Kann man Gletscher retten?

Großformatig unmöglich. Aber lokal durchaus teilweise machbar! Nur schon Zeit gewinnen, ist viel gewinnen. Was dahinter steckt und wie das gehen soll - ein Überblick und eine Einordnung über Sinn oder Unsinn.

Der Feegletscher in der Schweiz. Das Sommerskigebiet hinter diesen Eishügeln musste diesen Sommer schließen, die Schmelze war zu stark für einen durchgehenden Betrieb.

Nein. Jein. Es kommt darauf an, welchen Gletscher, womit und wozu. Betrachtet man die Sache global, so kann das Gletschersterben kaum bis gar nicht gestoppt werden. Denn die Aufheizung der Atmosphäre schreitet voran, der Klimawandel ist in vollem Gange. Selbst wenn sich die Menschheit über eine planetare Notbremse einig würde und den CO2-Ausstoß extrem drastisch senken würde, wird die Reaktion sehr langsam sein – für die meisten Gletscher zu langsam. Käme es gar zu einem sofortigen Stopp der Emissionen, würde das immer noch das unaufhaltbare Ende von 36 % aller Gletscher bedeuten. Halten wir uns nur, ebenfalls nicht mehr sehr wahrscheinlich, an das vereinbarte Maximum des Pariser Klimaabkommens, wären es immer noch ein Gletscherverlust von 29 % bis Ende diesen Jahrhunderts. Selbst bei tatsächlich erfolgreichem Einhalten des definierten Minimums von 1,5 Grad, verlieren wir global 20 % bis 2100. In spätestens 500 Jahren wären weltweit alle Gletscher und ihre wichtige Funktion als Süßwasserspeicher weg. Natürlich gibt es riesige Unterschiede in den Dimensionen von Gletschern. Manche sind quasi winzig und überschaubar, andere gigantisch und ohne Flugzeug kaum von bloßem Auge erfassbar. Es gibt aber tatsächlich Konzepte und Erfahrungen in der Gletscherrettung bzw. Konservierung. Manche sind schon älter, manche eher noch Neuland. Wie, warum und wozu man diese scheinbar hoffnungslosen Techniken anwenden kann und sollte, wollen wir uns näher anschauen. Denn einige sind doch vielversprechend und können ganz spezifische Probleme adressieren.

Warum?

Was eine Gletscherrettung überhaupt bezweckt, ist eine gute Frage. Während wir gesellschaftlich Gletscher gerne als landschaftlich wertvoll, biologisch schützenswerte Lebensräume, kulturell wichtige Naturphänomene und neuerdings vor allem als das neben Eisbären ultimative Symbol des Klimawandels rezipieren, haben wir Gletscher aber auch seit jeher für Stromproduktion, Skifahren, Bewässerung oder Tourismus wirtschaftlich genutzt. Bisherige Versuche zur Eiskonservierung gab es vor allem in Skigebieten, die dort Pisten auf Gletschern erhalten wollen, Sommerski anbieten oder negative Auswirkungen von Eisrückgängen begegnen wollten. Es gab also ein kommerzielles Interesse. Die Klimaerwärmung betrifft weltweit alpine und arktische Zonen viel stärker, also andere Regionen. In den Alpen hat sie bereits die 2-Grad-Grenze überschritten. Und damit quasi das globale politisch und physikalisch wichtige Ziel längst gerissen. Entsprechend sind dort Veränderungen auch viel drastischer. Der Klimablog hat kürzlich in diesem umfassenden Beitrag die Folgen und den Umfang genauer beleuchtet. Der ganze Energie- und damit auch Wasserhaushalt kommt in den betroffenen Gebieten durcheinander. Folgen sind unter anderem Starkniederschläge und zugleich aber auch Dürre. Und dieses Problem ist ein weltweites, denn viele Länder besitzen alpine Zonen. Vor allem wichtige Trinkwasserreserven können so betroffen sein. Wenn man dabei an Bevölkerungsreiche Länder wie z.B. Indien denkt, können die Auswirkungen fatal werden. Hunderte Millionen von Menschen müssen sich auf starke Veränderungen einstellen. Es geht darum, Zeit zu gewinnen und Folgen der Klimakatastrophe wenigstens abzumildern. Oder schlicht einfach um Anpassung. Aber es geht hier auch um Gletscher, die noch viele Jahre bestehen werden, während sich unser Leben in dieser Zeit fundamental wegen der Klimaerwärmung verändern wird. Wir müssen daher lernen, weiter in die Zukunft zu denken. Darum ist die Forschung, wo und wie eine lokale Gletscherschmelze verlangsamt werden kann, eine ziemlich entscheidende. Schauen wir uns die vorhandenen Techniken an und besuchen wir ein aktuelles Forschungsprojekt, um den Kontext besser zu verstehen:

