Unfall, Drama, Hybris – Klimaaktivisten und die Medien

Ein schrecklicher Unfall beschäftigt die Nation. Doch alle Beteiligten stehen sich gegenseitig in der Rettungsgasse im Weg, anstatt konstruktiv die Elefanten im Raum zu besprechen. Eine Einordnung.

Desinformation, soziale Medienkrise und Klimakatastrophe – ein Unfall an sich. Photo: drobotdean on Freepik


Es ist absolut schrecklich. Eine Frau, Mutter, Partnerin – ein Mensch ist tot. Überfahren von einem tonnenschweren Betonmischer. In sozialen Medien wogen die Spekulationen hoch, Politiker versteigen sich in Vorverurteilungen, Medien nutzen die Aufmerksamkeit geschickt und ziehen sich trotzdem aus der Affäre. Die Aktivisten kommen unter Druck, der Hammer simplifizierter und populistischer Prämissen schlägt ungebremst auf sie ein. Wer benutzt hier wen und wofür? Ein mediales Lehrstück zum zunehmend vergifteten medialen Klimadiskurs. Wir schauen hin:

Was ist passiert?

Für die Betroffenen wird es nie mehr so sein, wie vorher. Darum vorweg: Der Klimablog spricht ihnen sein tiefst empfundenes Beileid aus. Ein so tief treffendes und lebensveränderndes Trauma ist für die Angehörigen einfach nur eine Katastrophe. Auch der Unfall an sich ist eine Katastrophe, geschieht er doch so und so ähnlich ständig auf Berliner Straßen. Doch diesmal ist etwas anders als sonst. Klimaaktivisten demonstrierten zum Unfallzeitpunkt ca. 5 km weiter. An der Unfallstelle treffen rasch Notärztin und Feuerwehr ein. Die Ärztin entscheidet wegen gesundheitlicher Verschlechterung im Verzug, dass der Betonmischer bewegt werden soll, um das eingeklemmte Opfer so rasch wie möglich bergen zu können. Trotzdem wird ein spezielles Rüstfahrzeug von der Feuerwehr angefordert, welches Material an Bord hat, mit welchem der Betonmischer angehoben werden könnte, ohne selbstständig sich bewegen zu müssen. Im Zweifelsfall wird auch ein Plan B verfolgt. Durch den Stau auf der Stadtautobahn – ausgelöst durch die Klimaaktivisten – kommt das Rüstfahrzeug verzögert an der Einsatzstelle an.

Blaulichtorganisationen

Das meldet die Feuerwehr selber kurz nach dem Unfall. Sie macht quasi die Klimaaktivsten verantwortlich für den Tod der Frau. Auch die Polizei schlägt in die Kerbe und kommuniziert ähnlich. Und zwar unmittelbar, bevor Untersuchungen abgeschlossen und Kausalzusammenhänge bewiesen sind. Sie verurteilen die Klimaaktivisten direkt auf sozialen Medien und machen sie für eine angebliche verspätete Hilfe verantwortlich. Im Zweifel nicht für den Angeklagten und die Unschuldsvermutung galt gar nie? Auffällig ist hier, dass sich gerade das Umfeld der Polizei wie diese auch selber zuvor bei anderen Klimaaktionen verurteilend gegen die Aktivisten positionierten. Hier muss wirklich und deutlich die Frage auftauchen, ob wir von Blaulichtorganisationen nicht einfach ihre Arbeit und vor allem eine schützende Neutralität erwarten können? Natürlich ist der Stress, der zusätzliche Aufwand wegen der Klimaproteste für die Polizisten im Einsatz unangenehm. Aber eine so krass einseitige Position steht diesen Organisationen trotz der Widrigkeiten im eigenen Betrieb irgendwie nicht gut. Autozentriertes Denken scheint die Wahrnehmung zu verzerren. Es gab öfter Videos in jüngster Vergangenheit, die zeigten, wie die Aktivisten nicht vor körperlicher Gewalt von Autofahrern geschützt wurden, trotz direkt anwesender Polizisten. Diese Art der Passivität ist ein sehr aktives Statement und trotz aller Meinungsverschiedenheiten nicht ok. Damit nehmen wir niemanden in Schutz, sondern stellen Tatsachen fest. Und so sollten es die Blaulichtorganisationen auch halten. Wenn diese sich allerdings während laufendem Geschehen schon verurteilend auf sozialen Medien äußern, dann verfügen sie über wenig Medienkompetenz und untergraben ihre eigene Position. Eine durchaus besorgniserregende Tendenz. Keine Empörung oder unangenehme Arbeitssituation sollte so missbraucht werden. Fragen stellen, einordnen und zu Wort kommen lassen ist eigentlich nicht ihr Job, sondern der von den Medien. Doch auch hier gebar sich Seltsames:

