Die Alpen ergrünen rasant – wegen doppelt so schneller Erwärmung

Neue satellitengestützte Forschungen zeigen, dass sich die Vegetation in den Alpen viel schneller verändert als bisher angenommen. Wie ganze Wälder nicht mehr zu retten sind und warum sich das Klima mitten in Europa weltweit am schnellsten erwärmt sowie die drastischen Folgen für Mensch und Natur - eine Reise ins Katastrophengebiet Alpen im Jahr 2022.

Nein, nicht irgendwo in der Ferne, sondern hier direkt vor unserer Haustüre liegt die Region, welche sich weltweit am schnellsten erwärmt. Die Alpen heizen doppelt so schnell auf, wie der Durchschnitt der gesamten restlichen Welt. Gletscherschmelzen, Murgänge, Vegetationsveränderungen und Wasserknappheit sind nur einige der Folgen davon. Der Klimablog-Claim “Die Zukunft ist jetzt” trifft auf die Alpen besonders zu. Hier können wir jetzt schon sehen und erleben, was anderswo auch bald und immer schneller passieren wird. Wir schauen in diesem Beitrag auf drei spannende Forschungsprojekte. Einmal mit Satelliten aus dem All auf die Erde, dann wir berühren Gletscher, reden über Murmeltiere und besuchen einen ganz besonderen Wald im sonnigen Wallis im Südwesten der Schweiz. Wanderstiefel und Proviant nicht vergessen! Los geht’s:

Grüner als grün

Eine saftige Bergwiese mit summenden Insekten, Kuhglockengebimmel und ein murmelnder Schmelzwasserbach, dazu blühende Alpenrosen – und huch, schau, da drüben! Die noch tapsigen jungen Murmeltiere spielen vor ihrem Bau fangen! Herrlich, diese Idylle! Sicher, als erholungssuchender Tourist ist diese heile Welt faszinierend. Wer aber hier wohnt, der kann direkt und spürbar zuschauen, wie rasant sich die Landschaft und Umwelt verändert. Das bestätigen auch jüngste Studien von Forschern der Universität Basel und Lausanne. Dabei wurden hochaufgelöste Satellitenbilder von 1984 bis zum Jahr 2021 ausgewertet. Die grünen Flächen in den Alpen weiten sich massiv aus. Pflanzen besiedeln vorher sehr karge Stellen und klettern dabei immer höher, wie eine andere Studie der Schweizer Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL und des Französischen Centre national de la recherche scientifique CNRS bestätigt. Das wiederum hat Auswirkungen auch auf Tiere. Zum Beispiel gerade die Murmeltiere wandern immer höher, weil es ihnen zunehmend zu heiß wird in tieferen Lagen. Obwohl die Vegetation zunimmt, dauert es in höheren Lagen, bis sich dort das Ökosystem mit Mutterboden ansiedeln kann, welches in tieferen Lagen über Jahrhunderte, ja Jahrtausende gewachsen ist. Murmeltiere bauen aber genau darin ihre Höhlensysteme, in den kargen Geröllhalden weiter oben geht das noch nicht. Die jetzige Erwärmung ist massiv schneller als die Anpassung und so schrumpft erstmal der Lebensraum für die flauschigen Tierchen. Sie werden nach dem Winterschlaf früher wach, ihr Jahresrhythmus verschiebt sich. Je nach Tiergattung passiert dies teils sehr unterschiedlich. Das bringt Speisepläne und Abhängigkeiten zwischen den Tieren durcheinander. Die Folgen sind vielfältig und wir haben bei weitem noch nicht alle verstanden. Direkter sichtbar ist die Erwärmung der Alpen am Symbol für den Klimawandel schlechthin: den Gletschern. Der Leiter des Messnetzes für Gletscherschmelze von der ETH Zürich sagte gegenüber der Zeitung “Blick”, dass er eine Situation wie im Sommer 2022 noch nie erlebt habe. Dies sei dramatisch und mache im persönlich große Sorgen. Jährlich wurden die Gletscher um 2 % abschmelzen, aber dieses Jahr werde diese Schwelle wahrscheinlich weit überschritten. Doch warum hat sich die Mitteltemperatur in der Schweiz bzw. den Alpen im letzten Jahrhundert schon über 2 Grad erwärmt und damit die Schwelle vom Pariser Klimaabkommen bereits bei weitem überschritten? Was passiert hier mitten in Europa und macht die Alpen zum weltweiten Klimahotspot im wahrsten Sinne des Wortes?

