Der Energietresor – die vielleicht wichtigste Erfindung unserer Zeit und ihre Gefahren

Eine Schweizer Firma hat 2017 eine Lösung für das Speicherproblem von Strom präsentiert. Sie funktioniert nach einem unglaublich einfachen Prinzip, baut auf etablierter Technologie auf und ist praktisch unendlich skalierbar. Was ist aus der Idee geworden und ist es tatsächlich der heilige Gral unserer Energieversorgung? Oder ist die Erfindung sogar eher brandgefährlich? Eine vertiefte Reise in die Kontexte, Abgründe und Hoffnungen der Energiezukunft.

Um diese sehr hoffnungsvolle Erfindung besser verstehen zu können, ist ein Exkurs in die Welt der Energieproduktion notwendig. Bis jetzt kann man Energie längerfristig nur in Batterien oder gewissen Wasserkraftwerken speichern. Pumpspeicherkraftwerke pumpen Wasser den Berg hoch, was mehr Energie verbraucht, als das Wasser wieder freisetzt, wenn es den Berg wieder heruntergelassen wird. Physikalisch eine reine Energieverschwendung. Doch so einfach ist es nicht, denn die Idee, Energie in Schwerkraft zu speichern kann trotzdem helfen Energie zu sparen. Weil Strom frei am Markt international an einer eigenen Strombörse gehandelt wird, gibt es unterschiedliche Strompreise zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten. Davon profitieren Stromspeicher. Denn sie können mit günstigem Strom das Wasser hochpumpen und wenn der Preis steigt wieder turbinieren. So wird aus Energieverschwendung ein Geschäftsmodell. Irrsinnig ist es deswegen nicht, weil mit solchen Speichern ein Stromnetz stabilisiert werden kann und schwankende Energien wie Wind und Solar nicht nur gespeichert, sondern im Netz gut unterstützt und ausgeglichen werden können. 

Pumpseicherkraftwerke sind im Prinzip aufladbare Batterien

Pumpspeicherkraftwerke können auf Knopfdruck sofort hohe Energiemengen liefern. Das können große fossile und atomare Kraftwerke nicht, sie brauchen dafür Zeit und werden dafür vor allem für die sogenannte Bandenergie genutzt, also der dauerhaften Grundversorgung. Für Stromspitzen, also dann, wenn wir im Tagesverlauf gerade viel Storm verbrauchen, ist Speicherenergie aber im wahrsten Sinne Gold wert, denn die Energieproduktion kann so dem schwankenden Bedarf angepasst werden. So wird weniger Energie verschwendet. Jedoch gibt es kaum Speicherlösungen. Im großen Stil können das bis heute eben nur Pumpsepeicher. Die sind wiederum von der Topografie abhängig und der Bau von gigantischen Staumauern sowie das Fluten von ganzen Tälern, ist heute politisch nicht mehr machbar. Pumpspeicherkraftwerke werden aber immer noch gebaut. Üblicherweise werden dazu bereits vorhandene Stauseen mit zusätzlichen Leitungen und Kraftwerkskavernen im Berg unsichtbar verbunden. Das ist extrem teuer und lohnt sich nur beim dazu passenden Strommarkt. Jüngste solche Projekte waren Nante de Drans und Linth-Limmern in der Schweiz. Bei beiden wurde mit dem Bau begonnen, als das geplante Geschäftsmodell funktionierte, bei ihrer Fertigstellung viele Jahre später war aber klar, dass sie sich zu den heute aktuellen Bedingungen nicht mehr rechnen – sie aber für die Zukunft wertvoll sind, gerade wegen ihrer Fähigkeit zu Spitzenenergie. Ein weiteres Problem ist die Distanz zum Verbraucher. Es fehlen Stromtrassen durch Europa und diese Energie kann nicht sehr weit transportiert werden. Und damit kommen wir zur Schlüsselidee von Energy Vault: Wie wäre es, wenn man Energie im großen Stil verbrauchernah in Schwerkraft speichern könnte?

