Die Hitze in Indien

Eine enorme und tödliche Hitzewelle sucht im Moment Indien und Pakistan heim. Damit sind fast 10 % der Weltbevölkerung von Temperaturen bis zu 50 Grad betroffen. Ist das Klimawandel?

Die Hitze kommt zu früh. Und es ist eine Hitze wie seit 130 Jahren nicht mehr. Laut dem ZDFheute-Wetter hängt eine solche Hitzewelle unmittelbar mit dem Klimawandel zusammen, denn statistisch könnte sie nun alle 4 Jahre auftreten und nicht mehr wie früher nur etwa alle 50 Jahre. Und genau deswegen wird der Wandel bereits jetzt spürbar zu einer Katastrophe. Je nach Quelle sind offiziell bisher etwa 25 Todesopfer direkt mit der Hitzewelle verlinkt, aber wenn rund 10 % der Weltbevölkerung dieser extremen Situation ausgesetzt ist, dürften die Zahlen immens viel höher sein. Daraus abzuleiten, dass Klimawandel bereits jetzt tötet, ist deshalb opportun. Das ist wichtig, um das Problem fassen zu können. Bis zu 52 Grad in Pakistan im Mai ist weit außerhalb jeglicher Normwerte und bisheriger Erfahrungen. Das ist nur die im Schatten gemessene Temperatur – der Boden hat sich teilweise auf bis zu 60 Grad erhitzt. Eine Belastung nicht nur für den Mensch, sondern auch für Pflanzen und Tiere und damit wieder sekundär zusätzlich für die Bevölkerung dort.

Bild: World Meterological Organisation

Müllberge brennen gerade in Indien und die Bilder davon werden symbolhaft von den Medien für die Hitzewelle genutzt. Weil sich der Müll erwärmt und toxische Gase entstehen, welche sich teils selber entzünden und die Menschen, welche direkt daneben oder gar auf dem Müll leben, vergiften. Diese Gase selber, z.B. Methan und CO2, treiben den Klimawandel wiederum zusätzlich an. Wer glaubt, das gäbe es nur in Indien: Auch bei uns gibt es hunderte, wenn nicht tausende und riesige Mülldeponien, wo gewöhnlicher Haushaltsmüll, teils hochgiftig, jahrzehntelang abgekippt und einfach zugeschüttet wurde. Auch in diesen werden durch Abbauprozesse Gase gebildet. Oft werden diese Deponiegase so gut es geht gefasst und tatsächlich an der Oberfläche verbrannt. Solche Deponien produzieren also auch in Deutschland klimawirksame Gase. Hinter dem Grunewald vor Potsdam liegt ein ganzer Berg aus Müll, der Hirschberg. Nur um ein Beispiel direkt vor den Toren der Hauptstadt Berlin zu zitieren. Wir sind mehr Indien als wir denken. Zugeschüttet gilt aber bei uns als saniert. Folgendes Bild ist also ein sanierter und damit endgültiger Zustand:

Gasfackel Deponie Wannsee 2017, Webseite Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, Bild: BSR Berlin

Die Bilder von brennenden indischen Deponien stehen aber besonders für Ursache und Folge. Und eben auch für das Phänomen der Kipppunkte. Denn je mehr die Klimakatastrophe wirkt, desto mehr werden weitere Effekte angefacht, die den Trend verschlimmern. Spätestens dann wird aus einer linearen Kurve eine exponentielle und der Menschheit bleibt immer weniger Zeit zu handeln. Es kommt eine Kaskade von solchen Effekten in Bewegung. Gletscher schmelzen in Indien und weltweit schneller, der Wasserhaushalt verändert sich, Böden trocknen unumkehrbar vollständig aus. Das hat wiederum Einfluss auf die Nahrungsversorgung, es werden Ernteausfälle von bis zu 60 % in der Kornkammer Indiens erwartet – zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt während der Ukrainekrise, wo Getreide weltweit knapp wird. Das hat wiederum weitere Auswirkungen auf andere Weltregionen.

Die gesamtheitliche Resilienz in zukünftigen Wellen leidet. Vielerorts verdunsten in Indien gerade zum Beispiel Löschreserven für Feuersbrünste. Natürlich klingen solche Berichte immer dramatisch – aber die Tatsache der Auswirkungen der menschengemachten Klimaerwärmung ist an sich schlicht und einfach dramatisch. Gegen eine solche Hitze kann man sich kaum schützen – selbst wenn man sich hohe Temperaturen gewohnt ist. Und eine Regenerationsfähigkeit des gesamten Ökosystems, inklusive Menschen, wird geschwächt. Besonders akut ist die Stromversorgung bedroht. Ganz einfach, weil der Bedarf enorm steigt, z.B. für Kühlgeräte und Ventilatoren. Dann werden auch die Kohlereserven der Kraftwerke schneller aufgebraucht (ein weiterer Puzzlestein für das Anfachen von Kipppunkten) und es kommt zu Versorgungslücken. Da wo die Wasserversorgung noch funktioniert, kommt das Wasser teils brennend heiß aus den Leitungen.