Wird den Murmeltieren zu heiß, fressen sie zu wenig und sind so nicht für den Winter gerüstet. Auf Nahrungssuche können sie nur tagsüber gehen, denn sie sehen in der Nacht nichts. Das Bild dieses neugierigen Exemplars wurde übrigens am gleichen Standort aufgenommen wie das Titelbild dieses Beitrages.

Die Ursachen

Der Grund sind komplexe Rückkopplungseffekte. Die Alpen werden jeden Winter mit einer Schneedecke überzogen. Doch wenn diese Schneedecke wegen der Erwärmung später fällt, durch weniger Schneefall weniger dick wird und im Frühling früher auftaut, kann sie auch weniger lang das Sonnenlicht wieder ins All reflektieren. Dunklere Stellen wie Fels oder die sich ausbreitende Vegetation absorbieren und speichern das Sonnenlicht in Form von Wärme. Erstaunlicherweise wird es in inneralpinen Tälern wie dem Wallis oder dem Rheintal im Sommer seit jeher sehr heiß, denn die großen Wettersysteme des Atlantiks oder Mittelmeers werden durch die umliegenden Bergmassive regelrecht abgeblockt. Darum scheint in vielen Orten hier die Sonne an mehr als 320 Tagen im Jahr und stellen regelmäßig die Temperaturrekorde der Schweiz auf. Die Einheimischen kultivieren deswegen auch Trauben oder Aprikosen in Blickweite der Viertausender. Die warmen Föhnwinde verstärken den Effekt. Dieses besondere Klima trifft nun auf die global steigenden Temperaturen. Die Gletscherflächen gehen zurück und verlieren schon früh im Jahr ihren Schutz in Form von Schnee. So gibt es immer weniger Flächen, die den ganzen Sommer über Sonnenstrahlung reflektieren. Diese und noch viele weitere zusammenhängende Effekte verstärken die Erwärmung dieser Region überproportional im globalen Vergleich. Weil die Alpen aber als eher kühle Region wahrgenommen werden, beunruhigt uns diese Entwicklung weit weniger als die dramatischen Forschungsergebnisse es sollten. Beweis ist auch, dass z.B. in Österreich bereits über 70 % und im Südtirol sogar über 90 % der Pisten beschneit sind, weil sonst normaler Skibetrieb wie noch in den Siebzigern kaum mehr möglich wäre. Und es wird nicht besser, eine Studie der drei Wetterdienste MeteoSchweiz, ZAMG und Météo France hat drei verschiedene Szenarien berechnet. Eine mit starkem Klimaschutz, eine mit moderatem und eine komplett ohne Klimaschutz. Letzteres ergab, dass sich bis Ende dieses Jahrhunderts die Alpen drastisch erwärmen werden. Im Sommer kann dies in den Hochalpen bis zu unglaublichen 5 Grad Erwärmung ergeben. Dieser extreme Temperaturanstieg wird gewaltige Veränderungen anstoßen. Dabei entstehen Gefahrenpotentiale ungekannten Ausmaßes. Schauen wir genauer hin.

Tödlicher Gletscherabbruch an der italienischen Marmolada in diesem Sommer. An der Stelle der Hütte existierte im 1. Weltkrieg die von Soldaten in den Gletschern gegrabene “Eisstadt”. Ein 10 km langes Tunnelsystem im damals noch als ewig betrachteten Eis, welches Platz für Soldaten bot, um sich vor den gegnerischen Artillerien zu verschanzen und bis zu 40 m unter die Eisoberfläche führte. Von diesen gigantischen Eismassen ist heute nichts mehr übrig. Tragisch ist auch, dass sich exakt hier damals 1916 eine der verheerendsten bekannten Unwetterereignisse der europäischen Geschichte ereignete: Eine Lawine fegte über die Eisstadt und kostete ca. 300 Soldaten gleichzeitig das Leben.
Soldaten in der Eisstadt.