Das Prinzip

Die kranartige Turmspitze mit Greifarmen und Gewichten

Wer hats erfunden? Die Schweizer! Das Land der alpinen Wasserkraftwerke, unter anderem mit der höchsten Staumauer der Welt. Das damals kleine Startup Energy Vault (Energietresor) wurde 2017 in Bellinzona, Hauptort des Kanton Tessin, in der Schweiz gegründet. Seine Erfindung hat vor allem zwei Aspekte: Eine unglaublich simple Idee und die sehr komplizierte Umsetzung. Das Prinzip ist schnell erklärt. Energy Vault hat einfach Teile von herkömmlichen Baukränen genommen und stapelt damit konzentrisch Betonblöcke zu einem Turm. Ein Betonklotz wird mit Energie hochgehoben, zum Beispiel einer Windturbine oder eines Solarfeldes, und bei Bedarf wird der Betonklotz am Kranarm wieder heruntergelassen. Bei der Abwicklung des Stahlseiles wird der Strom wieder in einem Generator in der Winde freigesetzt. Diese Lösung könnte bis auf starken Wind fast wetterunabhängig eingesetzt, überall schnell aufgebaut und dezentral genutzt werden. Ästhetisch nicht gerade schön, aber das sind Kraftwerke selten. Besonders aufwändige Technik ist dafür auch nicht nötig. Und genau da liegt der Haken, denn so simple Ideen haben immer einen Haken. Energy Vault hat in Bellinzona eine Versuchsanlage, einen Prototyp, gebaut, um zu demonstrieren, dass das Prinzip funktioniert. Quasi eine Schwerkraftbatterie – oder dem Namen des Unternehmens nach ein “Energietresor”. In Tresoren werden üblicherweise Wertsachen oder wie bei Dagobert Duck’s Geldspeicher im wahrsten Sinne des Wortes Bargeld gelagert. Und da kommen wir zum nächsten Kapitel, der Skalierung.

Das Prinzip des ersten Prototypen. Gewicht wir in die Höhe gestapelt und durch Schwerkraft wieder zur Stromproduktion aktiviert.

Aus wenig mach viel – sehr viel

Man könnte meinen, dass das simple Prinzip der Schwerkraftspeicherung auch schon anderen eingefallen sei. Bis jetzt waren aber fossile und Atomare Energien einfach und in großer Menge verfügbar – ungeachtet der Konsequenzen. Aber je drängender der Klimawandel wird und je stärker geopolitische Energiekonflikte eine Rolle spielen, je eher wird das Element der Speicherung und damit Flexibilität von Standort, Produktionszeitpunkt und Menge zu einem Schlüssel für intelligente Netze. Da Rendite und schnelle Erfolge die heutige Kapitalwirtschaft antreiben, waren langfristige Forschungen im Energiesektor nicht besonders interessant für Investoren. Energiekonzerne wiederum hatten vor allem ein Interesse am hier und jetzt – vielleicht etwas zu sehr. Um langfristige oder unkonventionelle Ideen umzusetzen, braucht man Geld. Je wichtiger eine Technologie für die Zukunft ist, desto schwieriger wird der moralische Umgang mit ihr. Erfindet man also eine physikalische Batterie ohne petrochemische Hauptbestandteile, läuft man automatisch Gefahr gegensätzlichen Interessen zu begegnen. Denn Konzerne, deren Geschäftsmodell durch neue Erfindungen angegriffen werden, können Ideen kaufen und damit aus dem Markt nehmen. Dafür gibt es leider eine Unmenge an Beispielen. Wenn also jemand als Forscher oder Ingenieur eine Erfindung macht und damit Gutes tun will, muss er Investoren finden, die dasselbe vorhaben. Doch Investoren haben vor allem Geld und nicht Wohlfahrt im Blick. Ein Geschäft muss sich in absehbarer Zeit lohnen, sonst ist es Mäzenatentum. Als kleines Unternehmen, welches zunächst unabhängig von Großkonzernen ist oder es bleiben will, eine Idee entwickeln und skalieren zu können, kommt man an der New Economy kaum vorbei. Sprich das klassische Modell Startup. Kleine Firma hat Idee, Investor hat Geld – beide treffen sich und verhandeln Modalitäten. Zum Beispiel, wer welchen Einfluss auf Entwicklung und Geschäftsmodell hat. Dabei gibt es scheinbar ein großes Ungleichgewicht zugunsten des Geldes, jedoch ist die Idee im Gegenzug eben auch stark. Nicht skalierbare Geschäfte interessieren Venture Capitalists, also die Risiko-Geldgeber der Startupindusstrie, nicht sehr. Energie ist aber immer skalierbar und darum potentiell ein unendliches Geschäft. Also perfect match? Nicht ganz, denn ab hier wird die Idee kompliziert. Den Turm technisch zu skalieren, ist nicht so einfach. Also einzelne Lösung für kleine Kraftwerke, Gemeinden und Betriebe wäre die Idee schon fast marktreif gewesen. Aber das Potential der Erfindung ist viel größer, es könnte schlicht die Welt (mit-)retten. Und das ist für Investoren viel interessanter.

