Was ist eigentlich diese Verkehrswende genau? Teil 2/2

Zurück in die Zukunft: U-Bahn, Straßenbahn, Elektroauto und Fahrrad dominierten Anfang des letzten Jahrhunderts schon einmal deutsche Städte. In diesem Teil geht es um Parkplätze, Logistik, Geld und die globale Verkehrswende. Wir schauen auch darauf, wer in Deutschland dahinter steckt.

Von Jakarta (Indonesien) über Bogota (Kolumbien), Montréal (Kanada), Sydney (Australien) bis Pittsburgh (USA) oder Auckland (Neuseeland) wird gerade der Platz in den Städten neu verteilt – zugunsten von Fußgänger, Fahrrad und Nahverkehr. Bild: Boston.

Willkommen zurück. Das ist Teil 2 dieses Beitrages zur Verkehrswende. Weil alle darüber reden, wollen wir uns hier zusammen einen groben Überblick darüber verschaffen. Das gesellschaftlich ambitionierte Vorhaben geht nämlich weit über Elektroautos hinaus. Im besten Falle werden wir diese gar nicht mehr so besonders brauchen, jedenfalls nicht mehr so wie heute. Radfahren ist gesünder, günstiger und volkswirtschaftlich viel vorteilhafter, aber weil das nicht alle können werden und nicht für alle Aufgaben praktikabel ist, spielen auch Änderungen bei Logistik, Flugverkehr und Bahnreisen eine Rolle. In Teil 1 haben wir den Begriff Verkehrswende abgesteckt, auf die 15-Minuten-Stadt geschaut und über Sharing gesprochen. In diesem Teil geht es um Platz, Geld, Politik und die globale Verkehrswende.

Platz schaffen

Am meisten müssen sich eingefleischte private Autofahrer auf Veränderungen einstellen. Denn ihr Luxus wird ab sofort fairer auf andere verteilt werden müssen. Und das fängt mit dem Platz, genauer dem Parkplatz an. Wer privat ein Auto besitzen will, muss mehr dafür bezahlen: mehr für Energie, Parken und Zulassung. Von Singapur bis Amsterdam wird so die Menge an Privatfahrzeugen gesteuert. In Deutschland sind zu jedem Moment nur gerade 10 % der Autos in Betrieb, die anderen 90 % stehen ungenutzt herum oder im Weg. Der Anspruch, dass man Autos direkt vor dem Haus, aber auf öffentlichem Grund auf Kosten anderer abstellen kann, wird weichen müssen. Ein Konzept könnte die Kiezgarage sein. Zählungen haben in Berlin ergeben, dass Parkhäuser z.B. in Neukölln und Kreuzberg teilweise regelrecht leer stehen, genauso rund um die umstrittene Friedrichstraße. Sie könnten quasi kommunalisiert werden, anstatt weiterhin dem Profitgedanken zu dienen. Man könnte sie dann zu regelrechten Mobilitätszentren machen. Sharen, mieten, umsteigen, laden und auch noch ein wenig parken für Anwohner. Das Konzept der Jelbi-Mobilitätshubs in Berlin macht es vor. Mancherorts werden Parkgaragen auch zu Wohnungen umgebaut.

Und an die Ewiggestrigen: Die Elektrifizierung wird es nicht richten, denn schon bisher kamen mehr als zwei Drittel des Feinstaubes nicht aus dem Auspuff, sondern vom Reifenabrieb, der Lärm wird auch nicht viel besser, die Rollgeräusche sind das größere Problem als die Motoren. Im Stau steht man auch unabhängig von der Antriebsart. Darum müssen wir jetzt kluge politische Entscheidungen treffen. So sind zum Beispiel Lademöglichkeiten an Straßenlaternen oder Bordsteinen genau das Gegenteil von einer Verkehrswende, sie zementieren nämlich auf alle Ewigkeit Platz für leere Blechdosen im öffentlichen Raum. Laden kann man unterwegs oder in Garagen – nicht auf dem Gehsteig. Regulierung tut Not. Ja, Herr Wissing, sie sind gemeint.

Jelbi-Mobilitätsstationen an strategischen Verkehrsknotenpunkten des ÖPNV. Man kann alle möglichen Sharingangebote mit nur einer einzigen App ausleihen.