Onlinemedien

Sofort nach den Twittermeldungen der Feuerwehr bricht ein Sturm an Entrüstung aus. Auf Twitter fallen alle Grenzen und private Medienhäuser springen auf. Sie treten und knüppeln, ohne Scham und Respekt. Jede journalistische Sorgfalt scheint vergessen. Vieles ist fies und subtil im Subtext formuliert, die Schlagzeilen sind aber eindeutig. Weil gedruckte Blätter und täglich Nachrichtenformate wie gewohnt melden und einordnen, bekommen diese Mediennutzer relativ wenig vom flexibilisierten, ultraschnellen und reaktionären Journalismus in Onlinemedien mit. Denn dort werden Meinungen heutzutage gemacht, oder viel besser: verhandelt. Da dieser Beitrag diesen einzelnen Fall beleuchtet, ist das sicher keine Beobachtung mit empirischer Qualität einer Langzeitstudie, aber das Geschehene dürfte durchaus systematisch etabliert und die Zukunft mitbestimmend sein. Auch unangenehm ist, dass etablierte Medienhäuser und Marken ihre Strahlkraft nutzen, analog reserviert oder neutral bleiben, online aber den dortigen unregulierten Marktmechanismen gehorchen.

Konkretes Beispiel: Der Tagesspiegel. Er gilt als Hauptstadtzeitung, hat aber – und nicht nur nach eigener Aussage – nationale Strahlkraft. Zudem wird er in der Medienforschung als eigentlich das neutralste Medium dieser Größe in Deutschland eingestuft. Also demokratisch gesehen sehr integer. Sein Journalismus ist im wahrsten Sinne des Wortes ausgezeichnet und durchaus innovativ. Kürzlich gab es auch optisch einen Relaunch. Als Beobachter kann man aber den Eindruck gewinnen, dass die Grenzen der eigenen Werte in diesem konkreten Fall arg belastet und ausgereizt werden. Vielleicht zu arg. Denn der Onlinediskurs ist rasend schnell. Empörung verkauft sich super. Schlagzeilen sind wichtiger als in jeder anderen Medienform, denn sie sind genug kurz, um in sozialen Medien geteilt zu werden und dort die Aufmerksamkeit zu erregen, welche wiederum für Traffic sorgt. Auch Klick-Ökonomie genannt. Die Währung sind Klicks und noch viel zu wenig Abos, welche mehr über Marke, Vertrauen, Kontinuität funktionieren. In der gedruckten Version ist ein Kommentar nicht die Titelseite. Online steht aber oben, was trendet und catchy als Fliegenfänger funktioniert. Minutenaktuell können Artikel nach oben versetzt und auch wieder schnell nach unten verschoben werden. Es passiert, was gerade die Lage hergibt, angepasst an den Tagesrhythmus von Twitter und Co. Schnell wurde der Boulevardtitel “Betonmischerunfall” übernommen. Sofort war ein Kommentar von Frank Bachner der Leitartikel in der Onlineausgabe. Dieser verurteilte die Proteste der Klimaaktivisten in besagtem Kommentar (und eben nicht nur berichtenden Artikel) als lebensgefährlich und wertete die Proteste ab. Das taten auch andere Medien dem Tagesspiegel gleich. Minuten später gab es eingefangene Stimmen der Politik, unter anderem von Berlins Innensenatorin, dazu später mehr. So kann man zwar behaupten, man hätte ausgewogen berichtet, was aber prominent im Portal zu sehen war, war vor allem der verurteilende Kommentar. Und Vorverurteilungen sind mit gutem Journalismus schwer vereinbar.