Der in Bellinzona gebaut Prototyp

Was hat nun Energy Vault mit diesen Gesetzmäßigkeiten zu tun? Nun, um die Idee tatsächlich auf ihr wirkliches Potenzial – wirtschaftlich wie auch energiepolitisch und physikalisch – hoch zu skalieren, braucht der einfache Mechanismus plötzlich eine sehr komplexe Steuerung. Die skalierte Variante der Schwerkraftbatterie sieht nämlich aus wie ein riesiges Hochregallager und nutzt ähnliche Technologie. Wettergeschützt werden in einer riesigen Halle Klötze aus Beton oder anderen schweren Materialien in einem Regalsystem mit Aufzügen hoch hinauf gestapelt und be Energiebedarf mit dem bekannten Prinzip des Generators in der Winde wieder heruntergelassen. Und das in einer schieren Anzahl an Blöcken, Winden, Lagerflächen. Um diesen Prozess möglichst effizient zu steuern, wenige Wartung in der Mechanik zu haben und vor allem mit einem mehr oder weniger intelligenten Stromnetz der Zukunft funktionieren zu können, ist künstliche Intelligenz notwendig. Und eine Menge Kapital für Forschung und erste Anlagen in dieser ganz anderen, gigantischen Megadimension. Ein Entwicklungsschritt ist es auch, nicht extrem CO2-intensiven Beton zu benutzen, sondern Recyclingmaterialien. Quasi gestapelter Abfall. Soviel zur Technik. Auf der Finanzierungsseite dieser Entwicklung hat sich derweil viel getan. Und da wird es nun sehr interessant und aber auch eigenartig verworren.

So könnte die Schwerkraftbatterie aussehen – links der Speicher, rechts ein Solarkraftwerk

Geld, Interessen, Macht

Wie erwähnt, ist die Welt der skalierbaren Risikokapital-Ideen und die der Energieproduktion ein absolutes Haifischbecken. Weltweit schwimmen Ölmultis die Felle immer mehr davon und es ist ein erbitterter Kampf um vorhandene Pfründe, Investitionen für den Umbau – um überhaupt als Konzern zu überleben – und der Politik als Gegenspieler ausgebrochen. Greenwashing, Lobbying, künstliche Preise, teure Rettungsprojekte und so weiter, denn nichts fürchten diese Megakonzerne mehr, als staatliche Regulierung. Je länger aber klimatisch nicht gehandelt wurde und wird, desto wahrscheinlicher ein Eingriff des Souveräns. Die Idee von Energy Vault ist gut, die Machbarkeit vorstellbar, die Gewinne bei Erfolg gigantisch. Denn jeder könnte bzw. wird so eine Batterie brauchen. Wer da die Fäden in der Hand hat, der verdient sich dumm und dämlich – und hat je nachdem auch beängstigend viel Macht. Und genau da fließt viel Geld. Energy Vault hat in den Finanzierungsrunden als Startup – Investoren schießen Geld ein, neue Investoren noch mehr, die Runden tragen fortlaufende Buchstaben – zuerst bereits über hundert und zuletzt mehrere hundert Millionen Dollar einsammeln können. Aus den allgemeinen Schlagzeilen ist das Unternehmen verschwunden. Denn die Technologie selber sowie die verstrickten Businessentscheidungen sind zu komplex für ein Tagszeitungspublikum. Sind wir hier aber nicht, darum folgend ein vereinfachter Versuch zu erklären, wie fragmentiert Energy Vault bereits finanziert ist und wer so alles Interesse an der Schwerkraftbatterie bekundet hat.

