Der Windkraftbefreier – oder wie Habeck zum Länder-Dompteur wurde

Der Wirtschaftsminister liefert. Und wie! Neue Gesetze zur Windkraft sollen jetzt dem mehr als nur harschen Gegenwind von mitte bis sehr rechts eine kluge Antwort auf das Trotzverhalten der Bundesländer entgegensetzen. Fertig bockig, her mit der viel zu lange ausgebremsten Klimazukunft!

Wow. Dieser Mann! Charismatisch, ehrlich, reflektiert und begnadet kommunizieren kann er auch noch! Noch selten hat ein Politiker die Bürger so mündig und direkt auf den Punkt angesprochen. Eine absolute Wohltat im unter der Zirkuskuppel von Lord Norman Foster in Berlin. Er ist sich für nichts zu schade, zieht die Stiefel an und steigt in die energetische Jauchegrube, die ihm die Vorgängerregierung hinterlassen hat. Er fliegt als grüner Spitzenpolitiker entgegen all seiner Überzeugungen dienstbeflissen in despotische Regionen, um notfallmäßig fossile Brennstoffe aufzukaufen, als gäbe es kein Morgen mehr. Obwohl er weiß, dass es genau wegen dieser vielleicht kein Morgen mehr gibt. Er stellt sich vor die Kameras und redet über – man halte sich fest – seine Gefühle! Ja, es sei für ihn total seltsam, mitten in der Krise in dieser künstlichen Welt der Scheichs ausgerechnet als Wirtschaftsminister einer Zukunftsampel, die grün durchstarten wollte, ernsthaftestens Verträge über Gas und Öl zu verhandeln. Ja, ins kalte Wasser ist er gesprungen. Und trotzdem ist es ihm gelungen nebenbei in kurzer Zeit auch noch einen für die Umstände doch recht smarten Mechanismus zu entwerfen, verhandeln und den Beteiligten zu verkaufen. Nämlich für die Windkraft – dem Zugpferd, das den Karren aus dem Dreck ziehen soll. Werfen wir einen Blick darauf.

Blühende Landschaften – aber bitte ohne Windräder. Brandenburg wehrt sich und wird doch zum Windparadies werden.

Vom Winde verweht

Keine Wahl, keine Windräder sind keine Option. Aber niemand will sie. Warum nur? Deutschland hat zu wenig Berge für Wasserkraft. Solar geht, aber wirds nicht alleine reißen. Wind weht auch bei Dunkelheit und schlechtem Wetter. Wissen wir alles. Auch, dass das Klima vor die Hunde geht und dass keine Zeit bleibt. Trotzdem haben SPD wie CDU mit Pipelines von neuen Gasgroßkraftwerken geträumt und uns einen Schmäh von befriedender Russlandpolitik aufgetischt. Wie die Äuglein leuchteten, als die Kanzlerin umringt von seltsam grinsenden Männern vor den Fernsehkameras an diesem Gasrad drehte. Dieses symbolische Bild kommt uns heute so irrwitzig vor – das war kein Leuchten des friedlichen Glücks, das war kranke Gier. Deutschland hatte es aus einer schlimmen Arbeitslosenkrise Anfangs Nullerjahre zum Exportweltmeister gebracht. Auf Pump. Politischem Pump, weil auf Gedeih und jetzt vor allem Verderb abhängig geworden, klimatischem Pump, weil das ein Kredit auf die Zukunft unserer Jugend war. Und nachhaltig war die Denke sowas von überhaupt nicht, dass man sich jetzt wundert, wie man so unverfroren zwei Jahrzehnte lang alles der neoliberalen Religion untergeordnet hat. Wirtschaft über alles, Zukunftssicherheit null. Quartalszahlen und Legislaturerfolge waren der Maßstab und nicht eine nur schon mittelfristige Zukunft dieses Planeten und der nächsten Generation in diesem Land. Den Spaniern hat man eben gerade noch vorgeworfen, wegen gieriger Politik selber an der historischen Misere der Finanzkrise Schuld gewesen zu sein. Und nun muss man zugeben, dass die heimische Solarindustrie komplett zerfallen und abgewandert ist. Vom Solarvalley ist nur noch ein einsames Schild an der Autobahn übrig. Auch die Windkraft, die so im Aufwind war, wurde aggressiv geradezu niedergeknüppelt. Für ein paar strukturell längst verlorene Kohlekumpel hat man hunderttausende Arbeitsplätze in den Erneuerbaren geopfert. Symbolpolitik und Populismus alter weißer Männer – legitimiert durch die angebliche Rationalität der leitlinienbefugten Kanzlerin. Eine Physikerin notabene, die genau wusste, was sie da fürs Klima tut. So, fertig ausgekotzt. Aber wir müssen uns diesen Hintergrund nochmal richtig bewusst vor Augen führen, wenn wir jetzt einschätzen wollen, was der Wirtschaftsminister Habeck innerhalb von Tagen korrigieren und komplett neu aufbauen muss. Gegen eine lärmige und gehörnte Opposition, gegen den Willen von patzigen Bundesländern, gegen immer noch viel zu viele stoisch die absolut bedrohlichen Zeichen der Zeit nicht begreifenden Politiker einer Generation, die nur Wirtschaftswunder, Wohlstand, Aufschwung, Reichtum, Aufstieg und keine Konsequenzen kannte. Und Roberts Zaubertricks sind nicht perfekt – aber angesichts der Lage und der kindergartenähnlichen Gegenwehr von hanebüchenen Abstandsregeln, hat er ziemlich ausgebuffte Mechanismen entwickelt, strategisch doch gerissen. Ja, Klimaprogressive sind enttäuscht, denn radikal ist das noch nicht wirklich – aber eben auch nicht nichts, ganz im Gegenteil. Schauen wir jetzt mal in diese Trickkiste rein.

