Die Pflicht, es besser zu machen: Passivhaus

Wir haben die Technologien längst - doch warum nutzen wir sie nicht? Was wir dagegen tun können und ein pragmatisches Beispiel wie das gehen kann.

Irgendwie ist es schon bizarr. Wir haben Energiekrise, weil wir abhängig sind von Energie. Zum Beispiel, um unsere Häuser zu heizen. Dabei gibt es Häuser, die viel weniger oder gar keine Heizung mehr brauchen. Ja sogar welche, die mehr Energie produzieren als sie konsumieren. Klar haben wir einen gigantischen Altbestand, aber wir diskutieren gerade nur, wie wir diesen verbessern können. Überall Schlagzeilen zu Wärmepumpen, grünerem Strom, Energieimporten und Wasserstoff. Warum nicht wenigstens bei Neubauten (fast) ganz darauf verzichten? Genau das hat jetzt eine Regierung beschlossen, und nicht nur das ist bahnbrechend, sondern auch ihr Weg dazu. Lets get physical.

Ist es tatsächlich so einfach?

Du hast sicher auch schon von Passiv-, Nullenergie- oder sogar Plusenergiehäusern gehört. Passivhäuser gibt es seit 1991 und das erste davon stand in Deutschland. Während der Lebensdauer amortisiert sich die Anfangsinvestition übrigens rein dadurch wieder, dass keine oder weniger externe Energie gekauft werden muss. Es ist auch möglich, alte Häuser auf diese Standards aufzurüsten. Natürlich geht das nicht mit allen bereits bestehenden Häusern gleich gut und auch nicht von heute auf morgen. Und genau hier stoßen wir immer wieder auf ein Paradoxon, was in der Politik, auf sozialen Medien und an Stammtischen uns immer wieder in die Sackgasse führt. Der deutsche Perfektionismus. Ideen werden diskreditiert, weil sie angeblich nicht perfekt seien oder auch Nachteile hätten. Aber weiter nicht oder zu wenig handeln, erzeugt viel größere Nachteile. Wir müssen lernen, dass nicht ganz perfekte Lösungen deswegen trotzdem nützlich sind, gerade weil wir jetzt keine Zeit mehr zu verlieren haben.

Es ist auch eine Sache der Ressourcen. Bis jetzt gilt so etwas wie ein freies Recht, sich so billig, unvernünftig und umweltschädlich wie man lustig ist, ein Haus bauen zu dürfen. Gerne vom Fließband, mit pappdünnen Wänden und hauptsächlich aus Plastikfassaden, Schaumstoff und anderen erdölbasierten Komponenten wie Kleber, Folien und Fenstern bestehend. Egal wie schlecht geschnitten und bauphysikalisch vermurkst. Sendungen über glücklose Häuslebauer, die auf zwielichtige Anbieter hereingefallen sind, gibt es zuhauf. Das Versprechen, dass es jeder schaffen kann, ist ein Übrigbleibsel aus dem Wirtschaftswunder und gilt schon längst nicht mehr. Wer heute ein Haus baut, der hat geerbt und/oder verdient weit überdurchschnittlich gut. Auch ist es Tatsache, dass random und massenweise auf die Wiese gestellte Einfamilienhäuser eine historisch erst recht kurz existierende Praxis von Wohnen ist und mit Abstand am meisten Energie, Ressourcen und Platz verbraucht. Selbst Schulen, Verwaltungsgebäude und Bürotürme werden immer noch so gebaut, dass sie viel Energie verbrauchen. Warum zur Hölle machen wir also mit etwas weiter, was gar keinen Sinn macht? Muss das sein, einfach aus Tradition und Ignoranz?

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg

Die Antwort ist natürlich nein. Wir könnten zum Beispiel ohne große Schmerzen beschließen, dass wenigstens bei allen Neubauten ein Mindestenergiebilanz gelten soll. Das wäre ein Anfang. Wer ein Haus baut, muss dafür sorgen, dass viel weniger zusätzliche Energie – oder ganz ambitioniert gar keine -für dessen Betrieb als bisher notwendig sein wird. Und bevor jetzt einige monieren, dass sich so manche ein Eigenheim nicht mehr leisten könnten, sei erwähnt, dass solche Häuser gar nicht mal viel teurer sind und schon heute in Deutschland von der KfW und vielen regionalen Förderprogrammen gefördert werden. Wir bauen aber immer noch mehrheitlich das Gegenteil. Das ist ineffizient wie inkonsequent. Damit sorgen wir für den Bau von Häusern, die für ihre Heizung sowie zunehmend auch für die Kühlung im Sommer mindestens noch auf Jahrzehnte hinaus Strom, Erdöl, Holz oder Gas zusätzlich verbrauchen werden und damit auch die Gesellschaft mit den Folgekosten belasten. Von den anderen Nachteilen mal ganz abgesehen. Wir sabotieren uns so also ganz aktiv im Erreichen unserer Klimaziele, denn um die zu erreichen bleiben keine Jahrzehnte mehr. Dass man das alles tatsächlich einfach ändern kann, beweist nun ausgerechnet Schottland als eine recht nördlich gelegene Gegend mit eher rauem Wetter. Dort wurde jetzt nämlich politisch beschlossen, dass neue Häuser und Wohnungen bald mindestens den Passivhausstandard einhalten müssen. Auch der Weg zu dieser Entscheidung ist demokratisch äußerst interessant.