Realität im Schnellvorlauf

Zu erwarten ist schon relativ bald ein extremes Ungleichgewichten im Wasserhaushalt: Dürresommer und Winter mit mitunter mehr Schnee in sehr hohen Lagen. Die bisher eher seltenen Nassschneelawinen werden häufiger auftreten. Diese Lawinen können auch im späten Frühling bis in tiefe Lagen vorstoßen und dort Siedlungen und Verkehrswege treffen. Die örtlichen Mikroklimazonen werden in Zukunft viel stärker kontrastieren als bisher. Oben am Berg schneit es wie verrückt, denn in hochalpinen Lagen wird der saisonale Winterniederschlag tendenziell zunehmen, in der Mitte zu wenig für Skisport und unten hingegen fast gar nicht mehr – bis ins Jahr 2100 können das in niedrigeren Lagen 80 % weniger Niederschlag sein. Die Folgen sind grüne Skiorte im Tal, ausschließlich beschneite Pisten auf der Alm und doch bedroht durch Gefahren aus der obersten Etage – auf derselben vertikalen Achse am selben Berg im selben Tal, in derselben Gemeinde. Die Schmelzwassermenge kann variieren, konzentriert sich mitunter auf einen kürzeren Zeitraum, darauf ist vorhandene Infrastruktur wie Brücken, Stauseen, Rückhaltebecken etc. nicht eingerichtet. Ereignisse wie Murgänge oder auch der Ausbruch von Gletscherblasen und Gletscherseen werden häufiger. Schon jetzt treten diese an zahlreichen Stellen auf und überschwemmen Orte, gefährden Menschen, zerstören Häuser und kosten Unsummen in der Prävention. Mittlerweile kommen solche Ereignisse jährlich vor, quer durch die Alpen. Unzählige Beispiele reihen sich da aneinander: Grindelwald, Zermatt, Chamonix, Lenk aber auch weniger bekannte Orte wie Münster im Hochtal Goms in der Schweiz hatten und haben mit aufgestautem Wasser in und auf Gletschern oberhalb der Orte zu kämpfen. Allerorts werden komplizierte Mess- und Warnsysteme installiert, Evakuierungspläne erstellt und mitunter auch schon öfters ausgelöst. Schutz wie zum Beispiel Abflusskanäle in den Gletscher graben (Plaine Morte), Bypasstunnel bohren (Triftgletscher), Schutzdämme errichten und jährlich wiederkehrende Maßnahmen zu treffen kostet jetzt schon hunderte Millionen. Schon davon gehört, aber nicht wirklich wahrgenommen? Ja, die Tourismusindustrie spricht nicht gerne über Gefahren. In weltberühmten Orten wie Zermatt am Matterhorn erwähnt man ungern, dass Modelle die direkte Überschwemmung des Ortes durch mehrere umliegende Gefahrenbereiche durchaus realistisch voraussagen oder sich kurzfristig bildende Gletscherblasen so plötzlich auftretende Gefahr bedeuten, dass nur noch Flucht als Reaktion bleibt. Eilig wird investiert, betoniert und aber auch möglichst geschwiegen. Die Evakuierung von zehntausenden verschiedensprachigen Gästen innerhalb kürzester Zeit ist in solchen Orten, die oft am Talschluss eingekesselt in einer Sackgasse liegen, eine Herkulesaufgabe. Unmittelbare Ereignisse wie Lawinen und Wasserausbrüche und Steinschläge lassen nur wenige Minuten oder gar nur Sekunden Vorwarnzeit zu. Zwar sind Straßen und Bahnen abschnittsweise mit automatisch reagierenden Ampeln ausgerüstet – ist man aber in den Gefahrenbereich bereits eingefahren, kann es einem trotzdem treffen. Regelmäßig erwischt es dabei tatsächlich Straßen, fahrende Züge, Autos und auch Siedlungen. Oft geht es glimpflich aus. Manchmal auch nicht. Gerne wird dann behauptet, dies sei halt die Naturgewalt, die nicht immer beherrscht werden könne und mit der man halt leben müsse, schon immer gelebt habe. Aber die touristische Eroberung der Alpen, die massive Frequenzerhöhung auf Straßen und Zugstrecken in den letzten Jahrzehnten haben die Wahrscheinlichkeit von Unglücken vervielfacht, der Klimawandel verschärft diese Kalkulation jetzt noch zusätzlich um Dimensionen. Lokale Gremien, welche für die Sicherung und Sperrung bei Gefahr zuständig sind, stehen zwischen der starken und in den strukturschwachen Regionen regelrecht übermächtigen Wirtschaftslobby und dem absoluten Sicherheitsanspruch. Millionen vs. ein Fuß immer im Gefängnis. Die Warnsirenen werden im Vergleich zu Deutschland daher jährlich getestet, für die Gefahr von plötzlichen Hochwassern gibt es eigens speziell gesonderte Warntöne. Doch auch weiter oben wird es schwierig. Hoch gelegene Hütten rutschen ab, Seilbahnstationen werden wegen auftauendem Permafrost instabil, Beispiele sind hier jüngst die Riederalp, das Fiescherhorn oder der Corvatsch. Mancheorts mussten Seilbahnen deswegen abgerissen und neu gebaut werden. Es bleibt dabei nicht bei Einzelbeispielen, rund 15 % der Seilbahnstationen sind durch den Temperaturanstieg ebenfalls bedroht. Der Permafrost macht ganze Bergspitzen instabil – so zum Beispiel auch an oder besser in der Zugspitze. Dort könnte der Permafrost schon bis 2040 verschwunden sein, Felsstürze drohen. Die letzten deutschen Gletscher auf dem Zugspitzplatt und im Höllental werden übrigens höchstwahrscheinlich schon in zehn Jahren weggeschmolzen sein. Anderorts, an der italienischen Marmolata oder am Montblanc ereigneten sich im Sommer 2022 schreckliche und außergewöhnliche Katastrophen, wo riesigen Gletscherabbrüche viele Bergsteiger in den Tod rissen. Viele Augenzeugen wie Bergretter, Bergführer aber auch Wissenschaftler wie Glaziologen sind überrascht, geschockt und erklären unisono, dass sie so etwas noch nie erlebt hätten und der Klimawandel in eine neue Phase und Dimension in den Alpen eingetreten sei.

