Wie die Welt aufbricht – Australiens neue Klimapolitik

Down under flips upside down - ungefähr so kann man beschreiben, was gerade auf dem abgelegenen Kontinent passiert. Ein fulminanter politischer Wechsel und eine neue Klimapolitik sollen viel ins Rollen bringen. Die teils überraschenden Hintergründe.

Australien ist näher als wir denken. Ursprünglich von Europa aus besiedelt, ist es heute unter anderem einer unserer Energielieferanten und uns kulturell ziemlich nahe. Jedenfalls viel näher als andere Staaten in der Gegend. Jüngst suchten Katastrophen das Land heim, welche direkt auf den Klimawandel zurückzuführen sind. Das hat einiges in Bewegung gebracht. Die erstaunlichen Parallelen zu Deutschland machen darum einen Blick auf die andere Seite der Welt ganz lohnenswert. Wer von Berlin nach Sydney fliegen will, ist je nach Verbindung ziemlich genau 24 Stunden am Stück unterwegs. Mit dem Klimablog gehts in ein paar Sekunden. Anschnallen bitte!

Briefing

Kennst du noch McLeods Töchter, diese schnulzige Fernsehserie über australische Bauern? Ja, ungefähr dieses Bild haben vielen von Australien. Weites, verdorrtes Land, Schafe und europäisch aussehende Bewohner. Da sind noch ein paar Klischees wie Kängurus, das Opernhaus in Sydney und von sterbenden Korallenriffen haben Klimainteressierte auch schon gehört. Trotzdem ist diese ferne Welt sehr weit weg. Das Land ist ein eigener Kontinent, untersteht interessanterweise formal noch der britischen Krone, ist darum auch Teil des Commonwealth. Seit 1907 ist es aber unabhängig und funktioniert wie eine parlamentarische Monarchie. Australien ist 20x größer als Deutschland, aber mit 25 Millionen Einwohner sehr spärlich besiedelt. Die meisten Menschen wohnen in den wenigen Großstädten und darum herum, vor allem an der Ostküste. Eigentlich ist die Bevölkerung relativ divers und der Anteil von Ausländern mit 30 % sehr hoch, trotz ultrastrikter Flüchtlingspolitik. Vor allem die starke Zunahme asiatischer Zuwanderer sorgt auch für Spannungen. Lange hat Australien von einer Öffnung gegenüber China profitiert. Investitionen, Infrastruktur, viele Studenten aus dem Reich der Mitte und ein Freihandelsabkommen waren die Mittel dazu. Wie auch bei uns führt dieser Kurs aber zunehmend zu Skepsis und die Nachteile werden sichtbar. Doch die langjährig konservative Politik hatte mehr den Profit vom immensen Rohstoffreichtum Australiens im Blick, als eine nachhaltige Zukunft. Rasche Entwicklung, hoher Lebensstandard und vermeintliche geopolitische Sicherheit waren lange unhinterfragte Tatsachen. Erinnert irgendwie auch an uns. Doch nun brennt es. Teils wörtlich, aber vor allem politisch. Die Konservativen haben sich zu weit aus dem Fenster gelehnt – und wurde abgewählt. Dafür verantwortlich ist eine Reihe an Ereignissen, welche eine moralisch fragwürdige Kultur in der Politik beschreibt.

40 % der Bevölkerung lebt alleine in Melbourne und Sydney.

Die Probleme

Natürlich ist die Realität immer komplexer. Aber um an den Reichtum Australiens zu kommen, sind die Ausbeutung von Rohstoffen notwendig. In einem seit den Neunzigern anhaltenden Wirtschaftsboom ist das Land zum weltweit größten Exporteur von Kohle geworden. 30 % der weltweit gehandelten Kohle stammen aus Australien. Es ist wahrscheinlich, dass du jetzt gerade den Klimablog mit Strom liest, der aus australischer Energie stammt. Beim Erdgas sieht es auch düster aus, da sind es 20 % Marktanteil. Aber auch Zink, Bauxit (ein Gestein mit Aluminiumerz), Eisenerz und besonders auch Uran werden in großen Mengen abgebaut. Alleine Kohle bringt jährlich knapp 50 Milliarden US-Dollar. Eisenerz gleich nochmal soviel. Dafür sind Minen und die Zerstörung von Natur unvermeidbar. Mitunter schalteten und walteten diese Konzerne über Gesetze hinweg, gefährdeten Mitarbeiter und zerstörten fast ohne Konsequenzen alles, was ihnen in den Weg kam. Doch immer mehr, gerade junge Australier fangen an, diese Symbiose aus Raubbau und Wohlstand zu hinterfragen. Die extremen Fluten der jüngsten Vergangenheit, Dürren, gigantische Feuersbrünste und steigende Temperaturen machen vielen jetzt bewusst, was der Preis für das Leben im Überfluss sein könnte. Viele Australier sind zudem übergewichtig, auffallend oft Allergiker und Zivilisationskrankheiten keine Seltenheit. Soweit so tragisch. Aber gesünder leben, die kollektiv einsinkende Klimakatastrophe und mehrere Skandale der konservativen Politik führen zu einem Umdenken.