Die eingepackte Zufahrtsrampe von der Bergstation auf den darunterliegenden Gletscher war der Pionier der Gletscherabdeckung.
Selbe Stell Ende Sommer.
Daraus entwickelten sich weitere Methoden wie Styropor und Plastikabdeckungen…
…oder die Sägespantechnik. Das alles ist kein Witz oder ein Experiment, sondern weit verbreitete heutige Normalität.

Abdeckung

Eine bereits klassische Form der Konservierung sind Folien oder Textile. Sie werden quasi als reflektierende Schicht Anfangs Sommer auf einem Gletscher beziehungsweise auf der noch darauf liegenden Schneeschicht aus dem Winter aufgebracht. Sie werden wie große Stoffbahnen abgerollt und dann verschweißt, zusammengenäht und oder mit Gewichten beschwert. So lassen sich bis zu mehreren Metern an besagtem Winterschnee retten und auch oft einiges an darunter liegendem Eis. Lokal können so Zufahrten von und zu Gletschern in Skigebieten, Skilifttrassen oder Pisten geschützt werden. Erstmals angewendet wurde das Verfahren versuchsweise am Gemsstock in Andermatt in der Schweiz. Der Gletscher hat sich da stark abgesenkt und die skitechnische Verbindung vom Fels auf dem Gletscher an der dortigen Bergstation war kaum mehr möglich. Schnell kopierten fast alle Skigebiete mit Gletscher diese vergleichsweise preiswerte Methode. Denn damit konnte tatsächlich das Abschmelzen kleinerer Gletscher verlangsamt werden, allerdings wurden dabei nie ganze Gletscher, sondern eben nur einzelne Flächen auf dem Gletscher abgedeckt. Nachteil ist, dass Ende Sommer das Fließ wieder aufgetrennt, eingerollt und verstaut werden muss, damit es nicht in das Eis unwiederbringlich einfriert. Das ist mit hohem Aufwand und vielen Pistenmaschinenstunden verbunden, was dem Klima zusätzlich schadet. Man kann die Materialien zwar einige Male wiederverwenden, aber sie nutzen sich relativ rasch ab. Der Effekt kommt vor allem durch das Reflektieren von Sonnenstrahlen zustande, denn die Abdeckfolien sind weiß. Aber auch ein gewisser isolierender Effekt spielt eine Rolle. Abgesehen von vorhandenen Pistenflächen, begann man auch Schnee zu großen Hügeln zusammenzuschieben und diese genauso abzudecken, damit man im Herbst Schnee auf Reserve hat und auch ohne größeren Schneefall bestimmte Pisten wieder öffnen kann. Diese Praxis wird dann eher dem Bereich Snowfarming zugeschrieben.

Handnähmaschine, um die Textilbahnen zur Gletscherabdeckung miteinander zu verbinden, damit sie nicht weggeweht werden können.
Gletscherabdeckung am Stubaier Gletscher, Tirol. Hier, damit die auf dem Eis stehenden Masten der Lifte zu sichern.
Nicht nur Eis, sondern auch der darauf liegende Schnee kann konserviert werden. Die Gletscher schmelzen allerdings trotzdem am Gletscherbett darunter und verlieren an Höhe.
Diese Folien sollen die darunter liegende künstliche Gletschergrotte als Touristenattraktion im schmelzenden Rhonegletscher in der Schweiz schützen. Trotzdem müssen solche Grotten immer wieder von neuem angelegt werden, weil sie komplett wegschmelzen. Es gibt sie an fast jedem Gletscherskigebiet. Am Dachstein oder auf dem Jungfraujoch werden sie durch zusätzliche und energiefressende Klimaanlagen künstlich gekühlt, weil sonst die Körpertemperatur der Besucher den Eishöhlen zu sehr zusetzen würden.