Erst die darauffolgenden Tage folgten dann Gegenstimmen in Form von Kommentaren, in diesem Fall beim Tagesspiegel von Hatice Akyün seltsamerweise hinter der Paywall, sie kritisierte dort die Instrumentalisierung des Unfalls. Kritik an Medien und so quasi auch an sich selber können also nur zahlende Stammkunden sehen. Auch im Newslettersystem desselben Mediums, welches anachronistisch per E-Mail funktioniert und quasi der Lokalteil auf Ebene der Stadtteile ist, werden die Aktivisten dann in Schutz genommen. Damit strahlt man nicht national, wie im Leitartikel auf der Onlinepräsenz. Einordnend, zurückhaltend, ausgeglichen, fair und mit Gegenstimmen kommentiert gibt es also nicht für alle und nicht zu jeder Zeit. Die Meldung, dass die Radfahrerin verstorben sei und die Notärztin von Anfang an die Option der Anhebung durch das im Stau stehende Rüstfahrzeug ausschloss, wurde dann wieder für alle zugänglich neutral berichtet. So entsteht der Eindruck, dass reißerische Beiträge und dem Onlinediskurs der sozialen Medien folgende Kommentare bevorzugt platziert wurden, den besseren und fairen Journalismus dann in den hinteren Reihen versteckt bzw. nachgeliefert wurde. Am Ende kann man sich auf Ausgewogenheit berufen, aber zur jeweils aktuellen Stunde präsentierte sich die Onlineausgabe eher weniger ausgewogen und verurteilend. So kann man schon Parallelen erkennen, zu dem, was auf Twitter passierte.

Twitter

Auf Twitter dominierten die ersten 48 Stunden nach dem Unfall einseitig populistische Hetze von Rechtsbubbles, Marktschreiern in eigener Sache, Wutbürgern und – man muss es so sagen – Menschen mit wenig Anstand. Das liegt sicher auch daran, dass reflektierte Teilnehmer eher und korrekt abwarteten, bevor sie kommentierten und Meinungen austauschten. Der Hass war außergewöhnlich und hässlich. Der Klimablog hielt es ebenfalls mit der Zurückhaltung und versuchte konstruktiv zu agieren.

Gleich vorweg: Jeder Unfall ist extrem tragisch. Vollstes Mitgefühl für die Opfer. Aber wäre bessere #Radinfrastruktur nicht die Lösung für alle? Für die Rettung, die #Radfahrer und für das #Klima?

Der Klimablog auf Twitter

Das war der erste Tweet zum Thema. Danach teilte der Klimablog vor allem Wortbeiträge, die dem Diskurs Kontext hinzufügen sollte. So meldeten sich am zweiten Tag Angehörige von Polizei, Feuerwehr zum Beispiel zu Wort, welche die Hetzjagd kritisch einordneten und auch die Rolle der eigenen Organisationen hinterfragten. Deutschlandfunk meldete in dieser Zeit, dass der Kausalzusammenhang noch nicht bewiesen sei und Untersuchungen dazu liefen. Was aber Politiker nicht von vernichtenden Aussagen abhielt.

Politiker

Dass CDU, die unsäglichen blauen Ultrarechten und die FDP natürlich die Online-Empörung für sich ausschlachten würden, ist wohl deren menschlichen Wertvorstellungen geschuldet. Sie taten es ohne Rücksicht. Auch die Springerpresse und deren zudem privat kommentierenden Mitarbeiter überschütteten das Netz mit Urteilen, Drohungen und den in jüngster Zeit sehr beliebt gewordenen Forderungen. Wer fordert, der liefert nicht, der gefällt nur populistisch seinen Wählern. Fordern ist keine Leistung, besonders nicht, wenn sie den Diskurs vor lauter Egoismus beschädigt oder gar künftig Klimaprotest und seine Teilnehmer in Gefahr bringen könnte. Merz hetzt von Sozialtourismus und kurz darauf brennen wieder Flüchltingsunterkünfte. Beides Tatsachen, wer jetzt Verbindungen sieht, der urteilt selber. Und genau diese Subtexte, diese indizierenden und Rezipienten zur Hassrede aufstachelnden Aussagen, die gerade noch legal sind, aber moralisch ganz schön neben der Spur, kippten die Onlinediskussion mit in eine Negativspirale. Gemeinhin werfen und würfeln aufgebrachte Wuttwitterer alles, was mit Klima zu tun hat, immer zu einem “Ihr!” zusammen. Der Klimablog ist ein unabhängiges Medium und gehört keiner Aktivistengruppe an, wurde aber trotzdem mit in den Topf geschmissen. Auch Drohungen wurden dem Klimablog selbst, aber auch anderen gegenüber ausgesprochen und persönlich wie Angehörigen der Tod gewünscht. Obwohl noch kein einordnendes Wort, kein Beitrag oder überhaupt eine Meinung abgegeben wurden. So indifferent fliegt die braune Suppe durch die Gegend, dass man ohne sich zu ducken zwangsweise davon abbekommt. Und das ist Absicht.