Gletscherrückgang der Pasterze unter dem Großglockner. Seines Zeichens längster Gletscher unterhalb vom höchsten Berg Österreichs.

Es geschieht jetzt

Bergstürze nehmen zu. In Kandersteg in Berner Oberland hat sich ein halber Berg in Bewegung gesetzt und bedroht die Siedlungen darunter. Der Ort Brienz in Graubünden befindet sich direkt auf einem plötzlich sehr aktiven Rutschgebiet, welches immer schneller in Richtung Tal gleitet. Auch dort wird gerade notfallmäßig ein Entwässerungstunnel gegraben, ob der helfen wird, weiß man noch nicht. Im Dorf gibt es Risse in Häusern, bis vor die Wohnhäuser rollende Felsblöcke, unterhalb der Siedlung befinden sich bedrohte Stromleitungen, Straßen und Eisenbahntrassen. Die meisten Wissenschaftler bringen diese Ereignisse direkt mit dem Klimawandel in Zusammenhang, einige verweisen aber noch auf die schon immer dagewesene Gefahr in den Bergen. Doch die Daten und auch die bittere Realität sprechen eine deutliche Sprache. Der gewaltige Bergsturz in Bondo am Piz Cengalo im Bergell kostete 2017 mehreren Menschen das Leben. Der Ort musste für Monate evakuiert werden, viele Häuser wurden zerstört und können nicht wieder an derselben Stelle aufgebaut werden, die Gefahr bleibt zu groß. Schuld ist auch hier der auftauende Permafrost. Erosion ist zwar ein natürlicher Prozess, welcher die Alpen geformt hat und fortwährend verändert, aber der unglaublich rasche Temperaturanstieg beschleunigt ihn sicht- und spürbar. Sehr sichtbar sind die schmelzenden Gletscher. Diese fungieren als riesige Wasserspeicher. Gehen diese verloren, fehlt Trinkwasser, Wasser für die Landwirtschaft, Kunstschnee oder auch für die Stromproduktion. Akut diesen Sommer bleiben Stauseen, die früher den Sommer hindurch gefüllt wurden und im Winter Speicherstrom lieferten, nach einem sehr schneearmen Winter, einer extremen Trockenphase und durch Rekordhitze halbleer. Ausgerechnet in der geopolitischen Energiekrise wankt der bisher als garantiert wahrgenommene Vorteil Wasserkraft. Die Schweiz produziert rund 60 % ihres Stroms damit. Man muss auch wissen, dass die großen Stauseen, wie zum Beispiel die größte Anlage ihrer Art, der Grand Dixence, mit der höchsten Gewichtsstaumauer der Welt, nicht nur vom Wasser gespiesen wird, welches direkt von den Bergen neben dem Stausee in denselben abfließt. Nein, im Wirtschaftsboom des vergangenen Jahrhunderts wurden gewaltige und extrem weit verzweigte Zuflusssysteme errichtet, die über ein gigantisches Einzugsgebiet in vielen umliegenden Tälern unzählige Gletscher und Gebirgsbäche anzapfen und das Wasser über hunderte Kilometer unterirdisch durch den ganzen Kanton in den großen Speicher Lac des Dix transportieren.