Snowfarming

Darunter versteht man verschiedenste Methoden, Schnee zu sammeln, zu verarbeiten und zu konservieren. Paradoxerweise tragen Sommerskigebiete auf Gletschern dazu bei, diesen zu schützen. Denn durch die Pistenpräparation wird Schnee auf dem Eis komprimiert, angedrückt und die Oberfläche hellt sich dabei auf, was mehr Licht reflektiert. Auch wenn an der Basis das Eis schmilzt, die Oberfläche wird besser konserviert, weniger Wärme und Strahlung gelangen in das Eis. Ohne diesen Effekt liegen Saharastaub, Rußpartikel, Blütenpollen, Steine und andere Verunreinigungen hin bis zu Mikroplastik von aus Städten angewehtem Reifenabrieb auf dem Gletscher und die Oberfläche wird dadurch dunkler und absorbiert mehr Wärme, der Gletscher schmilzt schneller. In solchen Gebieten hat man auch begonnen, neben den Pisten Schnee zusammenzuschieben, zu plätten und in Furchen zu verteilen. So wird für die Pisten im Winter nicht benötigter Schnee vor dem Verwehen geschützt. Denn der Wind trägt in solchen Höhen den trockenen und daher staubartigen Schnee tonnenweise in wenigen Stunden ab und verfrachtet ihn in Rinnen, Felsen oder auf die andere Bergseite. In den durch Schneekatzen geschaffenen Rinnen sammelt sich durch den Wind zusätzlich Schnee, welcher wiederum regelmäßig angedrückt wird. So wird aus einem Minus durch Wind ein Plus durch denselben. Auch hier kostet diese Praxis aber viel Diesel.

Snowfarming mittels Pistenmaschinen in Saas Fee. In den Furchen sammelt sich Treibschnee, der regelmäßig festgefahren wird. Diese Stelle sichert den Zugang von der höchstgelegenen U-Bahn der Welt zu den Gletscherpisten und wäre ohne diese Praxis längst weggeschmolzen.
Schneefangzäune aus Metall am Schmiedlinger Kees auf dem Kitzsteinhorn. Der Gletscher wird in weniger als 30 Jahren weggeschmolzen sein. An dieser Stelle wird schon lange im Sommer nicht mehr Ski gefahren, aber jedes Jahr ein Vergnügungspark für Gäste vor allem aus dem arabischen Raum errichtet, welche noch nie in ihrem Leben Schnee gesehen haben.
Ob diese dabei allerdings mehr persönliche Relation zur Klimakatastrophe aufbauen können, wäre spannend zu erfahren. An der Kante links beginnt der Nationalpark hohe Tauern. PS: Schaufelbagger und andere Großgeräte sind an den meisten Gletscherskigebieten anzutreffen. Sie werden benötigt, um Gletscherspalten mit Schnee und Eis für den Herbstskilauf jährlich neu zu verfüllen.