Öffentlicher Nahverkehr

Die Bahn lassen wir aus. Wir alle wissen, wie die aussehen muss und die Politik hat dies auch längst schon beschlossen, die Nachbarländer lassen grüßen. Es hapert nicht am Geld, sondern an Unterhalt, Fachkräften und Struktur. Ein hausgemachtes und politisches Problem. Neu werden auch die putzigen autonomen E-Shuttels viel mehr Aufgaben übernehmen. Gerade für gesundheitlich weniger mobile Menschen. Digitalisierung wird die Verkehrsformen verknüpfen, auch hier machen uns Finnland, die Schweiz usw. grandios vor, wie weit wir noch hinterherhinken. Da kann von Tür zu Tür über eine App und alle Verkehrsträger hinweg geplant, gebucht und gereist werden. Das Auto muss nicht ganz weg (schön wäre es aber), viele Wege können jedoch zu viel größeren Anteilen ohne erledigt oder ganz weggelassen werden. Schlechte Stadtplanung schafft unnötige Mobilitätsbedürfnisse. Wir haben viel zu lange in die autogerechte, suburbane Fläche gebaut und dann das Problem mit der vermeintlichen Lösung S-Bahn weiter stimuliert. Bessere Siedlungspolitik ist auch Verkehrspolitik. Die Menschen müssen wieder da wohnen, wo sie leben. Die Verödung deutscher Innenstädte spricht Bände darüber.

Von Amazon über DHL bis Schenker, sie alle testen und führen Cargobikes für den Nahbereich ein. Denn in der zweite Reihe auf Radwegen parken oder ständig Parkplätze suchen ist wirtschaftlich ineffizient und für alle Verkehrsteilnehmer gefährlich.

Logistik

Schon wieder so ein Thema, welches einen eigenen Beitrag verdient. Für schwere Güter die Bahn. Weil erst die Osterweiterung LKW’s extrem billig machte – auch auf Kosten der Fahrer – explodierte der Güterverkehr unkontrolliert. Für den Nahbereich gibt es genauso viele Konzepte wie beim Privatverkehr. Zum Beispiel kommunal geregelte Verteilzentren für Paketdienste oder auch die gerade aufkommenden Schnellliefer-Supermärkte können viele Autofahrten vermeiden, denn sie setzen auf elektrische Fahrräder und Roller. Wer bisher mit dem SUV nur wenige hundert Meter zum Bäcker gefahren ist oder sein Auto mit den schweren Wasserkästen, kranken Omas oder ständig gekauften Waschmaschinen rechtfertigt, der muss zugeben, dass es für all das viel effizientere Lieferdienste gibt. Auch viele Handwerker steigen bereits heute auf kleinere, elektrische Wägelchen oder Lastenfahrräder um. Einfach, weil sie damit wendiger sind, weniger Parkplätze suchen müssen und darum mehr Zeit für mehr Aufträge haben und diese nicht im Stau verplempern. Es wird auch von viel weniger Stress berichtet.

Mehr Zeit für die Kunden und weniger Stress sind überzeugende Argumente.

Ist der Weg das Ziel?

Es müssen nicht alle und auch nicht auf eine einzige Lösung wechseln, die ihnen nicht zusagt. Angesichts der jüngsten Krisen ist das auch resilienter. Es wird darum mehr Möglichkeiten geben müssen, als nur alleine das Auto. Damit eben auch mehr Menschen eine für sie passende Alternative finden. Es kann nicht sein, dass wir auf extrem diverse Mobilitätsbedürfnisse nur die sehr einseitige und damit ineffiziente Antwort von fünf Sitzen, vier Rädern, mehr als einer Tonne für meistens nur eine Person haben. Selbst wenn nur schon ein Großteil Alternativen nutzt, ist es geschafft. Verbote gibt es nur, wenn sich zu wenig verändert. Veränderung schafft man durch Regeln und Anreize. Das ist der Job der Politik. Und die hat ihren Job zumindest auf Bundesebene bisher schlecht bis gar nicht gemacht. Die Verkehrsminister waren immer Sorgenkinder, das Unglück bei Bahn, Stau und Infrastruktur wurde nur immer schlimmer. Und wer die letzten 16 Jahre regiert hat, wissen wir. Warum passiert jetzt aber plötzlich so viel? Ist das die Ampel? Sind es die Grünen? Die Woken? Nein. Dafür hat die Zeit nicht gereicht. Was jetzt an Verkehrswende aufgegleist ist, wurde schon viel länger besprochen. Städte wählen traditionell roter und grüner und sind darum schon weiter. Berlin beschloss zum Beispiel ein umfassendes, neues Mobilitätsgesetz. Im Moment scheitert es vor allem am Fachkräftemangel, welcher nur einen Bruchteil der verbindlichen Fortschritte bis jetzt hat Realität werden lassen. Es fehlen schlicht die Verkehrsplaner.