Der Bergsturz am Piz Cengalo 2017 – ausgelöst durch die Klimaerwärmung.
Sekunden später unten im Tal im Dorf Bondo.

Über Pumpstationen, Stollen auf fast dreitausend Metern Höhe und unter dem Matterhorn hindurch wird das kostbare Wasser in der eigentlich trockenen Region mühsam und mit pharaonischem Aufwand gesammelt, um diese gigantischen Seen überhaupt füllen zu können. Die meisten großen Wasserkraftwerke in den Alpen funktionieren übrigens so. Der Klimawandel bedroht nun diese fragilen Systeme. Deswegen sind bereits neue Tunnel, Staumauern und Pumpen geplant, um den Verlust auszugleichen – doch Platz, öffentlichen Akzeptanz, Umweltschutz und schließlich auch finanzielle Risiken setzten den Betreibern Grenzen. Einige, wie zum Beispiel Pumpspeicherkraftwerke, liefern sogar gar keinen zusätzlichen Strom, denn sie sind nur dazu da, Spitzenenergie teuer verkaufen zu können. Dazu wird erst Wasser den Berg hochgepumpt und dann, wenn der Preis am Strommarkt hoch ist, wieder turbiniert. Dabei geht mehr Energie verloren als produziert wird. Vor wenigen Tagen musste das Atomkraftwerk Beznau gedrosselt werden, weil das Kühlwasser vom angrenzenden Fluss wegen der aktuellen Hitzewelle zu warm wurde.

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Warnhinweis:

Hitzewellen sind auch eine Folge der Klimakrise. Um eine unaufhaltsame Erhitzung der Erde abzuwenden, müssen wir schnellstmöglich von Kohle, Öl & Gas auf Erneuerbare umsteigen.

Warum ein Warhnhinweis? Redaktionelle Verantwortung ist wichtig. Die Klimakatastrophe sollte immer bei ihrem Namen genannt und der Zusammenhang mit ihr klar aufgezeigt werden. Die Inspiration zu dieser Praxis geht auf die Klimaaktivistin Luisa Neubauer zurück, die dies in einem Tweet gefordert hatte.

Weil die Klimaanlagen auf Hochtouren laufen, muss paradoxerweise genau die bereits gebeutelte Wasserkraft einspringen und die dieses Jahr schon besonders knappen Reserven in den Stauseen werden noch weniger. Eigentlich war wegen der Krise geplant, dass wegen fehlendem Gas Wasserkraftbetreiber Geld vom Staat dafür erhalten, dass sie Wasser in ihren Stauseen nicht verstromen und diese Mengen dann im Winter als Puffer dienen könnten, falls Putin den Gashahn wirklich zudreht. Jetzt drohen Stromausfälle im nächsten Winter und das Land diskutiert über Rationierungen. Die Wasserknappheit trifft nicht nur die Alpenrepubliken. Denn die Alpen speisen auch die großen Flüsse wie Po, Rhone, Rhein oder Donau, welche halb Europa mit Wasser versorgen. Aber eben waren wir doch noch bei mehr Winterniederschlägen in hohen Lagen? Fällt dieser nicht mehr oder nur noch teilweise als Schnee und speichert sich daher nicht mehr bis in den Spätsommer in und auf Gletschern, fließt er als Regenwasser sofort ins Tal. Das führt zu Hochwasser und Dürren gleichzeitig, durchaus sogar im selben Jahr. Auch dies geschieht nicht irgendwann, sondern jetzt. So droht laut Schweizerischem Alpenclub SAC gerade mehreren Hütten unmittelbar eine Schließung wegen Wassermangels, 20 % seiner Hütten seien mittelfristig davon ebenfalls betroffen. Ein ganzes Ökosystem gerät aus dem Takt. Technik kann nicht alle Probleme lösen.