Dazu gehörte der Premier Scott Morrison, der während der Feuertragödien lieber dem Inselurlaub auf Hawaii frönte (da war doch auch hier was…) und lapidar der Presse sagten “mein Job ist es ja nicht, ein Feuerwehrschlauch zu halten” oder da die Missbrauchsaffäre des ehemaligen Justizministers. Diese Machokultur wird zunehmend weniger goutiert und immer mehr Parteilose machen Politik gegen das etablierte Vierparteiensystem. Ein besonders bekanntes Beispiel dafür ist Zali Steggall, eine ehemalige Skirennfahrerin und heute Anwältin, die sich besonders für das Thema Klima einsetzt. Zitat: „Das drängendste Problem ist der Mangel an Maßnahmen zum Klimawandel“. Sie beschreibt heute, dass die männlich egoistische Kultur in der australischen Politik sie als Jugendliche ziemlich aufgebracht habe und schlussendlich zu ihrem politischen Einstieg motivierten. Sie schaffte es, den damaligen Premier Tony Abbott in seinem eigenen Wahlkreis vom Thron zu stoßen. Ihre spätere Gegenkandidatin der australischen FDP lieferte ihr eine Steilvorlage, indem sie sich abschätzig über Transmenschen äußerte. Die politische Landschaft ist unserer nicht unähnlich. Es gibt da The Greens (DieGrünen), die konservativen Nationals (CDU), die Australian Labor Party (mehr oder weniger die SPD) und die Liberal Party of Australia (FDP). Bei den jüngsten Wahlen vor wenigen Tagen hat die Labor Party eine überwältigende Mehrheit vor den Nationals geholt. Zusammengefasst hat ein starker Wunsch nach modernerer Politik zu einem neuen rot-grünen Regierungsgewicht geführt – nach fast zehn Jahren konservativer Mehrheit. Mehr Frauenanteil, mehr unabhängige Politiker und mehr Klimafokus sind das Ergebnis. Wie bei uns das Ahrtal, hatten auch in Australien Umweltkatastrophen einen sichtbaren Einfluss auf den politischen Linksrutsch. Doch auch das Management der Coronakrise hat seine Spuren hinterlassen. Déjà-vu.

Nach langer Vernachlässigung wird jetzt viel Geld in klimafreundlichen Personennahverkehr investiert.

Die Herausforderungen

Der neue Premierminister Anthony Albanese gab darum soeben das Ziel vor, dass 43 % weniger CO2-Emissionen gegenüber dem Referenzjahr 2005 bis 2030 Realität werden sollen. Zudem will man bis 2050 bei CO2-neutral sein. Das ist zwar um einiges weniger ambitioniert als in Europa (55 % gegenüber 1990 bis 2030 und Nettonull bis 2045), aber für australische Verhältnisse kommt es einem abrupten Aufbruch in eine ganz neue Zukunft gleich. Es gab aber schon vorher einsetzende Trends, wie dass sich jüngere Menschen zunehmend fleischlos ernähren wollen oder landesweit auffallend große Investitionen in den öffentlichen Verkehr gesteckt werden. Neue Tunnels für das City-Loop-System in Melbourne, die neue automatische Metro in Sydney, die Ringbahn in Brisbane oder erneuerte Regionalstrecken und auch ein geplanter Hochgeschwindigkeitszug an der Ostküste gehören dazu. Eine besondere Herausforderung wird jetzt, die Abhängigkeit vom Rohstoffhandel zu reduzieren, den schon sehr starken Dienstleistungssektor weiter auszubauen und die geopolitischen Verstrickungen mit China zu entflechten. Ein Schlüssel könnte im landwirtschaftlichen Sektor liegen, denn Australien besitzt im Vergleich zur Bevölkerungsgröße überdurchschnittlich viel fruchtbares Land – welches aber wiederum eben gerade vom Klimawandel bedroht ist. Das wäre teilweise auch eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln. Der Fokus solle dabei vor allem bei emissionsärmeren Produkten liegen. Auch Bio ist in Australien noch nicht sehr verbreitet. Gleichzeitig fordern die Grünen einen sofortigen Stopp aller Gas- und Kohleprojekte. Die Labor skizzieren auch einen Ausstieg aus der Kohle, dafür sollen die von Minenschließungen betroffenen Gemeinden mit einem Wiederaufbaufonds bedacht werden.