Vielleicht reden wir auch kurz über Ziele. Denn diese geben Orientierung, und wenn sie demokratisch beschlossen wurden, sind sie mehr als nur Visionen – sie sind ein Plan. Daran kann man den Erfolg dann auch messen. Die EU-Kommission plant bis 2303 rund 30 Millionen Elektroautos auf die Straße zu bringen. Der Verkehr mit Hochgeschwindigkeitszügen soll sich bis dahin verdoppeln. Der Güterverkehr auf der Schiene um 50 % wachsen, Schiffe ohne Abgase marktreif werden und 100 Städte in Europa sollen klimaneutral sein. Alles in den nächsten 80 Monaten. Und in Deutschland? Bei uns ist der Verkehr der einzige Bereich, bei welchem die Emissionen in den letzten Jahren nicht gesenkt werden konnten. Und durch die Totalverweigerung des aktuellen Verkehrsministers beim Klimasofortprogramm werden die eigenen Ziele nicht erreichbar sein, geschweige denn die internationalen. Das (nachgebesserte) Klimaschutzgesetz verlangt, dass wir bis 2045 treibhausgasneutral sind, was für den Verkehrssektor laut Umweltbundesamt voraussichtlich die Reduktion der Treibhausgasemissionen auf null bedeutet. Es schlägt darum eine Minderung derselben bis 2030 um mindestens 70 % und bis 2040 um mindestens 90 % gegenüber 1990 vor. Jedes Jahr, das wir verplempern, wird auf die Folgejahre obendrauf gerechnet werden müssen, denn verschieben ist nicht mehr.

Immer mehr Städte experimentieren mit provisorischen Umgestaltungen von Straßen. In diesem Beitrag liest du immer wieder Beispiele aus Berlin. Da liegt mit daran, dass hier der Klimablog zu Hause, aber die Stadt das politische Schaufenster des ganzen Landes ist. Im Bild die Bergmannstraße. Ein zweispuriger Fahrradweg, zusätzliches Grün, Sitzmöbel, mehr Platz für Cafés, weniger Autos. So sollen Bürger die Verkehrswende und ihre Vorteile praktisch kennenlernen. Zeit für eine spätere Verstetigung bleibt immer noch. Es gibt zusätzlich ein Programm, wo gefördert Parkplätze für andere Zwecke umgenutzt werden dürfen. Auf diesen dürfen ab Januar übrigens auch Tretroller und Fahrräder abgestellt werden.

Während andere Maut in Städten einführen, Parkplätze ab-, Radwege zu- und den Nahverkehr ausbauen, haben wir nicht nur einen großen Rückstand aufzuholen, sondern wir vergrößern ihn auch immer noch. Dieser ganze Plan ist übrigens nicht einfach ein willkürlich gesetztes Ziel, sondern er fußt auf dem Pariser Klimaabkommen und dem IPCC, welcher uns nicht mehr viel Zeit gibt. Während also hierzulande die Politik und Bürokratie mit der gesellschaftlichen Überalterung immer langsamer wurde, wird jetzt zwangsweise eine Beschleunigung stattfinden, deren enormen Fliehkräfte wir aushalten müssen. Und weil die letzte wie auch aktuelle Koalition da nicht den notwendigen Mut aufbrachten, werden immer mehr Stimmen aus der Bevölkerung laut und organisieren sich.

Wer hat die Finger im Spiel?