Spoiler: es ist vor allem pragmatisch…

Funktionieren soll der Windboom vor allem mit einem Gleichgewicht aus Anreizen, vermeintlichem Handlungsspielraum und klaren Zielen. Länder können das Gesicht wahren, das wirkliche Problem wird erst in die nächste Legislatur verschoben und der Machtpoker hat trotzdem Robert gewonnen. Aber der Reihe nach: In letzter Sekunde haben mehrere Bundesländer versucht, Abstandsregeln für Windräder aus dem Boden zu stampfen. Auch wenn sie wussten, dass garantiert und unumgänglich nationale Regeln kommen werden. So versuchen konservative Politiker ihren Wählern zu verkaufen, sie hätten sich eingesetzt und sie vorerst vor den schrecklichen Todesmühlen geschützt. Kurz, eine populistische Bremsspur. Bayern hat ja schon lange vorgemacht, wie man Windkraft einfach vernichtet. Söder gerät unter Druck und fabuliert von Atomkraft und dass es anderswo mehr winde. Das hat aber weder NRW, Brandenburg noch jüngst Sachsen davon abgehalten, trotzdem das Gleiche zu tun. Sie wissen genau, dass besonders nach Corona und einer plötzlich viel linkeren Politik die einfache Masche von “die in Berlin haben uns gar nichts zu sagen!” an den Stammtischen funktioniert. In Thüringen kommt es sogar zum ultimativen Eklat. Die angebliche Brandmauer-CDU kuschelt nicht nur mit der AfD, sondern verbündet sich dammbrechend mit dieser, nur um dem Wind Steine in den Weg zu legen. Ja, genauso bescheuert wie diese Metapher ist die Wirklichkeit. Denn alle haben begriffen, dass der extreme Notstand ganz neue Dimensionen in der Energiepolitik mehr als nur rechtfertigt. Und diese Länder tun das im vollen Bewusstsein, dass in Roberts Amtsstuben gerade das Gegenteil ertüftelt wird – und auch, dass er schnell sein wird. Ungewöhnlich, ja unerhört schnell für das Beamtendeutschland, dass bis eben gerade sowieso durch Bräsigkeit alles ausbremste und sich deswegen die Politiker nicht mal die Hände schmutzig machen mussten beim ins Getriebe greifen, denn da war schon von alleine genug Sand.

Genau hier könnte Berlin noch ein Windrad bauen. Neben den zwei Fernsehtürmen ein weiteres Symbol für den Fortschritt der Zeit.