Einen ähnlichen Effekt haben Fangzäune. Meist aus versetzt angeordneten Holzlatten bestehend oder auch Metall, sind sie zwar winddurchlässig, aber fangen genug Flugschnee ab. Diese Methode kommt rund um die Welt in Skigebieten auch ohne Gletscher zur Anwendung, welche schneearm und windausgesetzt gelegen sind. Von Neuseeland über Spanien bis eben zu den Alpengletschern. Das Vorgehen ist minimalinvasiv. Trotzdem muss auch hier der Schnee maschinell verdichtet werden. Mit Schnee Mulden füllen, Berge auftürmen oder ganze Pistenabschnitte formen, gehört auch zum Snowfarming und ist vor allem auf den wenigen ganzjährig genutzten Gletschern anzutreffen. Auch unter den Begriff fällt die Konservierung durch Abdeckungen mit Folien, wenn dabei nicht das Eis, sondern eben Schnee im Fokus steht. Damit werden sogenannte Schneedepots fürs nächste Jahr angelegt. Das geht auch abseits von Gletschern und wird immer mehr von Skigebieten genutzt. Berühmte und umstrittene Beispiele sind Kitzbühel, Adelboden oder neuerdings auch skandinavische Gebiete, die damit unabhängig von Gletschern Trainingspisten für den Herbst herrichten wollen, um nicht rund um den Globus reisen zu müssen. Zwar schmilzt ca. 15 % des so konservierten Schnees über den Sommer, aber es ist weniger aufwändig als die Produktion von Kunstschnee im immer wärmer werdenden Herbst. Abgedeckt wird hier auch mitunter mit Sägespänen, Plastikfolien, Schaumstoffplatten oder anderen Materialien. Sogar in Mulden wie Halpfpipes übersteht der Schnee den Sommer auch in niedrigen Lagen sehr gut. In Davos zum Beispiel wird ein solcher in einem schattigen Wald konservierter Schneehaufen mittlerweile regelmäßig für eine Langlaufpiste bereits in der Vorsaison genutzt. Man kann argumentieren, dass das energiearmer als der Einsatz von Schneekanonen ist, Pisten bei dem Temperaturen weit über dem Gefrierpunkt ermöglicht und somit gar umweltschonend sei. Der Bau einer Piste aus solchen Schneelagern ist allerdings aufwändiger und damit CO2-intensiver und solche weißen Bänder in noch grünen Wiesen im Frühwinter können auch eher ein Symbol gerade für die Klimaerwärmung und ihre Folgen sein. Schnee über den Winter retten, ist also ein zweischneidiges Schwert. Auf Gletschern kann durch den Effekt des darunter kühlenden Eises mit vergleichsweise wenig Aufwand respektable und größere Wirkung erzielt werden.

Eisdepot auf einer Skipiste.
Aus Schneedepots hergestellte Piste für die Vorsaison in Kitzbühel.

Beschneiung

Die künstliche Herstellung von immer öfter ausbleibendem Schnee ist eine weitere Möglichkeit, darbenden Gletschern zu helfen. Dass dies mit Druckluft und Wasserpumpen aber extrem viel Energie in Form von Strom benötigt, ist es ebenfalls eine den Klimawandel verschlimmernde Methode. Oft werden dafür in Gletschernähe gigantische, künstliche Speicher errichtet. Problem dabei, die Speicher stehen wie die Gletscher ganz oben am Berg und füllen sich nicht natürlich mit Schmelzwasser. So wird auch für die Speicherung Wasser den Berg hochgepumpt. Natürlich argumentieren manche, dass dabei manchmal Ökostrom bzw. nahe Wasserkraft zum Einsatz komme, aber jedes bisschen Strom, dass wir verschwenden, weil wir noch nicht genug erneuerbare Energien haben, fehlt an anderer Stelle. Luxus wird so noch viel mehr zu einem solchen. Global gesehen, bewerten manche Skifahren als ähnliche unnötig wie Golf zu spielen. Für Alpenbewohner ist mitunter wiederum eine wirtschaftliche Lebensgrundlage. Abgesehen von Speicherbecken, sind eine Vielzahl an Infrastrukturen notwendig: Pumpstationen, Schächte, Schneekanonen oder -Lanzen, unterirdische Wasser- und Druckluftleitungen, Computersteuerungen, Beleuchtung, Türme und Kräne, um schwierige Stellen zu erreichen, Reparaturwerkstätten, Transportmittel, um die Kanonen jeweils im Sommer abzumontieren und Lagerhallen um sie dann aufzubewahren. Außerdem Helikopter, welche die teuren Maschinen von einer Piste zur andern fliegen, damit man mit denselben teuren Kanonen mehrere Pisten beschneien kann. Ja, das praktizieren manche Skigebiete wirklich so als Teil ihrer jährlichen Routine. So zum Beispiel die Prestigeorte St. Moritz oder Zermatt am Matterhorn. Die Tatsache, dass die reichsten 10 % der Weltbevölkerung für ungleiche 50 % des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich sind, wird an solchen Aktionen besonders sichtbar.

Beschneiter Restgletscher im Mölltal. Hier wurden Leitungen lose auf das Gletschereis verlegt, man kann die auf Türmen angebrachten Schneekanonen erkennen. Der Gletscher ist die letzten Jahre extrem stark geschwunden. Der Betreiber geriet die letzten Tage im Zuge der Energiekrise in sozialen Medien in Kritik, weil auch diesen Herbst früh der Gletscher beschneit wird.