Die Verkehrswende kommt nicht (nur) von den Grünen. Denn diese sind in der Ampel gefangen. Neben der Parteipolitik gibt es immer mehr andere wichtige und einflussreiche Player. Ohne sie wäre die Verkehrswende noch nicht so weit fortgeschritten. Prominentes Beispiel ist die Agora Verkehrswende. Du kennst den Begriff vielleicht auch im Zusammenhang mit der Schwesterorganisation Agora Energiewende. Der Think-Tank ist in mehreren Bereichen aktiv. In Deutschland, aber auch in der Europapolitik. Neben Forschung, Studien und Kommunikation, finanziert er auch praktische Projekte rund um die Verkehrswende. Er wurde von der Mercator Stiftung und der European Climate Foundation aufgesetzt. Letztere bezeichnet sich selber als philanthropische Initiative und wurde 2008 gegründet. Mercator ist heute die vielleicht einflussreichste Klimastiftung. Viele bekannte Organisationen rund ums Klima erhalten Geld oder arbeiten mit Mercator zusammen. Die Stiftung gründete aber auch selber Einrichtungen wie das Mercator Cliamte Research Institute on Global Commons and Climate Change. Daran beteiligt ist das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, welches seinerseits ein eingetragener Verein ist. Mercator wurde von den Metro-Erben gegründet und finanziert sich hauptsächlich über die Meridian Stiftung, in welche das Familienvermögen gemeinnützig überführt wurde. Man kann also sagen, dass viel der heutigen Wende rund um Energie und Verkehr durch dieses Stiftungskonstrukt beeinflusst wird. Grund zur Beunruhigung? Bisher nicht. Wenn Erdölkonzerne und die Autoindustrie eine starke Lobby haben, warum auch nicht die Klimarettung?

So soll die Bergmannstraße langfristig aussehen. Die Bürgermeisterin Franziska Giffey verlachte dies als “Bullerbü” und machte sich damit selber lächerlich. Denn das Konzept wird von Spanien über Skandinavien bis in die USA erfolgreich angewendet. Man muss nicht aufs Land pendeln, man kann auch in der Stadt nachhaltig und schön leben.

Aber nicht nur Think-Tanks und Stiftungen, sondern eine ganze Reihe von Organisationen tragen die Verkehrswende führend mit. Das sind zum Beispiel unzählige Verbände, Vereine und NGO’s wie die Allianz Pro Schiene, der ADFC, der Verkehrsclub Deutschland, der VCS Bike, der Bund für Umwelt und Naturschutz, Greenpeace, Changing Cities, Attac Deutschland, die Rosa Luxemburg Stiftung bis hin zum Zweirad-Industrie-Verband und dem Wanderverband. Die vollständige Liste ist noch viel länger. Aber auch Behörden wie das Umweltbundesamt sind wichtige Stützen. Dazu kommen die im wahrsten Sinne des Wortes jüngeren politischen Bewegungen rund um Fridays for Future oder die Letzte Generation, welche zunehmend ausserparteilich den Diskurs mitbestimmen. Nicht zu vergessen sind viele Einzelakteure wie zum Beispiel Katja Diehl, ihres Zeichens Vorkämpferin für ein Recht auf ein Leben ohne Auto und mit “AutoKorrektur” Preisträgerin des diesjährigen Wirtschaftsbuchpreises, der Klimaaktivist Tadzio Müller, Wissenschaftler wie Volker Quaschning, der ZDF-Wetterfrosch Özden Terli oder nicht zuletzt der Klimablog stehen mit ihren Stimmen nicht nur für die Aufmerksamkeit in Sachen Klimakatastrophe, sondern auch für die konkrete und rasche Umsetzung von Lösungen. Es ist höchst interessant, wie sich hier eine breite Allianz aus ganz unterschiedlichen Organisationsformen und Anspruchsgruppen bildete. Ein Zeichen einer funktionierenden Demokratie, aber irgendwie auch besorgniserregend, weil hier eindeutig Defizite der Politik kompensiert werden, welche in Vergangenheit in Sachen Klimaschutz viel zu wenig geleistet, ja gar gegen die so wichtigen Anliegen gearbeitet hat.

Dass die Bürger weiter sind, als die Politik, lässt sich auch in Zahlen beweisen. Interessant ist das Paradoxon, dass die Mehrheit der Deutschen laut Umfragen (2022) von YouGov sowie der Europäischen Investitionsbank für mehr Klimaschutzmaßnahmen sind, aber gleichzeitig das Auto bevorzugen (70 %). Sie finden zudem, dass sich die Klimakatastrophe direkt auf ihren Alltag auswirkt (79 %), dass wir auf eine globale Katastrophe zusteuern (81 %) und dass die Regierung viel zu langsam handelt (84 %). Ebenfalls gibt die Mehrheit an, im Alltag zu versuchen, CO2 einzusparen. Die absolute und deutliche Mehrheit will also, kann aber nicht, weil die Alternativen fehlen. Die Regierung könnte also ohne weiteres mutiger sein bei der Verkehrswende, sie wäre dabei demokratisch abgestützt. Doch es macht den Anschein, dass sie sich in ihrem neuen Dreierformat verheddert hat und selber ausbremst. Lassen wir uns alle am Ende von einer Minderheit aus FDP und dem konservativen SPD-Flügel an der Nase in den Abgrund führen? Tankrabatt und Autobahn anstatt Tempolimit und Bahn? Ein Akteur fehlt aber noch: Ebenfalls die Mehrheit findet die Berichterstattung über Klimathemen nicht übertrieben. Also auch die Medien könnten mehr für die Verkehrswende tun. Sie haben nur Angst, sich daran die Finger zu verbrennen. Der Klimablog nicht.

