Du bist wahrscheinlich die Tage schon über einen der Artikel mit diesem Thema gestolpert. Viele haben die Meldung gedruckt bzw. digital verarbeitet. Hier bekommst du zusätzlich Hintergrundinfos, einen kritischen Blick auf die Machbarkeit sowie eine Einordnung, welchen Blumentopf die Bahn genau mit dem Projekt gewinnen will oder überhaupt kann. Spot on!
Um was geht es?
Die Idee ist einfach: zwischen Schienen in Geleisen Solarmodule verlegen. Auf jede Schwelle kommt ein längliches Solarmodul, zwischen den Schwellen muss Platz bleiben für Wartungsarbeiten. Die Meldung klingt schön und verkauft sich darum gut, aber einfach ist der Weg für Solargleise bei weitem nicht. In Sachsen soll jetzt auf der Erzgebirgsbahn getestet werden. Eine Hochrechnung des Potentiales auf alle Schienenkilometer der Bahn soll eine Leistung von fünfte Kernkraftwerken ergeben – stimmt das wirklich? Neu ist die Idee aber nicht, und die Bahn ist auch nicht Pionier, viele andere europäische Bahnen sowie China testen die Idee – allerdings gabs da bisher nur keine große Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Der Test in Deutschland hätte schon 2019 stattfinden sollen und laut älteren Berichten wäre man gerne Stand heute bei schon 1000 Kilometern mit einer installierten Leistung von 100 Kilowatt pro Kilometer gelegen. Das Projekt muss sich also verzögert haben. Nicht schlimm, denn die Herausforderungen sind groß! Hinter der Idee steckt das Unternehmen Bankset Energy. Auch hier sind die meisten Medienartikel ungenau, das Unternehmen ist nicht nur britisch, sondern sitzt auch in der Schweiz, wo das System erfunden wurde und auch die erste Installation erfolgte. Allerdings auf einem privaten Gleis. Auch muss man sagen, dass die Firma eher die Kriterien eines Startups erfüllt. Zwar ist sie auch in anderen Bereichen in Sachen Energie tätig, aber mit der Solargleisidee hat sie klassische Finanzierungsrunden von Startups durchlaufen. Und da geht es um richtig viel Schotter! Zuletzt waren es 300 Millionen. Das erinnert an eine ähnliche Geschichte, den Energietresor, welcher ebenfalls hunderte Millionen einsammelte und weltweites Potential hat. Geld, Verzögerungen, aber eine gute Idee? Schauen wir auf die technischen Hürden:
Unwägbarkeiten
Die Renderings sehen sehr nett aus. Unauffällig liegen die Solarmodule zwischen den Schienen. Interessant ist auch, dass verschiedene Module vorgesehen sind, nämlich robustere für schnelle Strecken, die höheren Belastungen standhalten müssen und weniger robuste für Nebengleise. Sie werden in den USA hergestellt. Derzeit wird bei den vorhandenen Anlagen der Strom ins normale Stromnetz eingespiesen und nicht etwa direkt in die Oberleitungen. Doch genau dies ist ein mögliches Ziel von Bansket Energy. Aber auch das Einspeisen in private und Gemeindenetze oder die Umwandlung in Wasserstoff sind laut der ziemlich selber geklöppelten Webseite des Unternehmens denkbar. Genau wie die Idee, Batteriezüge direkt auf den Geleisen darüber laden zu können. Dass dies technisch funktioniert, beweisen jüngst gerade verschiedene Zughersteller wie z.B. Stadler Rail in Deutschland. Dann sind Oberleitungen nur über wenigen Streckenteilen zum Aufladen notwendig. Züge könnten also mit Strom direkt aus dem Gleis durchaus irgendwann fahren, aber tun es aber jetzt noch nicht und vielleicht gar nie, wenn den anderen Vertriebsmöglichkeiten den Vorzug gegeben wird.
