzutreffen. John spricht mit den Menschen und steht sichtbar für das Gute. Genau diese Natürlichkeit und seine feine, schlaue und zurückhaltende Art machen ihn unglaublich erfolgreich. Kürzlich traf er sich mit einer Kollegin aus dem Verkehrsministerium des Countys. Er setzte die 70-jährige Dame auf ein Fahrrad und nach kurzer Zeit war diese hellauf begeistert. Sie sei seit 25 Jahren nicht mehr Rad gefahren, weil es ihr zu gefährlich sei. In Emeryville hätte ihr das endlich wieder Spaß gemacht. Menschen wie John Bauters machen ihre eigene und die große Welt wirklich besser.