Das Vaubangelände in Freiburg – ein ehemaliges Kasernengelände, auf welchem ein neuer Stadtteil entwickelt wurde. Die meisten Häuser sind dort Niedrigenergiehäuser, einige sogar Plusenergiehäuser. Um die Kosten niedrig zu halten, haben hier viele Familien Eigenleistungen beim Bau erbracht. Zudem gibt es auch genossenschaftliche Anteile. Der Stadtteil gilt als einer der kinderreichsten und jüngsten ganz Deutschlands. Er ist vorbildlich mit Nahverkehr erschlossen. Es geht also nicht nur in Schottland, sondern auch bei uns.

Beispiel Schottland

Konkret gibt es einen Gesetzesentwurf, der in ca. zwei Jahren verbindlich werden soll. Er schreibt vor, dass alle Neubauten mindestens dem Passivhausstandard entsprechen müssen. Dabei wurde gar nicht ewig politisch diskutiert und dann alles wieder mit Kompromissen bis zur Unkenntlichkeit eingerissen, sondern die Schotten haben einen speziellen, sehr effizienten Weg dafür gefunden. Es gibt nämlich eine Art Klimabeirat, bestehend aus Bürgern, welche per Zufallsprinzip dazu ausgewählt wurden, um eine möglichst breite Demografie und auch verschiedene Einstellungen zum Thema abzubilden. 106 Personen haben so in sieben Sitzungen jeweils an Wochenenden – aufgrund der Covidkrise vollständig online – Empfehlungen an die Regierung erarbeitet. Dabei ging es um die Frage, wie sich Schottland verändern sollte, um den Klimanotstand effektiv und fair anzugehen. An drei der sieben Wochenenden wurden die Mitglieder der Versammlung in separate Themengruppen aufgeteilt: Ernährung, Landnutzung & Lifestyle, Häuser & Gemeinden und Reisen & Arbeit.

Das Ergebnis waren Empfehlungen an das schottische Parlament, welches danach sechs Monate Zeit hatte, darzulegen, wie es darauf reagieren will. Das geschah dann in einer weiteren Versammlung, in welcher die Ergebnisse erläutert und diskutiert wurden. Eine der Empfehlungen war nun, dass künftige Gebäude den international etablierten Passivhausstandard erfüllen müssen. Um Zeit zu sparen, wird diese Vorgabe direkt in den sekundären Gesetzgebungsprozess weitergegeben, ohne den umständlichen und lange dauernden Prozess der üblichen Mitgliederentwürfe zu durchlaufen. Zusammengefasst ist hier in extrem kurzer Zeit durch eine Art Bürgervertretung eine Handlungsempfehlung entstanden, die auf dem raschest möglichen Weg zu geltendem Gesetz wird. Anstatt ganz grundlegend die bestehende Demokratie zu überdenken und an die Herausforderungen der Klimakatastrophe anzupassen, hat man einfach zum bestehenden System neue Funktionen hinzugefügt, welche enorm Zeit sparen, breit abgestützt sind und schnell zu Lösungen führen. Nicht ewig debattieren und blockieren, sondern gemeinsam forcieren quasi. Und es kann sich trotzdem keiner beklagen, es sei nicht fair oder einseitig abgelaufen.

Das Passivhaus

Gleich vorneweg, Passivhäuser kommen nicht ganz ohne zusätzliche Energie aus. Aber sie sammeln durch geschickte Bauweise möglichst viel Energie aus ihrer Umgebung. Durch gute Dämmung und aktive Lüftungen speichern sie auch möglichst viel davon. Üblicherweise benötigen sie nur 20 % der Energie eines normalen Gebäudes. Die offizielle Grenze liegt bei weniger als 15 kWh/(m²a) Heizwärmebedarf. Außerdem zeichnen sich solche Häuser durch hohen Wohnkomfort im Sommer wie Winter aus. Gerade weil das Klima im Gebäude kontrolliert wird, ist dieses angenehmer als in herkömmlichen Bauten. Die dazu notwendigen aktiven Lüftungen haben auch weitere Vorteile: Die Innenluft kann von Pollen, Viren etc. gefiltert werden und frischere Luft enthält mehr Sauerstoff, was wiederum zu mehr Konzentration beiträgt – im Homeoffice, Büros und Schulen nicht zu unterschätzen. Auch die konstante Innentemperatur rund ums Jahr ist ein Vorteil. Dazu kommt oft etwas mehr Platz, da meistens Heizkörper, Kamine etc. im Wohnraum fehlen.