Die Pilotanlage in der Wüste – links die Solarfelder, rechts die Schwerkraftbatterie

Der schiere Geldbedarf einer solchen Idee können oder wollen Staaten in dieser Entwicklungsphase nicht leisten. Darum tun es Risikokapitalisten. Das sind nicht nur Casinospieler wie VentureCapitalists, sondern auch die durch den Klimawandel unter Druck geratenen Firmen, wessen Forschungsabteilungen zu klein sind, um alleine den benötigten Bedarf an Anpassung decken zu können. 2019, zwei Jahre nach Gründung und Investorensuche, investierte Cemex in Energy Vault. Wie der Name schon andeutet, ein mexikanischer Baustoffhersteller, unter anderem vor allem von Zement. Klingt logisch – aber schon sind da erste Partikularinteressen. Mit diesem ersten Investor zieht man automatisch und branchenüblich erst weitere Investoren an, die dann das Portemonnaie erst aufmachen. Das war in diesem Fall die japanische SoftBank mit 110 Millionen Dollar. Um das Risiko bei so großem Finanzierungsbedarf zu minimieren, ist es nötig, das Kapital auf relativ viele Investoren zu verteilen. Praktisch dabei ist, dass etwaige Partikularinteressen einzelner Investoren besser kontorlliert werden können. Sonst verschwindet so eine Idee gerne mal wie beim Wasserstoff- oder Elektroauto absichtlich in einer Schublade. Mit diesen weiteren Investments gelangen Energy Vault erste und rasche Entwicklungsschritte, gekrönt von der Auszeichnung “Technology Pioneer” durch das World Economic Forum. Einem der wichtigsten Weltwirtschaftsmeetings, wo sich mehr oder weniger zufällig auch in den Schweizer Bergen, Weltpolitik und Weltwirtschaft ihr Stelldichein geben – mit helleren und dunkleren Absichten. Aber solche Auszeichnungen sorgen für Bekanntheit und Image.

Kurz danach gab es dann den nächsten, helleren oder dunkleren Interessenten. Saudi Aramco, seines Zeichens größter Erdölförderer der Welt und Staatskonzern von Saudi-Arabien, stieg mit ins Boot. Je nach Betrachtungsweise kann man ab diesem Zeitpunkt nun moralische Überlegungen anstellen. Denn dieser Player kann zwar ein vitales Interesse daran haben, sich für eine Zeit nach dem Erdöl zu rüsten, aber genauso auch bis dahin zu disruptive und damit geschäftsschädigende Entwicklungen zu bremsen oder selber zu kontrollieren. Saudi Aramco wollte vor allem damit glänzen, sein riesiges neues Solarkraftwerk in der Wüste mit der ersten skalierten Schwerkraftbatterie auszurüsten. Klingt progressiv und zukunftsgewandt. Gleichzeitig partizipierte das Unternehmen mit Investitionen in die nächste Finanzierungsrunde auch direkt an Energy Vault – zwar mit vielen anderen Investoren, auch solche aus vorherigen Runden und daher nicht alleine kontrollierend und eher an einer vielleicht wichtigen Schlüsseltechnologie beteiligend. Aber ein sich fein bemerkbarer Geschmack im Mund ist vielleicht nicht nur der nach Wüstensand. Denn direkt mitinvestiert und als erster Großkunde gleichzeitig hat man eigentlich schon einen ziemlichen Einfluss. Solange man aber ein Gegengewicht von genug Investoren hat, die natürlich an einem Erfolg der Idee interessiert sind, könnte das Risiko sogar einen Robin-Hood-Gedanken bedienen: Ausgerechnet der Ölmulti mit zwiespältiger Vergangenheit und sagen wir mal vorsichtig “vielfältigen” Interessen, bezahlt einen nicht unerheblichen Teil des Tickets für die Fahrt in Richtung Rettung des Weltklimas. Potentielle Feinde einbinden, hält diese in Schach. Das sind natürlich rein spekulative Überlegungen, die irgendein Beteiligter unmöglich formulieren könnte bzw. dürfte.