Klimademonstration in Berlin. Niemand will in autozentrierten Städten des letzten Jahrhunderts leben.

Auch das Geld muss neue Wege nehmen

Darum wird er auch manchmal für seine Haltung kritisiert, dass das Klimaproblem sehr viel mit Unterschieden bei den Generationen zu tun habe. Aber diese Tatsache ist nicht von der Hand zu weisen. Viele empfinden das Auto als Geburtsrecht. Sie können sich keine andere Mobilität vorstellen. Das wirkt mitunter fast wie ein Junkie, der seine Droge braucht. Wenn junge, alte und arme Mitbürger ohne Auto auskommen müssen, dann können das die anderen ebenso. Auch immer mehr Boomer haben genug von der jetzigen Verteilung von Platz, Geld und Privilegien. Denn nicht alle sind im Wirtschaftswunder reich geworden und können es sich leisten, die offensichtlichen Probleme in Massagesitzen auf vier Rädern weiter zu ignorieren.

Verdeutlichen wir das doch mit der Studie “The Lifetime costs of driving a car”. Ein Auto kostet den Besitzer beim Kauf, Parken, Unterhalt, Versicherung etc. zusammengerechnet auf 50 Jahren Auto fahren 599.082 Euro für einen Kleinwagen und 956.798 bei einem SUV. Das ist, was jeder selber bezahlt – deutlich mehr, als man bisher angenommen hat. Aber die Gesellschaft bezahlt auch Geld dafür, in Form von Benzinsubventionen, Umweltschäden, Gesundheitskosten etc. Diese sogenannten sozialen Kosten liegen bei 5.000 Euro pro Jahr – für jedes einzelne private Auto! Damit bezahlt die Gesellschaft rund 41 % der Gesamtkosten beim Kleinwagen und noch deren 38 beim SUV. Damit übertrifft Automobilität die Million pro Person und Leben. Dieses Geld könnte man so viel besser für komfortablere und bessere Mobilität für alle nutzen. Dazu kommt noch Stau, welcher alleine Kosten von 555 Euro an verlorener Arbeitszeit pro Auto im Jahr verursacht. Weil wir die vorher besprochenen Klimaziele beim Verkehr zwangsweise erreichen müssen, führt kein Weg an weniger Subventionen von privaten Autos vorbei. Sie sind sowieso eine ungerechte Umverteilung von unten nach oben.

Ein Video vom Künstler Jan Kamensky. Seine Visualisierungen zeigen mögliche Umgestaltungen von Plätzen und Straßen in lebenswertere Orte. Hier der Rosenbergplatz in Stuttgart. Auf seiner Webseite findest du viele weitere deutsche und internationale Beispiele.

Effizientere Mobilität ist auch günstigere Mobilität. Und damit entsteht mehr Wohlstand für jeden einzelnen. Die Verkehrswende ist deswegen auch eine riesige soziale Umverteilung, eine Umlenkung von Geldströmen. Investitionen, Subventionen und Preisschilder von bisherigen Verkehrsformen müssen neu gelenkt und geschrieben werden. Jeder Euro in die Wende ist einer in eine bessere Zukunft für alle. Auf Kosten von ein paar wenigen, die bisher zu viel profitierten. Warum bekommt jemand tausende von Euros an Prämien, wenn er sich offensichtlich bereits ein Auto leisten kann? Bis 2022 waren das 7.500 Euro, neu sind es immer noch 4.500 auf ein Luxusauto über 65.000 Euro Kaufpreis. Damit könnte man viele Fahrräder subventionieren oder Radwege bauen und somit vielen Menschen bessere Mobilität ermöglichen und damit auch viel mehr für das Klima tun, als nur einen einzigen Mensch noch nicht mal aus seinem Auto zu bekommen. Die Welt von morgen muss aus vielen Sachzwängen heraus solidarischer werden. Der Verkehr ist so ein Sachzwang. Das 49-Euro-Ticket ist nur ein Beispiel. Das 9-Euro-Ticket wäre das noch bessere gewesen. Mobilität ist ein Grundbedürfnis. Aber viel dieses Bedürfnisses wurde erst von der Autolobby geweckt und Menschen unnötig zusätzlich aufgebürdet, weil die Wege immer länger wurden und sich immer mehr unseres Alltages der Größenordnung von Autos anpasste anstatt an die von Menschen. Viele leiden und bezahlen mit ihren Leben. Die Klimakatastrophe ist wie die Verkehrswende ein Brennglas für ganz viele Missstände. Wen wir es schaffen, werden wir alle gewinnen.