Zurück zur Politik, die Innenministerin Nancy Faeser verurteilt die Klimaaktivisten ebenfalls vor laufenden Mikrofonen – bevor die Sache untersucht und geklärt wurde. Diese Angst, sich vorauseilend distanzieren zu müssen, weil eben die – entschuldigung – erwähnte Kacke fliegt, ist duckmäuserisch und gefällig. Solche Reaktionen sind verstörend und werden gerade diesem Amt speziell nicht gerecht. Man kann Protestformen sicher kritisch betrachten, aber Kausalketten implizieren oder direkte Verurteilung aussprechen muss man sich sehr genau überlegen. Doch auch die Ampel an sich verurteilte die Proteste, obwohl sich die gerade gegen ihre Untätigkeit richtet. Praktisch gleichzeitig präsentierte nämlich der Expertenrat der Regierung, dass die Klimaziele derselben bis 2030 kaum erreichbar seien. Die also sowieso schon das Pariser Abkommen völlig verfehlenden Ziele des Koalitionsvertrages werden demzufolge ebenfalls nicht erreicht werden können. Das ist eigentlich Arbeitsverweigerung. Und da fällt zum Beispiel Verkehrsminister Wissing besonders auf, zumal er praktisch gar nichts zum Klimasofortprogramm beiträgt und ganz bekanntlich mehr als nur unzureichende Maßnahmen vorlegte. Und hier geht es ja um einen Verkehrsunfall. Sein Parteikollege Buschmann, seines Amtes Justizminister, wünscht sich derweil die Klimaaktivisten ganz offen ins Gefängnis, die CDU sowieso. Die erwähnte Innensenatorin von Berlin und auch dessen Bürgermeisterin Giffey umschifften eine direkte Verurteilung zwar geschickt, aber stellten ebenfalls in den Raum, dass es Schuld der Aktivisten geben könnte – kommunikativ dasselbe Ergebnis. Frank Balzer von der CDU forderte alle Härte und das voll ausgeschöpfte Strafmaß, als ob die Sache schon völlig klar sei. Anschein und sein sind aber nicht dasselbe.

Der komplexe Kontext

Da wird also munter gefordert und getrötet, Hauptsache man fühlt sich relevant. Ob man aber gerade ein diffiziles Amt bekleidet, Verantwortung in dieser Situation für den öffentlichen Diskurs trägt oder die Regierung repräsentiert bzw. gar aktiv mit eigenen Fehler konfrontiert wird, scheint egal. Hauptsache Klicks. Was aber in der hyperschnellen Onlinewelt dauert, ist der Kontext der realen Welt. Denn die vermeintlich einfache Prämisse: “Feuerwehr im Stau, Frau darum tot” ist natürlich nicht einfach. Zuallererst für die Angehörigen, die die Schlammschlacht bzw. Ausschlachtung des Unfalles miterleben müssen. Aber auch die Umstände sind nicht simpel. Der Fahrradverkehr nimmt proportional zur Umsetzung der Verkehrswende zu schnell zu. Das in Berlin vorbildlich verabschiedete Mobilitätsgesetz wird in Wirklichkeit extrem langsam umgesetzt und verfehlt seine Ziele meilen- bzw. kilometerweit. Der Fachkräftemangel wird vorgeschoben, denn einige Bezirke haben es sofort geschafft, Popup-Radwege freizugeben und danach auch zu verstetigen. Direkt an der Bezirksgrenze radelt man täglich direkt in das Ende der Herrlichkeit und zurück in die Steinzeit – und übergangslos in die Unfallrisiken. Bezirke mit CDU-Verkehrsverantwortlichen verweigern sich mehr oder weniger komplett. Fehlende Infrastruktur und zunehmenden Verkehrsdruck ist gefährlich. Und was ist eigentlich mit den Abbiegeassistenten?