Die Staumauer der Grand Dixence am Lac des Dix. Immer noch die vierthöchste Staumauer der Welt. Das Gebäude darunter ist zehnstöckig und eine 640 Meter lange Seilbahn führt vom Fuß bis an die Krone der Mauer. Das Wasser von 35 Gletschern wird in diesen Stausee gepumpt, denn der natürliche Zufluss würde nicht reichen, ihn jährlich zu füllen. Im See verborgen liegt die kleinere Vorgängerstaumauer, welche für den Energiehunger des Wirtschaftswunders nicht mehr ausreichte. Die neue Mauer ist 285 Meter hoch, der Eiffelturm würde nur knapp aus dem See ragen. In der Sperre verlaufen über 30 km Kontrollstollen. Der See fasst 400 Milliarden Liter Wasser.

Der Räuberwald

Das widersprüchliche Phänomen von Dürren und Starkniederschlägen gleichzeitig gibt es an einigen Stellen in den Alpen schon länger. Speziell das erwähnte inneralpine Tal im Kanton Wallis ist so ein Beispiel. Seit Jahrhunderten gibt es da im Frühling viel Schmelzwasser, welches aber durch tiefe Schluchten direkt ins Tal rinnt und nicht die sehr sonnigen Hänge nährt. Wegen dieser sonnigen Hänge ist die Region extrem trocken und trockener Boden speichert Wasser wiederum schlechter. Mit weitverzweigten Systemen aus Bewässerungskanälen gelang es Bauern einst überhaupt diese Region zu besiedeln. Das Bewässerungssystem und seine Kanäle, welche “Suonen” genannt werden, wurden nach einem genauen Zeitplan rationiert an die einzelnen angebundenen Bauern geleitet. Stundenweise durften sie Wasser abzapfen. Der Anbau der erwähnten Aprikosen und auch von Wein gelingt heute durch ein ebenso ausgeklügeltes System an Rohrleitungen. Wird aber die Wassermenge von den Gletschern weniger, nehmen die Extremwetterereignisse zu, kommen Waldbrände und Hitzesommer dazu, ändert sich die sowieso schon karge Situation dramatisch. Wasser fehlt und richtet gleichzeitig großen Schaden an. Waldbrände sind hier wegen der Trockenheit relativ häufig. Ein spezieller Ort ist das Naturschutzgebiet “Pfynwald”, welches die Sprachgrenze wischen dem deutsch- und französischsprachigen Teils des Kantons bildet. Früher haben sich laut Überlieferungen hier Räuberbanden versteckt, die den Handelsreisenden aufgelauert haben sollen. Darum wird er von den Einheimischen Räuberwald genannt. Dieser Wald ist einer der größten zusammenhängenden Föhrenwälder der Alpen. Auch hier ist die Durchschnittstemperatur doppelt so schnell gestiegen, wie im weltweiten Durchschnitt. Das Forschungsinstitut WSL, welches wir schon vorhin in diesem Beitrag kennengelernt haben, führt hier eine einzigartige Langzeitstudie durch. Während rund 20 Jahren werden dabei Föhren, die bereits 100 Jahre alt sind, genau untersucht. Bei der Kontrollgruppe bleibt alles wie es ist, bei einigen Bäumen wird der einzelne Baum zusätzlich künstlich bewässert. So wird der Wasserverbrauch und Wachstumshaushalt der Bäume genau berechnet und im Ergebnis kann vorhergesagt werden, was mit den Bäumen mit und ohne Klimawandel passiert ist bzw. wäre. Denn auch hier fließt Oberflächenwasser immer schneller ab und versickert immer spärlicher, dazu führen höhere Temperaturen auch zu mehr Verdunstung. Das alles bringt die Föhren in existenzielle Not. Es wird damit gerechnet, dass sie alle komplett verschwinden werden, weil sie keine Chance haben, sich dem Klima genügend anzupassen. Das kann zwar zu einer Änderung der Vegetation führen, aber auch zu einer Versteppung bzw. einem Rückgang an Wald. Was dann passiert, sieht man beim unmittelbar neben dem Pfynwald vorbeiführenden Illgraben. Dieser ist eine der aktivsten Murgangrinnen der Alpen. Große Mengen an Schutt, Steinen, Schlamm und Kies wälzen sich hier regelmäßig nach Starkregen zu Tal. Das WSL hat hier ein Warnsystem mit Niederschlagswippen, Geophonen, Echolot, Radar- und Laser-Messgeräten sowie Videokameras installiert – nicht nur aus wissenschaftlichem Interesse, sondern um die Siedlungen darunter zu warnen. Die heute erreichbare Vorwarnzeit beträgt 15 Minuten. Die komplexe Technik ist nur als Vorstufe für massive Verbauungen aus Beton gedacht. Am spannendsten ist übrigens die weltgrößte Murgangwaage – ein System, welches das Gewicht der Gesteinsflut messen kann. Sie wurde zwar durch gewaltige Feldbrocken zerstört, aber wieder neu und größer errichtet. Fast schon symbolisch für den ganzen Themenkomplex wurde ein hässlicher Betonkanal für ein Wasserkraftwerk durch das Naturschutzgebiet gebaut und jetzt kommt auch noch eine veritable Autobahn hinzu – quer durch den einzigartigen und bedrohten Wald. Zwar werden 75 % unterirdisch verlaufen, aber trotzdem ist hier Klimaursache, Menscheneinwirkung, Mikroklima, Naturgewalten und ihre Abhängigkeiten voneinander so plakativ und beispielhaft in einer Dichte sichtbar, wie selten anderswo. Tödliche Gefahr, rücksichtsloser Raubbau, noch mehr CO2, Waldsterben, Klimakatastrophe sowie eine hilflos beobachtende und dokumentierende Wissenschaft. Ein faszinierende trauriger Ort – ursprünglich, geheimnisvoll verwunschen und qualvoll sterbend.