Die Katastrophen in der Katastrophe

Man braucht kein Genie zu sein, um zu verstehen, dass wenn solche Ereignisse gehäuft auftreten und weder Zeit, Regeneration noch Ressourcen reichen, um die Schäden halbwegs zu kompensieren, sich Menschen überlegen werden, dieser Hölle dauerhaft entkommen zu wollen. Klimamigration bzw. Klimaflucht wird in diesem Jahrhundert für einen erheblichen Teil der Weltbevölkerung zu einer Realität werden. Eine, auf die weder die Betroffenen selber noch der Rest der Welt vorbereitet sind. Durch die Verantwortung der Technologieführer, des aggregierten Kapitals und der sich daraus ableitenden Vorbildfunktion ist unsere Rolle im Westen, in Europa und Deutschland in dieser Entwicklung eine besonders entscheidende. Und mit der anhaltenden Dürre in Kalifornien, Brandenburg und vielen anderen auch westlichen Regionen, verursacht durch klimainduzierte Wetterphänomene und steigenden Durchschnittstemperaturen, trifft es uns genauso wie jetzt gerade Asien.

Wissen und Bewusstsein führen zu Verantwortung

Medial findet diese Katastrophe und insgesamt die Klimakatastrophe oft wenig kommentiert oder eingeordnet statt. Zudem erhält der Klimawandel zu wenig Aufmerksamkeit bzw. Sendezeit im Vergleich zu anderen Themen. Je mehr Informationsangebot auf eine in Sachen Medienkompetenz eher ungeübte und ungebildete Gesellschaft trifft, je besser kann Ignoranz um sich greifen. Denn was ich nicht weiß, macht mich im wahrsten Sinne des Wortes nicht heiß. Sollte es aber, aus purem Eigennutz und Eigenschutz. Gerade beschäftigen uns viele Krisen. Das macht die Hitzekrise in Indien und Pakistan aber nicht weniger schlimm und bedeutend für uns. Genau deshalb gibt es unter anderem den Klimablog oder gemeinnützige Vereine wie “Klima vor Acht e.V.”, die sich für eine adäquate Gewichtung von Klimathemen in den Nachrichten, vor allem der öffentlich rechtlichen Anstalten, einsetzen. Dazu bald mehr.

Kommentar und Fazit

Diese Hitzewelle in Indien ist außergewöhnlich, wird aber bald viel öfter auftreten, mit fatalen Kaskadeneffekten, die Kipppunkte viel schneller Realität werden lassen, als wir bisher geglaubt haben, laut IPCC. Das sehen demnach Klimaforscher weltweit so. Medien berichten unausgewogen oder zu wenig. Die richtige Einordnung und Gewichtung der Klimakatastrophe sowie unserer Rolle und eigenen Betroffenheit im Kontext zu solchen weltweiten Extremereignissen ist entscheidend. Denn wenn nicht klar ist, dass wir unvorbereitet auf Auswirkungen sind, dass wir Ursachen ignorieren, dass das alles auf einem globalen Level zusammenhängt und dass sich das alles extrem beschleunigt – dann ist es schwer, die notwendigen demokratischen Prozesse in der verbleibenden Zeit zu leisten, um das Klima wenigstens noch teilweise zu retten und die Katastrophe zu verlangsamen. Nur eine Tatsache kurz erwähnend zu berichten und sich dann der gewohnten Aufmerksamkeitsökonomie wieder zuwenden, kann sogar Schaden anrichten. Die wenigsten haben die brennenden Müllberge und ihren Kontext nur durch Kurzmeldungen verstanden. Mit “in Indien ist es heiß” können viele Bürger relativ wenig anfangen und die Relevanz dieser Hitzewelle erreicht und berührt ihre Lebenswelt kaum. “Ist halt ein tropisches Land” werden sich viele denken. Für andere Katastrophen bemüht man aber hordenweise pensionierte Generäle, zitiert jeden noch so unwichtigen Pseudoexperten in Talkshows. Eine wöchentliche Klimatalkshow gibt es hingegen bisher nicht, obwohl es die größte und nun unmittelbare Bedrohung der Menschheit seit jeher ist.

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Warnhinweis:

Hitzewellen sind auch eine Folge der Klimakrise. Um eine unaufhaltsame Erhitzung der Erde abzuwenden, müssen wir schnellstmöglich von Kohle, Öl & Gas auf Erneuerbare umsteigen.

Warum ein Warhnhinweis? Redaktionelle Verantwortung ist wichtig. Die Klimakatastrophe sollte immer bei ihrem Namen genannt und der Zusammenhang mit ihr klar aufgezeigt werden. Die Inspiration zu dieser Praxis geht auf die Klimaaktivistin Luisa Neubauer zurück, die dies in einem Tweet gefordert hatte.

Politiker schwören, die Bevölkerung vor Schaden zu bewahren, das Bundesverfassungsgericht gesteht zukünftigen Generationen ihr Recht auf Unversehrtheit zu – und damit wird es Zeit, dass die Bevölkerung zur Schadensabwendung auch erforderlich informiert wird. Das geschieht gerade noch nicht ausreichend. Die aktuelle Hitzewelle in Indien steht beispielhaft für diese Unzulänglichkeit.

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