In einem Rendering sieht der geplante Energiespeicher einem Hochregallager ähnlich

Das Ergebnis würde man vielleicht nun also “solide finanziert, erste Versuchsanlage geordert und Entwicklung fortgeschritten” bezeichnen. Und damit kann man jetzt an die nächst größeren Töpfe, die Börse. Das ist auch sogleich 2022 passiert, mit der Listung an der New Yorker Börse NYSE. 235 Millionen spülte das zusätzlich in die Kasse. Auch diversifiziert dieser Schritt natürlich die Besitzverhältnisse und bestätigt, wie unglaublich breit weltweit das Interesse an der Erfindung ist. In nur 5 Jahren von der ersten Idee quasi in der Hinterhofgarage zu solchen Investitionen zu wachsen, ist gelinde gesagt beeindruckend. Eine aggressive Wachstumsstrategie, zu der wiederum einer der beteiligten Fonds mit 50 Millionen Lizenzgebühr beauftragt wurde. Geld sammeln ist an sich selber auch Arbeit und Risiko. Bei all dem die Übersicht zu behalten, die Zügel nicht vollständig aus der Hand zu geben und die Idee tatsächlich für eine bessere Zukunft zu bewahren und weiterzuentwickeln, ist nicht einfach.

Erst jetzt geht es richtig los

Bei der Börsenfinanzierung haben interessanterweise vor allem zwei Unternehmen als Investoren hervorgetan: Korea Zinc und Atlas Renewable. Korea Zinc, ein großer Hersteller von Metallen – also einem sehr energieintensiven Business – möchte nach eigenen Angaben Energy Vault nutzen, um seine Prozesse zu dekarbonisieren. Gerade in Deutschland stellt man sich gerade die Frage, wie man das bei der hiesigen Industrie hinbekommt. Überschüssige nachhaltige Energie zu speichern und dann zu verbrauchen, wenn sie benötigt wird, muss nicht nur mit dem von der CDU favorisierten Wasserstoff passieren. Wasserstoff ist aber im Entwicklungsschritt etwas weiter und grüner Wasserstoff, also jener aus erneuerbaren Quellen produzierten Wasserstoff, ist dem grauen gegenüber, jenem aus Erdgas, seit wenigen Wochen überlegen und wirtschaftlich günstiger als fossile Energie. Dies vor allem dank Russland. Energy Vault hat derweil noch keinen funktionierenden Anwendungsfall im skalierten Bereich. Atlas Renewable seinerseits ist eine Tochterfirma eines Erdölmultis, nämlich Atlas America Inc. Dieses Unternehmen will in China den zweiten Energietresor bauen, und zwar in der Größenordnung von 100MWh. Megawatt pro Stunde gibt die Kapazität an, wie viel Strom die Schwerkraftbatterie von Energy Vault voll “aufgeladen” maximal speichern kann. Damit kann man ca. 4300 Haushalte ein Jahr lang mit Strom versorgen. Sehr viel ist das in der Welt der Kraftwerke nicht, aber es handelt sich ja hier um einen strategischen Puffer um ein Netz stabiler zu machen, saubere Energie für den späteren Verbrauch zu speichern oder um auch Notfällen wie Stromausfälle vorzubeugen. Es sind erste, vorsichtige Projekte, theoretisch sind aber größere Anlagen oder mehr Anlagen an einem Standort machbar. Und das eröffnet dann definitiv ganz andere Perspektiven beim radikalen Umbau der weltweiten Stromproduktion auf erneuerbare Energien.

Hier die Kombination aus einem konventionellen Kraftwerk links und dem Speicher rechts im Bild

Es klingt so gut – und könnte doch gefährlich sein

Die Schwerkraftbatterie muss nicht zwingend “grün” genutzt werden, sie kann auch einfach Geld sparen, wenn der Unterschied zwischen günstigem und teurem Strom im Markt groß genug ist und man somit als Unternehmen bzw. energieintensive Industrie Strom einfach dann kauft, wenn er am günstigsten am Markt erhältlich ist und diesen trotzdem flexibel verbrauchen kann, wenn man ihn gerade benötigt. Da aber jetzt schon oft der Preis von erneuerbarem Strom unter dem konventioneller Kraftwerke liegt, dürfte tendenziell die Schwerkraftbatterie eher mit sauberem Strom betrieben werden. Je mehr solche Batterien Zugang zu sauberer Energie rund um die Uhr ermöglichen, je weniger werden herkömmliche Quellen mit problematischer Bandenergie benötigt, je teurer werden diese und je früher fallen sie aus dem Markt – jedenfalls in den Ländern, in welchen die Politik die Energiewirtschaft noch nicht regulatorisch zum Ausstieg aus atomaren oder fossilen Energien gezwungen hat. Die Gefahr besteht aber natürlich auch, dass auch Zwischenhändler beginnen die Batterie einfach nur für den Stormhandel zu nutzen. Auch da sollte sich die Politik bereits jetzt Gedanken machen, wie sie negativen Nutzungsmustern oder Marktbeeinflussungen vorbeugen will und der Technologie eher ermöglichen will, für kleinere, kommunale und bürgereigene Kraftwerke als Speicher dienen zu können. Und zwar bevor vielleicht Lobbyisten der illustren Investoren der Schwerkraftbatterie Machtansprüche und mögliche Geschäftsmodelle für ebendiese bereits etabliert haben.