Bau, Unterhalt und regelmäßiger Ersatz der Anlagen sind komplex. Es gibt aber auch Innovationen, welche die Effizienz verbessern. Zum Beispiel Systeme, die mit Eigendruck – sprich Schwerkraft – funktionieren. Dabei muss das Wasser nicht mehr unter Druck gesetzt werden, was aber von topografischen Gegebenheiten abhängt. Sprühdüsen, die auch bei Grenztemperaturen Schnee herstellen, verringern den Energiekonsum, weil sie die manchmal eingesetzte zusätzliche Kühlung obsolet macht. Bei Beschneiung wie auch Snowfarming wurde die letzten Jahre vor allem auch die satellitengestützte Schneeverteilung wichtig. Mit GPS-Sendern auf Pistenmaschinen lässt sich den Abstand von diesen zum Satelliten berechnen und damit daraus die Schneehöhe kalkulieren. Und zwar zentimetergenau. Der Bullyfahrer hat in seiner Fahrerkabine an einem Bildschirm den genauen Überblick, wo und wie viel Schnee auf der Piste liegt. So muss nur dort Schnee verteilt werden, wo er fehlt. So kann man eine Überproduktion von Schnee vermeiden. Zur Beschneiung gäbe es noch viele interessante Details, umwelttechnische Argumente etc. zu berücksichtigen. Wir wollen uns aber auf die Möglichkeiten beschränken, Gletscher zu schützen.

Normalerweise unsichtbare Infrastruktur im Boden: Leitungen für die Beschneiung am Hintertuxer Gletscher im Herbst. Datenkabel für Steuerung und Sensoren, Druckluftleitungen für die Sprühwirkung und Wasserrohre. Rechts stapft der Skirennnachwuchs nach dem Training vom Pistenende auf dem Gletscher über die Baustelle zur Seilbahnstation auf der linken Seite.

Eine eher weniger bekannte Variante der künstlichen Schneeproduktion wurde bisher in Zermatt und am Pitztaler Gletscher im großen Stil und an Skievents in Städten mobil als kleine Version umgesetzt. Die Rede ist vom “Snowmaker”. Diese aus Kühltechnik für israelische Minen hervorgegangene Maschine erzeugt mit Kühltürmen und in einem Vakuum Kälte und damit Schnee. Der Schnee ist quasi das Abfallprodukt, welches in Israel keine Rolle spielte, aber für den Nobelkurort am Matterhorn als erster Kunde vor über zehn Jahren sehr interessant war. Damit kann auch bei hohen Plustemperaturen Schnee produziert werden. In den genannten Gletscherskigebieten steht die große Maschine am Pistenende neben dem Gletscher und erlaubt deren Präparation lange bevor die Beschneiung mit Schneekanonen im Spätherbst möglich ist. Effizient? Dekadent? Solvent.

Im schwarzen Gebäude steht die Kühlmaschine, welche für israelische Minen entwickelt wurde. Über Förderschnecken und die Rutsche gelangt der künstliche Schnee auf die darunter entstehende Piste.
Die daraus hergerichtete und mit viel Diesel präparierte Piste.

Das Schneiseil

In der Schweiz ist die Beschneiung von Gletschern verboten, in Österreich teilweise erlaubt. Doch genau in der Schweiz gibt es nun ein sehr interessantes Projekt, dass nicht von kommerziellen Interessen von Skigebieten geleitet ist, sondern durch Forschung herausfinden und demonstrieren will, wie man mit einer Mischung aus den oben genannten Techniken tatsächlich Gletscher auch in größerem Maßstab partiell schützen könnte. In den Nullerjahren gab es zwar in Zermatt relativ erfolglose Versuche, Eis mittels Wasserberieselung zu züchten, doch das Projekt im Engadin, in der Nähe vom erwähnten Refugium für schwerreiche Magnaten, St. Moritz, will man die Sache nun ein paar Schuhnummern größer und mit einem anderen Prinzip angehen. Weil der kommerzielle Einsatz viele Techniken hervorbrachte, möchten die Wissenschaftler hier diese kombinieren und tatsächlich dazu nutzen, das erste Mal an einem für unsere Breitengrade recht großen Gletscher einsetzen. Die Idee ist es, ohne zusätzliche Energie mit einem passiven Schwerkraftsystem Wasser über dem Gletscher zu versrpühen, der noch in der Luft zu Schnee gefriert und dann als solcher auf der Oberfläche liegen bleibt, um diese zu schützen und so den Gletscher mit einer Schneeschicht länger bis in den Sommer vor Schmelzprozessen schützen zu können.