Dann ist da der Umstand, dass die Feuerwehr, anstatt das Momentum konstruktiv zu nutzen, um auf seine strukturellen Defizite hinzuweisen, genau das Gegenteil tut und die Klimaaktivsten vorverurteilt. Man hätte zeigen können, dass man ständig im dauernd ausgerufenen Ausnahmezustand operiert, die Ausrüstung fehlt, die Mitarbeiter abspringen und ausbrennen, das Geld nicht reicht. Aber dann hätte man ja noch mit dem Vorwurf der Instrumentalisierung leben müssen. Gegen Klimaschützer agieren, ist aber keineswegs besser. Schlussendlich kommt dann die Nachricht, dass das Rüstfahrzeug eben zwar angefordert, aber dessen Einsatz schon unmittelbar zu Beginn der medizinischen Hilfe explizit nicht vorgesehen war. Auch zwischen “hätte können, wenn” und “hat tatsächlich” gibt es einen deutlichen Unterschied. Stau gibt es praktisch täglich. Gerade auf der A100 oft. Auch just zum Zeitpunkt dieser letzten und definitiv die Klimaaktivisten entlastenden Nachricht staute sich der Verkehr genau im hier für diesen Fall relevanten Abschnitt in beide Richtungen. Normaler Feierabendverkehr. Wenn in der Hauptstadt dadurch ganze Stadtteile vermeintlich von Hilfe abgeschnitten werden, muss man sich ernsthaft andere Fragen über Verkehr und die Leistungsfähigkeit von Hilfsorganisationen stellen. Auch Folgeunfälle oder gleichzeitige Notfälle verschiedener Natur können normal auftreten. Viele unangemeldete Demonstrationen, Aktionen, Kundegebungen oder Aktionen wie die riesigen Treckerkolonen der Bauern oder den Querdenkern sind in Berlin Tagesgeschäft. Waren wir da auch in Lebensgefahr durch den lahmgelegten Verkehr?

Fazit

Unfälle gibt es viele. Gerade Unfälle mit Radfahrern als Opfer erlangen aber nicht immer solche Aufmerksamkeit. Auch hat es bisher scheinbar keinen interessiert, dass Rettungskräfte sagen, dass bei der Hälfte ihrer Einsätze Autos und Stau die Einsätze behindern oder verspäten. Der Kampf um die freie Fahrt zählt immer noch mehr, denn damit lässt es sich so schön unterkomplex vom unangenehmen und im Raum immer größer werdenden Elefanten ablenken – der Klimakatastrophe. Diese wird die Lebensfreiheiten zukünftiger Generationen um dieses Maß einschränken, wie wir uns heute dem Diskurs und dem Beschließen rund um Maßnahmen verweigern. Das hat schon das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Wenn der Diskurs dann noch unausgewogen durch die auf den sozialen Wellen mit surfenden Presse verzerrt oder befeuert wird, nützt alle zahlenmäßige Ausgewogenheit nichts, wenn das Informationsbedürfnis nicht nüchtern und zum notwendigen Zeitpunkt zur Verfügung steht. Giftige Kommentare und die Paywall gehören nicht auf die Titelseite, wenn man nicht nur an sich denkt. Vielleicht sollten wir uns deswegen doch die skandinavischen Gedanken machen und (Online-)Print vielleicht auch teils gebührenfinanzieren. Wichtige Meinungsfindungsprozesse müssen schneller und akkurater bedient werden in der digitalen Zeit und nicht nur die Kasse klingeln lassen.