Der Markt wird hier nicht von selber regeln, Batterien können theoretisch auch auf schadhafte Weise genutzt werden. Das Beispiel des Verkaufs des nationalen Gaspeichers Deutschlands an den russischen Staatskonzern Gazprom und die katastrophalen Folgen davon zeigt die Risiken gerade sehr deutlich auf. Energie ist so grundlegend wichtig und für jeden notwendig, dass sie eher als Grundrecht betrachtet werden und keinen Fall den falschen Akteuren überlassen werden sollte. Die mechanische Speicherung von Energy Vault ermöglicht oder begünstigt theoretisch die Möglichkeiten für gefährliche Absichten. So weit darf und sollte es besser gar nie kommen. Erste zarte Ansätze für ein solches Bewusstsein sind beim Rückkauf von Stromnetzen durch Städte und Kommunen zu erkennen. Bei Speicherkapazitäten von Strom könnte man den Fehler des Kontrollverlustes schon von Anfang an vermeiden. Vielen ist noch nicht klar, dass die Speicherung von Strom im großen Stil eine ganz grundsätzliche und disruptive Änderung nicht nur für diese Branche, sondern für uns alle als Gesellschaft ist – gerade jetzt, wo Strom eine immer wichtigere Rolle bei der Energieversorgung und Nutzung übernimmt. Das hat politische und geopolitische Folgen, die jetzt in einem öffentlich beteiligten Diskurs demokratisch debattiert werden müssten. Die Technologie kommt sowieso, egal in welcher Form. Man ist besser beraten Konsense zu haben, bevor der Druck neoliberaler Goldgräber zu groß wird, denn diese haben sich bereits strukturell tief in der Technologie installiert.

Geplanter Energiespeicher in China

Risiken und Zukunft

100MWh im China-Projekt von Atlas Renewable ist ähnlich viel Speicherkapazität wie der in Belgien geplante Energiespeicher mit herkömmlichen Batterien auf dem Gelände eines ehemaligen Kohlekraftwerkes haben wird. Es gibt also nicht nur einen Markt der sogenannten “Energiemechanismen”, sondern leider auch Konkurrenz von herkömmlichen Batterietechnologien. In diesem Fall durch einen japanischen Anbieter. Weiter gibts es Sorgen und Kritik rund um den hohen mechanischen Anteil an der Technologie von Energy Vault. Ob Wartungsaufwand und Verlässlichkeit dem Marktbedürfnis gerecht wird, muss das Unternehmen erst noch beweisen. Es geht um viel Geld und um viel Zukunft. Denn Energiespeicher minimieren vorhandene Risiken wie Blackouts, sie machen immer komplexer werdende Energienetze resilienter und durch ihre strategische Position im Markt können sie ein sagenhaftes Geschäft sein. Energy Vault ist vielleicht der Schlüsselbaustein dazu. Ob er konkurrenzfähig bleibt und ob er ökologischer sein wird als Alternativen, wird die nahe Zukunft zeigen und sobald funktionierende Anlagen vorgezeigt werden können, wird auch die breite Allgemeinheit wieder mehr davon erfahren als in der gerade, vielleicht gewollt, eher verborgene Phase des Kampfes um Geld, Anteile und Wetteinsätze auf neuzeitliche Wundertechnologien. Spannend ist, dass nun gleich mehrere Ölgiganten, Investmentfonds und Risikokapitalisten die Idee gepusht und in ihre Kontrolle gebracht haben und die ersten Anwendungsfälle in weder demokratischen noch menschenrechtlich sauberen Gegenden entstehen. Hat da die Welt etwas verpasst? Oder sind wir tatsächlich schon am Punkt, wo auch Konzerne und Investoren aus der dunkleren Hälfte des Energiesektors nicht anders können, als um ihr Überleben zu kämpfen und progressiv in gute und cleane Lösungen zu investieren?