Aber nun ist es raus. Das neue Windkonstrukt. Und weil es so verschachtelt, von Sachzwängen durchzogen und kompliziert ist, kann die Opposition jetzt nicht so einfach draufhauen wie in den vier windabtrünnigen Bundesländern. Da wäre die Zielvorgabe: 2 % der Fläche. So einfach. Dann der Wind aus den Segeln: Wer nicht will, kann sich bei anderen Ländern die nötige Fläche zukaufen. Aber nur 25% – Bayern kann also nicht mit dem prallen Geldbeutel alles in den armen Norden schieben. So liegt der Ball beim Bundesland und nicht mehr in Berlin, aber aus der Verantwortung stehlen kann man sich auch nicht. Mit dem Argument, dass es unterschiedlich viel Wind gebe, kann man nicht kommen, denn dafür ist ja der Ablasshandel möglich. Und dann ist da noch die Peitsche: Es gibt Zeitvorgaben. Bereits bis 2026 müssen die Länder schon 1,4 % an Fläche erreicht haben – Strafe gibt es ebenso, wer es nicht schafft, dem können die jetzt kreativ erfundenen Abstandsregeln auf gestrichen werden. Will heißen, wer das Ziel nicht pünktlich erreicht, dem werden die Landesgesetze mit jenen des Bundes überschrieben. So kann auch keiner jammern, es sei von Anfang an alles oben herab gewesen. Dieser geschickte Spielraum nimmt genau die Politiker in die Pflicht, welche meinten, sich jetzt so bauernschlau davonstehlen zu können. Diese haben sich gerade mit den neuen Landesregeln selber eine Zwickmühle zementiert und notabene Erwartungen der Bürger geschürt. Selber schuld. Auch die Ausrede Vogelschutz zieht nicht mehr, nach langem Ringen der Behörden ist die Liste der angeblich bedrohten Arten zusammengestrichen worden. Das alles zwingt die Länder nun automatisch auch, die Bewilligungsprozesse stark zu beschleunigen, weil im eigenen Interesse. Auch das hat das Wirtschaftsministerium damit delegiert. Und noch ein geschicktes Detail: Die Regeln sind eben so flexibel, dass der Bundesrat nicht darüber befinden muss. Habeck hat also alles versucht, dem wichtigsten Faktor vorzuleisten: Zeit. Wir haben keine Zeit mehr für Spielchen. Darum sollen sich jetzt die Bundesländer gegenseitig die Augen auskratzen und nicht den Wirtschaftsminister alleine an den Marterpfahl binden können. Auch an die Stadtstaaten hat man gedacht: Sie müssen nur 0,5 % der Fläche hergeben, so kann keiner jammern, die würden nicht auch wenigstens etwas dazu beitragen. 0,5 % in Berlin ist aber eine ganz erhebliche Menge, die jedoch sehr wahrscheinlich noch um die 25% reduziert wird, welche ja zukaufbar sind. Neue Räder gibt es höchstens auf dem Teufelsberg, irgendwo in Kladow, auf dem gigantischen Müllberg der Deponie Hirschberg oder hinter dem Müggelsee. Sonst gibt nämlich keine Flächen. Ein Problem bleibt jedoch: der Showdown 2026. Von 16 Bundesländern wird es ziemlich sicher einen oder gar ein paar Nachzügler geben. Denn Fachkräfte fehlen, der letzte Windmühlenbauer Deutschlands hat gerade diese Tage seine Zelte abgebrochen und sich nach China aufgemacht. Ambitioniert ist es, das Projekt. Die Rahmenbedingungen sind damit gesetzt – jetzt kann die Industrie auch endlich verlässlich finanziell handeln. Und genau das ist etwas, was in diesen Gesetzen nicht geregelt ist. Und die nun sowieso schon getrieben Liberalkonservativen werden alles daran setzten, wenigstens fürstlich vom Boom zu profitieren. Dass die Zeit nicht reicht für eine soziale und gerechtere Energiewende, ist ein Drama. Warum? Hüpfen wir gleich in den nächsten Abschnitt:

Wohin geht der Weg? Bundesländer können jetzt einen Ablasshandel mit dem Wind betreiben.

The wind of change – aber für wen?