Grafik der Initiative “MortAlive” – rechts und unten der Morteratschgletscher, links der zufließende Persgletscher. In Blau der noch nicht existierende höher gelegene Speisesee mit Schmelzwasser, unten die geplanten gletscherüberspannenden Schneiseile mit den Sprühköpfen. Das ganze soll ohne Strom und nur durch Schnwerkraft funktionieren.

Dafür haben sie eine ganz spezielle Stelle am Morteratschgletscher ausgesucht, welcher vom höchsten Berg der Ostalpen, dem Piz Bernina, herunterfließt. Weiter oben, ab einem dem Hauptgletscherstrom zufließenden Nebengletscher soll sich die nächsten Jahre erst noch in einer höher gelegenen Mulde ein See bilden. Das Wasser daraus soll rein durch den Höhenunterschied in Leitungen den Berg hinunter transportiert werden, wo es über dem tieferen Hauptgletscherstrom versprüht wird. Dafür sollen lange Stahlseile wie bei einer Seilbahn in regelmäßigen Abständen talquerend hoch über den Gletscher gespannt werden, wo wiederum ebenfalls in regelmäßigen Abständen dieselben Düsen montiert sind, welche bei modernen Schneekanonen eingesetzt werden und ohne zusätzlichen Druck auskommen. Damit würde also rein die Schwerkraft diesen ausgewählten Bereich des Gletschers bei kalten Temperaturen im Winter beschneien. Es handelt sich dabei ausdrücklich um die Nährungszone, wo ganz oben am Berg der Gletscher durch Schneefall entsteht, sondern weiter unten. Dabei soll festgestellt werden, wie viel Eis man vor dem Schmelzen retten kann und ob andere Parameter wie Fließgeschwindigkeit, Eisrückzug, Höhe etc. beeinflusst werden können. Das Projekt vereint Geologie, Glaziologie, Hydrologie und verschiedene technische Disziplinen wie Stahlbau, Seilbahnbau und Beschneiungssysteme. Interessant ist auch die Mischung der Beteiligten. Während die lokale Seilbahngesellschaft das Projekt in ihrer multimedialen Ausstellung als Besuchermagnet nutzt, hat die Region als Klimasündenpfuhl für superextrem Reiche ein Interesse aus Imagegründen, verschiedene lokale Hochschulen ein Interesse an lokal generiertem und nutzbarem Wissen und der ebenfalls beteiligte Seilbahnhersteller ein Interesse an einer Schuh in der Tür zu einem noch unbekannte aber vielleicht riesigen Markt. Typisch diplomatische, aber sehr liberale und direktdemokratische Schweiz. Man könnte übrigens das jetzt politisch sezieren und darin viele Konflikte erkennen, aber man könnte eben auch kollaborativ vorbildliche Lösungen im Kampf gegen die Klimakatastrophe sehen. Ich freue mich auf deine Meinung und einen Diskurs dazu auf Twitter!

Grafik mit dem Funktionsprinzip. Eine bei tiefen Temperaturen gesprühte Schneeschicht soll den sonst bereits früher bis aufs Eis ausgeaperten Gletscher vor dem Sonnenlicht im Sommer schützen.