Wo Bahnen fahren, gibt es immer viel ekelhaft klebender Eisenabrieb, der alle Anlagen in der Nähe von Gleisen mit der typisch braunen Staubschicht überzieht. Dafür hat die Firma einen Wartungsroboter vorgesehen, der die Module von Schmutz befreit. Schneefall dürfte auch eines der Herausforderungen sein, denn Schneepflüge erreichen nur die Schienenoberkante und verkehren zu schnell, um mit Bürsten die Module reinigen zu können – also muss wieder der langsame Wartungsroboter her. Bis die Module sorgfältig enteist sind, ist wohl erstmal Flaute. Überhaupt könnten Wartungsarbeiten an den eigentlichen Gleisen ein Knackpunkt sein. In regelmäßigen Zeitabständen wird zum Beispiel bei Gleisen der Schotter neu gelockert, damit das Gleisbett seine spezifische Elastizität behält. Das nennt man “stopfen” und dafür werden Rüttelstäbe zwischen die Schwellen in den Schotter geschoben, um derselbe damit aufzulockern. Können die Module diese Vibrationen ab, und wenn ja, wie oft? Funktioniert das über Jahrzehnte? Schienen müssen ebenfalls hie und da getauscht werden, was nicht einfach ist, wenn hochsensible Solarmodule im Weg sind. Dann wäre da noch Unkraut – wie kommt man an dieses unter den Modulen ran, ohne dafür Gift zu verwenden? Denn davon möchte die Bahn sowieso weg. Zwischen den Geleisen liegen oft Linienwellenleiter – das sind Kabel, die Signale aussenden, welche der Zug berührungslos liest. Damit werden ICE’s fast automatisch gesteuert. Da darf es keine Störungen geben. Eine weitere Frage sind Unfälle. Solaranlagen sind Hochvoltanlagen, was passiert also bei Entgleisungen? Denn wenn die Sonne scheint, fließt unweigerlich weiter Strom. Die Module sind an den Schwellen montiert, davon gibt es unzählige Varianten und auch Hersteller. Genau mit diesen verhandelt Bankset Energy – offensichtlich müssen diese angepasst werden. Ist gar ein Tausch notwendig, um die Module auf gängigen Modellen zu montieren, dürfte das die Idee empfindlich bremsen. Es gilt also viele Fragen zu beantworten und viele Dinge erst über längere Zeit zu testen, bevor die Idee wirklich skaliert werden kann.
Die Bahn und die Zukunft
Die Bahn hat 60’000 Kilometer Gleis. Aber nur ein Bruchteil wird sich davon für Solaranlagen eignen. Denn es muss genug Sonne ran kommen. Bahnhöfe, Rangiergleise, Weichen, Tunnelstrecken und viele andere Teile sind von einer Installation aus verschiedenen Gründen ausgeschlossen. Daher ist die Hypothese mit fünf Atomkaftwerken viel zu optimistisch. Die Bahn experimentiert regelmäßig und mit sehr vielen Ideen. Sie hat dafür auch ihren eigenen Startup-Inkubator aufgebaut, als Plattform für Entwicklungen und auch zur Finanzierung der besten Ideen. Das ist vorbildlich, aber bringt natürlich mit sich, dass nicht alle Idee funktionieren werden, welche die Bahn ausprobiert – davon gibt es einige Beispiele. Das gehört dazu, wenn man die Zukunft erforschen will. Bankset Energy ist aber kein Teil des eigenen Förderprogramms. Der TÜV-Rheinland untersucht lediglich im Auftrag des Eisenbahn-Bundesamts, in welcher Form Solaranlagen auf Bahnanlagen eingesetzt werden könnten und dazu dienen die Schienen der Deutschen Bahn als Versuchsfläche. Der Konzern dürfte aber grundsätzlich sehr interessiert sein, sitzt er doch sprichwörtlich wie auf Kohlen, was Energie anbetrifft. Die Bahn ist einer der größten Energieverbraucher des Landes, ihr Interesse an alternativen Stromquellen ist sehr berechtigt. Sie ist aber wegen kurzsichtiger Entscheidungen früherer Bahnchefs an langfristige Lieferverträge von Kohlestrom gebunden. Datteln 4 liefert zum Beispiel fast 25 % des Bahnstromes. Das Kohlekraftwerk ist neu, hat sich arg im Bau verspätet und die Bahn wäre sehr gerne aus den Verträgen wieder ausgestiegen, denn die wurden noch zu Zeiten geschlossen, als die Bahn zum Profitkonzern getrimmt wurde und sich niemand politisch für eine grüne Zukunft interessierte. Das änderte sich aber und die Bahn bettelte geradezu darum, dass der Bund doch den Betreiber Uniper entschädigen möge und das Kraftwerk nie ans Netz gehen solle. Das war Berlin aber zu teuer und so muss die Bahn den Strom wohl oder übel nutzen. Es bestand zwar die Hoffnung, dass ein generell früherer Kohleausstieg die Bahn wieder von den leidigen Verpflichtungen befreien könnte – aber mit der Energiekrise ist das eher unwahrscheinlich geworden. So sitzt die Bahn bis 2038 auf dem einst billig gekauften Kohlestrom fest. Interessant ist, dass der Bund jetzt gerade in Uniper einsteigt. Da vermengen sich die Interessen und Abhängigkeiten immer mehr. Durch Marketingrechentricks labelt der Bahnkonzern den Fernverkehr aber schonmal als grün. Damit wird auch sehr aggressiv geworben. Logos, ICE-Bemalungen und spezielle Webseiten lullen die Kunden damit ein, dass die Bahn schon total umweltfreundlich sei. Natürlich liegt das im Auge des Betrachters und kommt darauf an, womit und wie man denn vergleicht. Aber noch stammt nur 60 % des Bahnstroms aus erneuerbaren Quellen, bis 2030 sollen es 80 % werden. Da kommen natürlich tolle Storys über Solargleise und eine leuchtend grüne Zukunft wie gerufen. Doch in naher Zukunft ändert auch ein Solargleis nichts am fossilen Klotz am Bein der Bahn.