Klar ist, wer diesen Markt oder zumindest seine Schlüsselstellen beherrscht, wird auch weiterhin seine geopolitische Macht sichern können. Und genau da geraten etablierte Demokratien gerade arg ins Hintertreffen. Speziell in Deutschland ist es mit der Energiewende die letzten 16 Jahre nicht vorwärtsgegangen, wenn nicht sogar rückwärts. Und die gigantischen Investitionen, die Energy Vault für ihre Entwicklung braucht, gehen vor allem in den digitalen Teil der Erfindung – auch das kein Steckenpferd Deutschlands. Vielleicht fehlt auch noch das Mindset hiesiger Akteure. Denn passende Konzerne hätte es als Investoren für Energy Vault allemal gegeben. Um jetzt nicht zum Beispiel leise “Siemens” zu flüstern. Oder eben hiesige Metallverarbeiter. Als die Meldung 2017 über Energy Vault und ihr eigenartiges Krangebilde rauskam, war eigentlich schon klar, welches Potenzial die Idee haben kann und dass, wenn man nichts anderes hat, man sofort jeden Strohhalm ergreifen müsste. Stattdessen wurde Energy Vault von der New Economy in Deutschland zunächst belächelt und die Konzerne suhlten sich in der Selbstgefälligkeit des Exportweltmeisters, der Mittelstandsbräsigkeit und einer sehr fossil anmutenden Politik – in jeder Hinsicht. In kurzer Zeit ist die Welt nun eine völlig andere geworden. Nach Corona, dem Ahrtal und mit Putin ändert hoffentlich die Denkart in vielen deutschen Köpfen, die es in der Hand hätten jetzt entscheidende Schritte zu gehen. Denn offensichtlich sind andere schon längst aufgebrochen. Um übrigens die Größe des Markets der Energiespeicherung für Stromnetze etwas quantifizieren zu können: Für die Energietransformation sind alleine 2020 und 2021 500 Milliarden Dollar investiert worden. Das Geschäft mit den Speichern wird sich in den nächsten zehn Jahren ungefähr verzehnfachen. Laut verschiedenen Quellen liegt das Potenzial zwischen jetzt und 2030 bei ca. 830GWh, was ungefähr 270 Milliarden Dollar an Investitionen bedeutet. Nach oben offen. Vielleicht machen diese Zahlen deutlich, dass man endlich aufhören sollte am Gashahn zu hängen oder wie ein gewisser Politiker Atomkraft verlängern tatsächlich als populistische und kurzsichtige Lösung zu promoten, obwohl die Wirkungen davon genau in die entgegengesetzte Richtung gehen würden. Wer sich jetzt nicht mitbewegt, hat eindeutig das Nachsehen.

Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer (Lucius Annaeus Seneca)

Das Beispiel von Energy Vault zeigt, wie erbittert, knallhart und von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet ein Krieg um die Zukunft entbrannt ist. Wir täten gut daran, den Anschluss nicht vollständig zu verlieren. Vor allem sollte sich die Politik früh genug und aufmerksam um solche neuen Technologien und ihre potenziellen Folgen kümmern. Nicht alles was grün aussieht muss auch in grüner Absicht genutzt werden. Die Schwerkraftbatterie kann ein großes Problem unserer Zeit lösen, aber auch genauso zu hässlichen neuen Problemen führen. Darum braucht es verbindliche Nutzungsbedingungen. Hochregallager stehen jedenfalls hierzulande in Industriegebieten an fast jeder Autobahnausfahrt – das könnte wenigstens die kulturelle Integration und die Akzeptanz von Schwerkraftbatterien bei Umweltverbänden und Landschaftsschützern wesentlich vereinfachen. Mit diesem zwinkernden Auge bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit und Geduld für diesen eher langen Text über einen simplen Geistesblitz in einer komplexen Welt der Klimakatastrophen.

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