Visionen und Realität

Man kann die Idee Gletscher zu beeinflussen und damit deren Rückgang unterschiedlich betrachten und verstehen. Angefangen mit kommerziellen Interessen ein Abschmelzen noch etwas hinauszuzögern, was den meisten Gletscherskigebieten nur punktuell, aber dann ganz erfolgreich gelungen ist – jedoch nur für wenige Jahre. Viele solche Gletscherflächen sind heute trotzdem weggeschmolzen. Oder aus romantischer Sicht – und das ist wohl die Wahrnehmung der großen öffentliche Mehrheit. Diese setzt die Idee eher in den Kontext des globalen Klimawandels und was sie persönlich betrifft. Natürlich kann man weder den Schmelzprozess noch den Klimawandel selber aufhalten und solche Ideen scheinen hilflos und verschwenderisch. Gletscher aus für den Tourismus ästhetischen oder ideologischen Gründen zu retten, macht weder finanziell noch von der Umweltbilanz her Sinn. Denn der Gletscher verändert dabei sein Gesicht stark, sein natürlicher Eindruck geht verloren, man sieht ihm den technischen Einfluss stark an. Aber mit Hinblick auf zukünftige oder schon heutigen Probleme z.B. in Sachen Wasserknappheit, geologische Stabilität, Speicherkapazität von Niederschlägen etc. könnten diese Techniken plötzlich bitter notwendig werden. Auch für uns. Aber anderorts ist das schon heute der Fall, zum Beispiel im Himalaya. Dort schmelzen Gletscher mittlerweile ebenfalls stark ab und die Bewohner dieser Regionen leiden tatsächlich schont teilweise ganz akut unter dem Schwund von Trinkwasser, welches sie auch für lokale Landwirtschaft benötigen. Während man in Alpentäler schon seit Jahrhunderten ausgeklügelte Bewässerungssysteme gebaut hat, ist das für die armen Bergvölker des höchst gelegenen Gebirges der Erde nicht so einfach. Sie verfügen nicht über den Entwicklungsgrad, die Ressourcen und Techniken. Vor allem wird problematisch, dass sich durch sehr heiße Sommer die Schnee- und Gletscherschmelze verstärkt und saisonal immer mehr konzentriert. So ist nicht mehr das ganze Jahr ein Wasserfluss garantiert, wenn schon früh im Sommer Schnee und Eis weg sind. Das trifft Alpenbewohner aber genauso. Das Wasser ist nicht da, wo und wann es benötigt wird. Staudämme sind extrem teuer und haben viele Nachteile. Wenn also das Abschmelzen der lokalen Wasserreserven verlangsamt werden kann und sogar durch die Idee von zusätzlicher Speicherung durch künstliches Hinzufügen von Wasser auf den Gletscher selbiges dort und in relativ natürlicher Form gespeichert werden kann, dann könnte das vielleicht ein hilfreiches Konzept sein. Ob es skalierbar ist, soll mindestens der noch eher kleine Schritt der Schweizer Idee zeigen. Noch gab es erst eine Vorstudie und ein erste kleine technische Versuchsschritte vor Ort, allerdings erst auf dem Parkplatz der Seilbahn im Tal.

In direkter Nachbarschaft zum Forschungsprojekt, der Diavolezzafirn. Der gehört nicht zur Forschung und hier ist die Abdeckung kommerziell. Früher gab es hier Sommerskilauf, die Skilifte standen auf einer geschlossenen Eisfläche. Auf dem Bild ist die davon übrig gebliebene im Sommer eingepackte Piste bzw. das darunter liegende Toteisfeld zu sehen. Der Gletscher im Hintergrund ist hingegen Gegenstand des ein paar Schuhnummern größeren Forschungsprojektes mit den sogenannten “Schneiseilen”.

Fun Fact: An der Bergstation entstand in den Sechzigern eines der weltweit ersten Sommerkigebiete. Das ist heute praktisch vollständig weggeschmolzen, Sommerskilauf ist schon, wie an vielen anderen Orten, seit den Neunzigern Geschichte. Aber jüngst hat die lokale Liftgesellschaft begonnen, das restliche Toteisfeld früh im Herbst künstlich und herkömmlich mit Kanonen zu beschneien, um die Saisoneröffnung vorziehen zu können. Das ungleich größere benachbarte Forschungsprojekt am gleichen Berg, allerdings auf der Rückseite, braucht hingegen wirksame Aufmerksamkeit, um es dann auch durchführen und finanzieren zu können. Und genau das dauert noch. Auch politisch kann es umstritten sein. Wer jetzt an verschandelte Landschaft denkt, der sollte berücksichtigen, dass Staumauern, Zisternen, Pumpen, Kanäle, Umsiedlungen etc., um einer Trinkwassernot zu entkommen, unter Umständen mehr Schaden anrichten, als die relativ energiearme Speicherung auf Gletschereis mit minimalen technischen Maßnahmen.