Nicht zu verwechseln ist das Passivhaus mit dem Niedrigenergiehaus, welches einen zusätzlichen Heizbedarf von bis zu 50 kWh/(m²a) zulässt. Nach oben gibt es noch das Nullenergiehaus, sein Name erklärt sich selber. Ein Plusenergiehaus wäre schließlich der Goldstandard, solche Häuser verbrauchen weniger, als sie produzieren. Dazu sind unter anderem auch Solarfassaden und noch mehr Dämmung notwendig. Solche Häuser sind im Vergleich zu Passivhäusern noch recht teuer. Aber durch die zuletzt gestiegenen Energiekosten werden sie zunehmend wirtschaftlicher. Schottland will also nicht den kompletten Energieverbrauch abschaffen, aber zumindest vorschreiben, dass die mögliche vorhandene Technik zum Gesetz wird und nicht weiter unkontrolliert katastrophale CO2-Schleudern gebaut werden dürfen.

Die genannten Standards unterscheiden sich übrigens regional und sind üblicherweise auch nach diesen Region benannt. Zum Beispiel heißen solche Häuser im Südtirol “KlimaHaus” und werden in Kategorien eingeteilt, dort wird auch noch die Recyclebarkeit mit eingerechnet. Tatsächlich orientieren sie sich meistens am ursprünglich in Deutschland entwickelten Vorbild. So auch der geplante schottische Standard. Kritik gibt es an den Berechnungen des tatsächlichen Energiebedarfes, der kann manchmal höher sein, als die Modellrechnungen beim Bau annehmen. Das hat aber nicht mit der Bauphysik zu tun, sondern vor allem mit dem Verhalten der Bewohner, die z.B. geöffnete Fenster bevorzugen und damit die Technik umgehen. Die Mehrkosten beim Passivhaus halten sich mit 3-8 % in Grenzen. Sie entstehen vor allem durch zusätzliche Dämmung. Über 30 Jahre gerechnet sind Passivhäuser nicht unbedingt teurer als herkömmliche Häuser.

Passivhäuser stehen herkömmlichen Häusern in nichts nach, eher im Gegenteil.

Fazit

Mit einer Passivhauspflicht vergleichbar sind die in immer mehr Regionen aufkommenden Solarpflichten. Wir haben schon in Vergangenheit viele Pflichten eingeführt, die der Umwelt zugutekamen. Man denke an die Abwasserklärung, die Rücknahmepflicht von Elektroschrott, Pfandsysteme oder Katalysatoren. Die initialen Mehrkosten waren auf die Zeit nicht wirklich relevant, schon gar nicht im Vergleich zu den Folgen. Der Gebäudesektor macht in Deutschland fast 40 % des Gesamtenergieverbrauches aus. Durch die Massenproduktion und technische Entwicklungen werden einstige Nischenlösungen zudem auch meist über die Zeit sowieso günstiger. Wenn wir Öl- und Gasheizungen verbieten sowie aus dem Verbrenner aussteigen, warum auch nicht bessere Häuser sofort zur Pflicht machen?

Natürlich ist die schottische Entscheidung pragmatisch und der Weg dazu ebenfalls. Genau das bringt uns jetzt aber weiter und gibt uns vielleicht überhaupt erst eine Chance, das Klima noch retten zu können. Perfekt ist die Lösung sicher nicht. Auch Passivhäuser haben Nachteile, sie verwenden zum Beispiel viel mehr Dämmstoffe, die in der billigsten Form fast immer aus Schaumstoff bestehen, also quasi Wolken aus reinem Erdöl. Und diese machen oft alleine mindestens das Energieäquivalent aus, welches dazu nötig wäre ein normales Haus ein Jahr zu heizen. Dafür sind aber all die Folgejahre davon befreit. Das bedeutet erstmal den Einsatz von mehr Materialien, die letztendlich meist Sondermüll sind. Natürlich könnte man auch umweltverträgliche Dämmung genauso wie den Passivhausstandard vorschreiben. Klar hinterlassen wir so auch weiterhin Probleme, die zukünftige Generationen mühsam werden lösen müssen – siehe dazu den Beitrag zu Holzbauten – aber wir retten deren Zukunft überhaupt erstmal.

Das alles geht schnell, konsequent und fair. Dass jeder so weiterleben und alles haben kann, ist allerdings wirklich nicht mehr möglich. Und gerade beim Häusle bauen, ist das sowieso schon länger so. Das Argument teurere Miete zählt übrigens auch nicht, denn die Heizkosten entfallen und jetzige Sanierungsmaßnahmen dürfen ja schon ungefragt den Mietern zugemutet werden. Revolutionär ist nicht die Technik, sondern viel eher die Konsequenz, der Wille und der schnelle Weg zu Gesetzen und Veränderungen. Jede Regierung, die den Klimanotstand ausruft, kann solche Beschleunigungen etablieren. Und wenn wir aus der Grube der Faxgeräte und Bürokratie herausklettern wollen, zurück zur weltberühmten “German Efficiency”, dann sollten wir uns an Schottland ein Vorbild nehmen. Alles ist möglich, und zwar jetzt schon. Gut leben kann man auch einfach beschließen.

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