Der Pfynwald. Links die Murgangrinne “Illgraben”. Diese ist aber nicht so harmlos, wie man hier vermuten möchte…
…denn ein Ausbruch gefährdet das Dorf Leuk, welches direkt unterhalb liegt.

Fazit

In der kleinen Eiszeit wurde in den Alpen kirchlich dafür gebetet, dass die Gletscher nicht weiter vorstoßen mögen – vor wenigen Jahren wurde dieser uralte Brauch mit den höchsten Gnaden aus Rom abgeändert in ein Ritual, welches jetzt himmlischen Schutz vor Gletschersterben und Klimakatastrophe erbitten soll. Ja, das Klima ist volatil, war es in den Alpen besonders. Aber die rasend schnelle und weit stärkere Erwärmung als auf dem Restplaneten setzt den Bergen, ihren Bewohnern und der Natur extrem zu. Gefahren werden unbeherrschbar, Ressourcen versiegen, Naturgewalten potenzieren sich. Eine Anpassung wird immer schwieriger und musste schon an manchen Stellen aufgegeben werden. Stillgelegte Skigebiete, Hotelruinen oder verlassene Chaletsiedlungen bezeugen die Veränderungen. Die Alpen sind wie ein globales Brennglas, welches einen Blick in die Zukunft erlaubt und doch Realität hier und jetzt ist. Die Elemente waren hier schon immer mächtig, aber was der Mensch auslöste, kann er hier nicht mehr stoppen – nur davor flüchten. An vielen Stellen kann grausam real von bloßem Auge zugesehen werden, wie Gletscher quasi über Nacht verschwinden, Wälder sterben, wie Menschen nichts dagegen tun und mit den teils drastischen Folgen leben müssen. Schon Johanna Spyris “Heidi” flüchtete aus dem durch Kohleabgase verpesteten Frankfurt in die heile Welt der Berge zurück, genau wie der fiktive Industriellensohn Hans Castrop im Roman “Der Zauberberg” von Thomas Mann versuchte, seine lädierten Lungen in der Höhe zu kurieren. Heute kann man den Auswirkungen der Umweltverschmutzung auch unter den höchsten Wipfeln nicht mehr entkommen. Die Alpen – rau und einst unbezwingbar, dann erobert, technisiert, gezähmt und jetzt eine Warnung an uns alle. Schon zum Hitzesommer 2003 lancierte St. Moritz als damals noch exotischer Vorreiter in Form der “Clean-Energy-Tour” eine Rundtour mit Informationen zu erneuerbarer Energie und Klimawandel. Der Ort stellte eine Windturbine ins Skigebiet, baute Solaranlagen auf die Dächer der Seilbahnstationen und gewann aus Speiseabfällen der vielen Hotels Biogas. Ein Tropfen auf den heißen Stein des Überkonsums der schwerreichen Luxusgäste. Jetzt greifen immer mehr Orte das sie so hautnah betreffende Thema der Klimakatastrophe für ähnliche Ausstellungen und Bildungsangebote für Besucher auf. Zum Beispiel erklärt sich das neue Glaciorium in Chamonix am Monteversgletscher zum veritablen neuen Klimaobservatorium. Im Innern der sich gerade im Bau befindlichen multimedialen Themenwelt kann in die Tiefen des gar nicht