Die Organisation Letzte Generation hat sich wohl auch nicht zufällig des Deutschen liebstes Kind, das Auto, ausgesucht, um auf die drohenden Gefahren aufmerksam zu machen. Denn wir ahnen und wissen es alle immer mehr, dass wir handeln müssten. Wir könnten jetzt auch noch lange abschweifen, dass Deutschland als digitales Neandertal die gesellschaftliche Medienkompetenz fehlt, öffentliche Medien gerade mit sich selber beschäftigt sind (die Sendung von Böhmermann setzte dieser Woche quasi die Krone auf) und auch darauf verweisen, dass der Zerfall von Twitter praktisch gleichzeitig mit dem Unfall passierte und wir vielleicht hier die erste Welle der völlig enthemmten Querdenkerei, Zukunfts- und Realitätsverweigerung in Form von unkontrolliertem Hass erleben. Laut ZDF heute journal soll Hassrede auf Twitter nämlich im selben Zeitraum von nur wenigen Stunden bzw. Tagen um 500 Prozent explodiert sein, weil Musk die zuständigen Teams gerade feuert. Interessant ist, dass die Moderation zwar auch gehen muss, aber noch aktiv ist und die Twitterregeln immer noch gelten, sich aber jene, die durch diese in Schach gehalten werden sollen, nun völlig über alles hinwegsetzen, weil sie den Zusammenbruch erwarten und sich nur schon durch die Ankündigung von Lockerungen nun völlig zur Ausartung legitimiert sehen. Erschreckende Effekte. Das wird auch den Klimadiskurs beeinflussen und verändern.

Die eigene Unreflektiertheit von Politikern, mittelgradig empörten Zaungästen am Rande des digitalen Welt-Dorfplatzes und die auf dem absteigenden Ast begriffenen Springermedien schüren eine gefährliche Stimmung, welche die zarte Pflanze des jungen Protestes zertrampeln. Die Regierung fühlt sich kritisiert und kritisiert zurück, anstatt in sich zu gehen, zu vermitteln oder endlich zu handeln. Ob die Aufregung beim ersten ernsthaft verletzten Klimaaktivisten auch so groß sein wird, werden wir wohl leider erleben müssen. Kaputte Medien, frei drehende soziale Medien und politischer Egoismus sind schon länger ein Problem, besonders in einer digital ungebildeten Gesellschaft. Dieser Komplex macht ein Kampf für sofortige Klimamaßnahmen zunehmend schwieriger. Und das ist nicht nur für die Aktivisten schlecht, sondern für uns alle. Denn wir müssen jetzt in die klimatische Zukunft aufbrechen – und das geht nur in einem medial besonnenen Klima. Direkt im Anschluss sahen sich nun Bayerns Behörden dazu übrigens veranlasst, Klimaaktivisten in München ohne Urteil und mit einem nicht dafür erfundenen Gesetz vorsorglich – das muss man sich mal auf der Zunge vergehen lassen – ins Gefängnis zu stecken. Ob dieses Vorgehen durch die Geschehnisse in Berlin und die nationale Kontroverse beeinflusst worden sein könnte, liegt im Urteil des geneigten Lesers dieser Gazette.

Unsere Demokratie ist ernsthaft gefährdet. Viele und gerade Politiker begreifen das nicht. Durch das Klima selber, die Klimafolgen, Menschen wie Elon Musk und weiter Öl ins Feuer gießen, anstatt ehrlich die harte Realität anzuerkennen und den eigenen Wählern zu kommunizieren. Aber auch durch Ablenkung von der eigenen Verantwortung oder dem aktiven Kampf gegen den per Definition friedlichen und demokratisch wichtigen Protest der Klimaaktivisten. Zwar waren die zwei Aktivisten in Berlin, welche auf einer Schilderbrücke stehend den Verkehr darunter zum Anhalten brachten, älteren Semesters, aber auch das demografische Ungleichgewicht in der politischen Vertretung führt zu einer Ohnmacht einer ganzen jungen Generation, weil sie beim Klima nicht mitreden können. Es wird immer wieder darauf verwiesen, dass es andere Wege geben müsse. Auf die zahlreichen Fragen vieler bekannter Twittergrößen aus verschiedenen Lagern und auch vom Klimablog, welche das denn sein könnten, wusste niemand eine Antwort. Und das ist wirklich empörend.

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