Dass man wegen Putin und aber auch der immer lauter werdenden Klimabewegung jetzt nach jedem Strohhalm greifen muss, ist klar. Die CDU erzählt ihren Rentnerwählern trotzdem noch etwas von Wasserstoff, lässt aber den Teil weg, wie Wasserstoff entsteht. Ja, man kann ihn in der Wüste bei den Scheichs kaufen, die gerade Morgenluft wittern und Unsummen in dessen Produktion stecken. Vom Regen in die Traufe. Man kann ihn auch durch Elektrolyse selber herstellen. Strom ist aber leider dermaßen knapp und wird es noch lange bleiben – denn es fehlen eben Windräder und all die neuen Elektroautos müssen irgendwie geladen werden. Offshore hat Deutschland nicht so viel Platz, wie andere Staaten. Onshore bedeutet ab in die Pampa. Da Deutschland vergleichsweise noch sehr ländlich ist – es wohnen weniger Menschen prozentual in Städten als in vielen anderen Industriestaaten – ist da immer irgendwo ein Haus oder ein Dorf. Ein demokratisches Dilemma. Schnell große Summen kann nur der Staat oder die Energieindustrie aufbringen. Bürgerkraftwerke wären aber viel besser. Jedoch sind lokale Bürgermeister in Verhandlungen gegen Großinvestoren nicht wirklich gewappnet und zu viele Bürger haben Angst vor den so lange schlecht geredeten Turbinen. Am teuflischsten ist es, wenn sich Energiekonzerne und der Staat gar zusammentun. Die FDP und ihr windiger Finanzminister haben sich das fein ausgedacht: Coronamilliarden in einen “Klimafonds” umbuchen und dann die Kohle an Konzerne verteilen, um damit die Energiezukunft zu bauen. Oder so ähnlich. Dass die selber ihr Geld zusammensuchen sollen und dieses Geld eben besser bei von den Bürgern selber verwalteten kommunalen Kleinstwindparks landen sollte, liegt jetzt schlicht zeitlich nicht mehr drin. Und das ist die eigentliche Katastrophe in der Katastrophe. Nicht die nur 100’000 von Windräder mutmaßlich getöteten Vögel (Hauskatzen fressen davon weit mehr als eine Million jedes Jahr) oder Infraschall halten jetzt ängstliche Landbewohner davon ab, dass aus dem Race to Nettonull nicht genau das so vernachlässigte ländliche Gebiet für noch Generationen von dem Windboom profitieren könnte. Umverteilung, Strukturwandel, Einnahmen – es könnte so herrlich sein wie zum Beispiel in der Schweiz, wo Berggemeinden mit einem Stausee über Jahrzehnte Wasserzinsen bekommen und steinreich wurden. Sie kauften sich dafür Bergbahnen, Wellnessbäder, Straßen, alles was das strukturschwache Herz begehrte. Und der Clou: wenn die erstkonzessionierten Jahrzehnte um sind, fallen die Kraftwerke von den Investoren an die Gemeinden zurück. Da kommt es also, dass nach 50 oder 70 Jahren mitten in der Klimakrise die saubere Energie automatisch in die Hände der Bürger fällt. Die haben dann nicht nur selber grünen Strom, sondern sitzen dann auch noch direkt an der Quelle des unsichtbaren Goldes. Genau jetzt ist die Zeit, solche Deals abzuschauen und die Zukunft der eigenen Gemeinde oder Region für die nächsten 100 Jahre abzusichern. Ok, Windräder werden nicht so alt wie Staumauern, aber der Gedanke zählt. Die Spiele sind eröffnet.

Der abendliche Blick vom Berliner Teufelsberg im August nach Brandenburg. Braucht es bald kein Teleobjektiv mehr für eine politische Horizonterweiterung?

Fazit

Deutschland hat auf Kosten der Zukunft gelebt, ja tut es immer noch. Man hat alle Abbiegemöglichkeiten verpasst. Jetzt sitzt man mitten drin in der Falle. Knallhart muss da jetzt gemeinsam herausgeklettert werden. Jeder muss dem anderen die Räuberleiter machen, sonst werden alle verlieren. Die Windnovelle ist komplex, so fair wie es auf die Schnelle geht, könnte gesellschaftlich gemeinsamer gedacht sein, berücksichtigt aber vor allem die Steine, welche bereits in den Weg gelegt wurden. Elegant wurde die Verantwortung klar föderalistisch definiert, so wie es die Abstands- und 10H-Fürsten ja immer plädieren. Nun stolpern diese über ihre eigenen Gesetze. Problematisch ist eher, dass viele davon die Energiewende nur noch aus der Rente beobachten werden. Junge Menschen werden erst in ein paar Jahren vor Gericht ziehen, und ihr Verfassungsrecht auf Zukunft einklagen können – dann nämlich, wenn 2026 Bilanz gezogen wird. Oder aber eine komplett veränderte politische Zusammensetzung wird dann noch progressiver vorangehen. Das ist zwar zu erahnen, jedoch genauso unsicher wie die geopolitische Lage. Aber diese, das Klima und der IPCC mit dem drastisch verkürzten Zeitfenster für die Rettung der Welt, treten der Generation Boom jetzt deutlich in den Hintern – mit Roberts Zauberformel. Man kann nicht alles haben, darum sollte man sich wenigstens für eine Zukunft entscheiden. Windräder werden darum bald so selbstverständlich wie Strommasten oder Handyantennen sein.

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