Fazit
Die Bahn verfügt über eine Vielzahl von Flächen, sei es auf Gebäuden, Parkplätzen, über Abstellgleisen, Verladeanlagen oder an Bahnböschungen, die sich wahrscheinlich rein physikalisch besser für Solarstrom eignen. Der Vorteil vom Solargleis könnte aber die rationelle und einfach Installation ohne große Bewilligungsverfahren sein. Auch optisch wird die Idee gegenüber anderen Solaranlagen kaum stören. Die Idee ergänzt also das weitere Potential, es soll es nicht ersetzen. Technisch gibt es noch viele Fragen. Funktioniert es aber irgendwann reibungslos, ist das weltweite Potential für Bankset Energy gigantisch. Die Bahn ist ein praktischer Partner und Kunde – kein Großinvestor. Wie genau ein Geschäftsmodell aussieht, also ob Flächenmiete gegen günstigen Strom gedealt wird oder ob die Bahn Infrastruktur kauft und selber betreibt, ist noch nicht bekannt. Laut Bansket Energy sind da viele Varianten denkbar. Aufgrund langfristiger fossiler Verträge muss die Bahn nach jedem Strohhalm greifen, aber noch sind das für sie Visionen.
Ergo: Die Linie zwischen Greenwashing-Märchen und harter Realität mit Kohlestrom ist dünn. So dünn wie der grüne Streifen auf den ICE-Steuerwagen. Das weiß die Bahn und wirbt lieber mit den eigenen Solarmodulen – zum Beispiel auf dem Berliner Hauptbahnhof. Bankset Energy hingegen könnte schon bald eine ziemlich rosige Zukunft winken – und damit vor allem deren Investoren. Denn bei den jetzigen Anwendungen stellen die beteiligten Bahnen nur Flächen zur Verfügung und investieren, betreiben oder handeln nicht selber. Grün wird die Bahn wegen Kohleknebelverträge nicht vor 2038 – auch mit Solargleisen. Sie kommt durch die Solarschiene wahrscheinlich an günstigen Solarstrom, wird aber eher nicht zum Investor oder Betreiber. Ob sich dies wiederum ändert, wenn wie politisch gewollt die Infrastruktur und der Betrieb der Bahn getrennt werden, ist auch noch nicht absehbar. Dann könnte es nämlich einst sein, dass private Drittunternehmen ihre Züge mit Solarstrom aus dem Gleis der separaten Bahninfrastrukturgesellschaft laden, diesen Strom jedoch bei Bankset Energy oder einem anderen Stromanbieter virtuell kaufen und nicht oder noch nicht direkt physisch beziehen – während aber jetzt die schönen Werbebilder von ICE’s auf Solarschienen schonmal richtig dick auf das Image der Deutschen Bahn als Zugbetreiberin einzahlen – obwohl diese heute und vielleicht auch später gar nicht so viel damit am Hut hat. Wenn das aber alles dem Klima trotzdem schlussendlich hilft, umso besser.
Der einzige Fernverkehrsanbieter, welcher jetzt schon mit 100 % Ökostrom fährt, ist ausgerechnet die Konkurrenz Flixtrain – welche deswegen zu Recht nicht nur an einzelne Wagen grüne Streifen klebt, sondern gleich die kompletten Züge in leuchtendem Grün gestrichen hat. So mutet es etwas schräg an, wenn der Staatskonzern die Lorbeeren indirekt über die undifferenzierten Medienmeldungen für das Solargleis einheimst, aber den Solartest eigentlich vom Bundesamt aufgetragen bekommen hat. Derselbe Bund ist dazu auch Besitzer der Bahn und ebenfalls neu Investor in die Kohle, welche die Bahn und der Bund irgendwie eigentlich gar nicht mehr wollen und trotzdem weiter zahlen müssen. Diese Suppe an Undurchsichtigkeiten stehen symbolisch für die vermaledeite Energiepolitik und machen die Deutsche Bahn mittelfristig alles andere als ökologisch völlig unbedenklich, egal wie hell die Sonne scheint. Das Solargleis ist hingegen eine tolle Erfindung, die aller Voraussicht nach international einen großen Durchbruch feiern wird und wirklich ganz erheblich zur Rettung des Klimas beitragen kann.