mehr so ewigen Eises hinabgestiegen und in einer Art Weltklima-Kontrollraum die Dimension der Bedrohung immersiv erlebt werden. Am Diavolezzagletscher im Engadin wiederum fliegt man mittels virtueller Realität durch den Versuch, wie Gletscher vielleicht noch für eine Weile gerettet werden könnten, denn nichts weniger als das haben die Schweizer mittels gigantischen Wassersprühdüsen vor, die den Morteratschgletscher am Berninamassiv quasi konservieren sollen. Es geht hier um reale Forschung, welche in anderen Weltregionen Menschen vor drohender Wasserknappheit retten soll. Zum Beispiel in den Anden oder am Himalaya. Diese Tourismusorte haben also begonnen, mittels Aufklärungsprojekten an Ort und Stelle die unbequeme Wahrheit schonungslos zu thematisieren und zu zeigen – auch eine Art der Anpassung. Wenn man es nicht mehr kaschieren kann, wird wenigstens die Warnung vor der Katastrophe zu einer Aufgabe des Alpentourismus.

Drastischer Rückgang am “Mer de glace” in Chamonix. Der Gletscher ist über eine Zahnradbahn erreichbar. Früher reichte das Eis bis an die Aussichtsterrasse. Später musste eine Seilbahn gebaut werden, um diese mit dem neuen, viel tiefer gelegenen Niveau des Gletschers zu verbinden. Diesen Sommer wird sie neu gebaut und ihre Länge muss verdoppelt werden, um Touristen doch noch einen Zugang zur in den Gletscher führenden Eisgrotte zu gewähren.
Die Station Montevers am Mer de Glace im Jahr 1949.

In Galtür wirbt man derweil mit Gletschertouren zu den Resten des Jamtalferners, welcher in den Siebzigern noch fast Opfer eines Sommerskigebietes geworden wäre, mit dem Werbespruch “Bevor es zu spät ist!”. Ja, wir werden plötzlich an viele Orte nochmal hinfahren müssen, bevor es zu spät sein wird. Durstig vom Bergsteigen genießen wir jetzt aber noch auf einer Terrasse einer Berghütte ein Glas des noch vorhandenen Wassers und blicken zurück auf die Reise durch Studienergebnisse, Gletscherabbrüche, Räuberwälder und die Erkenntnis, dass vieles hier oben nie mehr so sein wird, wie zuvor. Wenn du gerade zur Sommerfrische in den Bergen weilst, du auch schon Klimaveränderungen in den Alpen begegnet bist oder gar Bilder davon gemacht hast, dann teile deine Erfahrungen gerne mit der Klimablog-Community auf Twitter! Zur Belohnung gibt es dafür die örtliche Spezialität des Hüttenwirtes: Aprikosenkuchen mit extra Schlagsahne! Die Aprikosen hat übrigens ein Bergsteiger hier hochgeschleppt. Alle anderen Zutaten werden regelmäßig per Hubschrauber angeliefert. Doppelmoral verschont auch den sanften Tourismus nicht. In den Alpen scheint der Kampf gegen das Klima verloren, über 1,5 oder 2 Grad kann man hier nur müde lächeln, dafür ist es schon lange zu spät.

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