Der berühmte Cheonggyecheon-Freeway in Seoul. Die koreanische Hauptstadt hat nun vor, weitere Autobahnen in Parks umzuwandeln. Sie baut als Ersatz dafür in rasendem Tempo U-Bahnlinien und Hochgeschwindigkeitszüge – mit deutscher Technologie.

Global

Man kann also das gesellschaftliche Vorhaben, den Verkehr von Menschen und Waren in relativ kurzer Zeit radikal umzubauen, als disruptiv bezeichnen. Das passiert nun so konzentriert, weil wir zu lange gewartet haben. Es gibt Orte, die noch einen längeren Weg als Deutschland haben, aber auch viele, wo man schon weiter ist. Die Verkehrswende ist nämlich ein globales Projekt, weil sie ein Teil der Ursache für die Klimakatastrophe ist. Städte von Korea bis in die USA reißen innerstädtische Autobahnen ab, von New York über Sydney bis Tokio werden Radwege in atemberaubendem Tempo und oft mit weniger Bürokratie als bei uns gebaut. Sie alle korrigieren Fehler aus der Vergangenheit. Viele investieren sehr aggressiv in den öffentlichen Nahverkehr. Kanada und Australien fallen besonders auf, Paris ist strahlendes Vorbild und China überholt uns alle.

“Der Times Square zeigte, dass Straßen, die für die Menschen besser funktionieren, nicht nur Annehmlichkeiten sind – sie sind eine Investition in die Qualität und Bewohnbarkeit der Stadt; sie sind eine Investition in ihre Menschen”

Janette Sadik-Khan, ehemalige Verkehrskommissarin der Stadt New York – zuständig für die autofreie Umgestaltung des Time Square

Das stärkt die Attraktivität dieser Länder und damit ihren Wirtschaftsstandort. Es gibt den Bewohnern die Stadt wieder zurück. In den USA zerschnitten einst die Autobahnen sogar geplant Nachbarschaften, um weiße und schwarze Bewohner zu trennen. Solche Wunden müssen heilen. Verkehr segregiert aber auch Arm und Reich oder Einwanderer und Eingeborene. Neue technische, vor allem auch digitale Möglichkeiten lassen ganz andere Verkehrsmodelle zu. Die Revolution des Homeoffice verändert mehr, als viele Jahre Verkehrspolitik zuvor zusammen. Selbst der Flugverkehr arbeitet an alternativen Brennstoffen und Antrieben. Klar, das dauert – oft zu lange. Aber das alles ist nicht mehr aufzuhalten. Wer dabei ist, wer vorangeht, der wird profitieren. Durch Know-how, neue Wirtschaftszweige, gesellschaftliche Entwicklung und Lebensqualität und wenn es geschafft ist auch davon, dass man sich wieder anderem zuwenden kann, während einige noch lange damit beschäftigt sein werden. Politisch wie finanziell.

Die Verkehrswende findet weltweit statt. Der berühmte Time Square in New York – vorher und nachher. Wenige Meter entfernt wurde unter dem Grand Central Terminal im Dezember 2022 ein gigantischer neuer Regionalbahnhof eröffnet, der Pendler Umsteigevorgänge erspart.