Die Eis-Stupa

Inspiriert worden sind die Forscher übrigens durch eine verwandte Technik aus Indien: der Eis-Stupa. Eine Stupa ist eine architektonische Struktur, die im Buddhismus wichtig ist. Einst als Grabhügel entstanden, hat sie sich zu einer Art rituellen Kultstätte weiterentwickelt. In der Mitte der Struktur gibt es einen Stab, rund um diesen wird Erde halbkugelförmig aufgeschüttet. Es entsteht eine Art Kuppel. Im Zentrum steht der Stab auf den Knochenresten des Verstorbenen, und dieser soll mythologisch gesehen der Übergang zum Universum symbolisieren. Er sammelt alle Energie, die Geburt und Leben beeinflusst hat. Dadurch inspiriert, hat der Inder Sonam Wangchuk die Eis-Stupa erfunden. Mittels Ästen bildete er die Form der Stupa als Hügel nach und lies, ebenfalls rein durch Schwerkraft getrieben, Wasser über die Zweige rieseln, welches bei tiefen Temperaturen zu Eis gefriert und so langsam einen großen Eishügel entstehen lässt, der im Frühling nur sehr langsam abschmilzt und so in trockenen Regionen eine Art gefrorene Trinkwasserreserve als Übergangslösung darstellt. Also quasi auch gesammelte Lebensenergie, aber ganz greifbar. Dieses Low-Tech-Prinzip versuchen nun die Schweizer Wissenschaftler in größerem Stil und mit westlicher Technik nachzubilden.

Eis-Stupa im Himalaya. Mit dem Versuch, einen quasi künstlichen Gletscher anzulegen, konnte tausenden Bauern geholfen werden und mit dem Wasser über 5000 Bäume in der wüstenähnlichen Region gepflanzt werden.

Fazit

Man könnte jetzt argumentieren, warum sie das nicht gleich vor Ort machen. Aber Forschung vor Ort ist weit weg und daher teuer. Natürlich können solche Techniken schon in naher Zukunft einen weltweiten Markt bedienen. Ganz armen Menschen bleiben jedoch nur die Stupas und die teuren technischen Lösungen aus der Schweiz kann sich dann leisten, wer es zu bezahlen vermag. Aber energiearme Methoden wie Folien, passive Beschneiung, Snowfarming etc. könnten gerade als Wissenstransfer im Rahmen von Entwicklungsprojekten vielen Regionen Zeit verschaffen. Die Forscher hoffen auf 30 bis 50 zusätzliche Jahre für bedrohte Eisflächen. Finanziert durch Erstweltländer, müssen in naher Zukunft viele solche Projekte zur Klimaanpassung entwickelt und unterstützt werden. Stichwort Klimaflucht. Uns wird nichts anderes bleiben, als Millionen von Menschen weltweit durch unseren technologischen Vorsprung zu helfen, irgendwie mit dem hauptsächlich von uns getriebenen Klimawandel klarzukommen. Aus Wissenschaft wird Geopolitik. Bizarre Ideen wie beschneite und abgedeckte Gletscher könnten unter vielen anderen Maßnahmen also plötzlich grundlegend relevant für unsere Sicherheitspolitik werden. In diesem Kontext ist die Weiterentwicklung von klimatisch ursprünglich völlig irrsinniger und umweltschädlicher Technik für kommerzielle Interessen der für viele schon an Perversion grenzenden Möglichkeit, auf Gletschern oder ohne natürlichen Schneefall Ski fahren zu können, eine unverzichtbare Notwendigkeit geworden. Weniger komplex, so günstig und energieeffizient wie möglich ist dabei das Ziel. Wir haben diese Techniken ebenfalls und ganz bewusst als bereits seit Jahrzehnten geschehende Anpassungsstrategie an die Klimaveränderungen in Europa erfunden, jetzt müssen wir diese teilen. Wahrscheinlich nicht nur aus Verantwortungsgefühl für den hilflosen ärmeren Teil der Welt, den es zuerst und härter trifft, nein, sondern genau deswegen auch aus ureigenem Interesse, Klimamigration zumindest zeitlich zu verzögern und abmildern zu können.

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