Energie

Bemerkenswert ist, dass Australien Europa im Zubau von Solar weit übertrifft. Und dies vor allem durch viele Kleinanlagen auf privaten Hausdächern und bei mittelständischen Firmen. Mittlerweile hat man die weltweit höchste Pro-Kopf-Kapazität (988 Watt pro Person). Man liegt da noch vor der Niederlande (765 Watt) und Deutschland (715 Watt). Bei der Gesamtkapazität schafft man es unter die weltweit ersten zehn Länder. Noch dieses Jahr dürfte man 27 installierte Gigawatt überschreiten. Zum Vergleich, ein mittleres Atomkraftwerk hat eine Leistung von ca. 1,4 Gigawatt. Auch ungefähr zehn große Offshore-Windparks sind in Planung. Die Regierung spricht davon, dass bis 2040 rund 9 Gigawatt Windstrom hinzukommen sollen. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass noch mehr als drei Viertel des Strommixes Kohle und Erdgas ausmachen. Ein Paradox ist auch, dass Australien bei LNG-Exporten fast Weltspitze ist (knapp hinter Qatar), aber selber mitunter an Gasknappheit leidet. Das ist dem Umstand geschuldet, dass LNG fast nur an der westlichen Nordküste produziert und von dort aus verschifft wird, aber 80 % der Bevölkerung im Südosten lebt und dort dann Gas fehlt und die Preise mitunter sehr hoch sind. Für eine Pipeline ist das Land schlicht zu groß. Es gibt aber die Idee, LNG-Terminals im Südosten zu bauen. Mehrere Bundesstaaten haben aber ein Moratorium zum Erschließen von Gasvorkommen erlassen, das jetzige Gas ist quasi ein Nebenprodukt der Kohleproduktion. Darum ist eine Verschiebung des Strommixes von Kohle zu Gas nicht so einfach. Überspitzt führt das auch dazu, dass Australien grünen Strom zubaut und dafür dreckiges LNG und Kohle an Deutschland verkauft. Weil auch wir zu lange konservative Politiker gewähren ließen, wurde Deutschland so vom erneuerbaren Vorreiter zum nun verzweifelten Bittsteller für fossile Energie. Nun bauen andere mit unserem Geld für Fossile ihre Länder klimafreundlicher um.

Bei Solar ist Australien unangefochten, beim Wind auf gutem Weg. Farm in Australien.

Fazit

Kohleausstieg, Abfederung in strukturschwachen Regionen, Ausbau Erneuerbare, Gasknappheit, Linksrutsch nach schrecklichen klimabedingten Katastrophen – kommt einem leider alles ziemlich familiär vor. Australien erlebt also auch gerade so etwas wie eine Zeitenwende. Die Gründe für den politischen Wechsel sind ähnlich wie bei uns, die Herausforderungen sind es auch. Die neuen Klimaziele erfüllen Paris ebenfalls nicht, 1,5 Grad werden verfehlt. Genauso wie in Deutschland besteht eine berechtigte Angst, mit zu harschen Maßnahmen die Wählerschaft zu brüskieren – auch wenn Australien eine massiv jüngere Bevölkerung (weltweit Platz 50) als Deutschland (Platz 2) besitzt. Traurig ist, dass erst Katastrophen und Skandale so eine Wende provozieren. Wie in Norwegen soll der weiterhin extensive Verkauf von Rohstoffen ein Teil des grünen Umbaus finanzieren. Doch jetzt schon ist Australien, wenn man eben diese Exporte mitrechnet, bei nur 25 Millionen Einwohnern für 5 % des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Wenn alle zum jetzigen Zeitpunkt schon angestoßenen fossilen Vorhaben realisiert würden, werden es gegen 8 % werden. Die alte Regierung plante sogar noch einen drastischen Ausbau der fossilen Ausbeutung, was bis 2030 eine Explosion auf bis zu 17 % bedeutet hätte. Mit ein Grund für ihre Abwahl. Klimawandel bedeutet auch Gesellschaftswandel und damit ein politischer Wandel. Ob Australien nun den richtigen Pfad eingeschlagen hat und dabei bleibt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Auf der neuen Regierung lastet jedenfalls ein unglaublicher Erwartungsdruck. Erneuerbare Energie alleine wird es nicht richten.

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