Von den Besten lernen

Und falls du dich fragst, was denn koreanische Autobahnen mit Bochum zu tun haben, nun: Die abgerissene Autobahn in Seoul hat San Francisco inspiriert, dieses inspiriert Sydney und Berlin usw. Manche Städte stehen am Scheideweg, ob sie nur wie Boston (The Big Dig) oder Madrid (Madrid Rio) die Autobahn in teure Tunnels verlegen und mit einem Park überbauen oder diese eben ganz und ohne Ersatz abreißen. Ein deutsches Beispiel: Die Berliner Stadtautobahn A100 soll weitergebaut, teilweise überbaut und Zubringerabschnitte sollen abgerissen werden. Das ist verrückt. Vom Überbauen wissen wir, dass es die betroffenen Städte enorm teuer kam und die Gentrifizierung anheizte. Vom Weiterbauen müssen wir uns verabschieden, wenn wir unsere Ziele nicht gleich wieder ad absurdum führen wollen. Das Abreißen schafft viel Platz, der am wenigsten kostet und damit sozialen Wohnungsbau möglich macht. Verkehrswende bedeutet darum auch größtmögliche Konsequenz und nicht wie bisher einen politischen Kompromissbrei.

Diese Tatsache wird unsere gewohnte Demokratie auf eine harte Probe stellen. Wir werden lernen müssen, dass Menschen mit Geld keine schützenswerte Minderheit sind, sondern dass das solidarische Überleben und die Lebensqualität der Mehrheit ab sofort demokratische Maxime werden muss. Dieser Kampf wird gerade weltweit ausgefochten. Politische Vertreter rund um den Globus lassen sich dazu in der Schweiz die Bahn, in Madrid das billige Bauen von Metros, in Amsterdam das Eliminieren von Parkplätzen und in Kopenhagen Radwege erklären. Die Verkehrswende ist ein planetares Projekt, weil wir enorm Zeit dadurch sparen, dass wir einfach überall die “Best Practises” abschauen können. Natürlich gibt es regionale und kulturelle Unterschiede, aber es ist einigermaßen erstaunlich, dass es Deutschland zum Beispiel nicht fertig bekommt, noch nicht mal national einen Standard für Radwege festzulegen und jedes Amt versucht das Rad im wahrsten Sinne des Wortes selber neu zu erfinden. Unsere Bräsigkeit muss hier zwangsweise mehr Weltoffenheit weichen.

Das Konzept U1 in Berlin sieht vor, den jetzt als Parkplatz genutzten Raum unter dem Hochbahnviadukt in Kreuzberg als überdachten Radweg zu nutzen. Die Idee geht auf eine private Initiative bzw. heute Verein zurück und wird vom Senat gefördert. Es gibt seit diesem Sommer eine kleine Teststrecke. In der Zwischenzeit wurde übrigens der Straße links schonmal eine Spur für Fahrräder abgerungen und mit Betonelementen gesichert, die Tram folgt bald.

Fazit

Das alles war nur eine grobe Übersicht. Vieles werden wir noch genauer beleuchten, vieles war dir auch schon klar. Aber noch nicht allen ist klar, dass ihnen keine linke Partei etwas Böses will, dass niemandem die Mobilität genommen werden soll, ganz im Gegenteil, sondern dass das alles relativ alternativlos ist. Die Verkehrswende ist der Katalysator für viele Puzzleteile, die alle zusammen die Zukunft ergeben und nicht einzelne, noch irgendwann zu erfindende Wundertechnologien, wie es FDP oder CDU immer noch hoffen oder verkaufen. Ihre unterkomplexen und populistischen Vereinfachungen sind mittlerweile einfach nur noch gefährliche Unterlassung von überlebenswichtigen Maßnahmen. Das Klima verhandelt nicht. Der globale Wettbewerb, das Rennen nach Nettonull wird gnadenlos sein und hat begonnen. Wer zögert, strauchelt oder sich verweigert, wird zurückbleiben und bitter dafür bezahlen. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Globaler Emissionshandel, weltweite Klimaverträge und der Klimaausgleichsfonds verpflichten uns. Der aktuellen politischen Generation kommt eine ganz besondere Verantwortung zu. Es darf schlicht nicht schieflaufen. Da sind ein paar bewegte Gemüter oder Abstriche beim Komfort Einzelner völlig unerheblich, die sowieso schon zu stark bevorzugt wurden. Die Verkehrswende ist nicht nur Parkplätze vs. Radwege – es ist ein großer Teil des wichtigsten Projektes, welches die Menschheit je in Angriff genommen hat. Wenn man es in wenigen Jahren auf den Mond schaffte, wird man es doch auch genauso auf die Lastenräder schaffen?!

Hier geht’s zu Teil 1

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