Agrivoltaic – wenn oben und unten gewonnen wird

Solar doppelt auf gleicher Fläche nutzen, das ist die Zukunft. Unten wachsen Himbeeren und oben wird Strom produziert. Das eröffnet ganz neue Synergien, Landwirte werden zu Stromwirten und die Power der Power wird wieder lokalisiert. Noch ist viel Forschung nötig, wie Technik und Biologie am besten zusammenpassen. Die Prinzipien und Methoden zusammengefasst.

Agrivoltaic ist ein englisches Kofferwort, das sich aus Agrar und Fotovoltaik zusammensetzt und es beschreibt eine der vielversprechendsten Methoden, um dem globalen Klimaproblem zu begegnen. Klingt übertrieben? Wenn du beim Wandern in Brandenburg, entlang der A9 oder sonst irgendwo an einem klassischen Solarpark vorbeigekommen bist, dann hast du dir sicher auch schon die Frage gestellt, ob diese Solarpaneele auf der grünen Wiese nicht den Bauern oder auch anderen Nutzungen den Platz wegnehmen. Solche Parks gibt es seit ungefähr 20 Jahren und bestehen üblicherweise tatsächlich nur aus einer Wiese mit blauen Solaranlagen darauf. Niedrig montiert kommt kein Fahrzeug vorbei, keine oder nur kleine Tiere können sich darunter bewegen und der Wartungsaufwand ist nicht unerheblich, denn die Vegetation muss kurz gehalten werden, damit die Paneele nicht zuwachsen. Eingezäunt sind die empfindlichen Anlagen auch meistens. Viele halten dieses Konzept nicht für sinnvoll und plädieren für den Ausbau von Solar auf Dächern. Doch die technischen Möglichkeiten, Forschung und Ideen rund um Solarstrom auf Landwirtschaftsland sind heute viel weiter und lösen die meisten Probleme. Werfen wir einen Blick auf diese hoch spannende Entwicklung. Los geht’s!

Herkömmliche Solarparks sind eher ineffizient, platzraubend und weniger akzeptiert

Das Prinzip

Agrivoltaic ist die einfache Idee, unter auf Stelzen montierten Solarpaneelen weiter landwirtschaftliche Produkte anzubauen. Es klingt so simpel und logisch, aber in Realität stellen sich viele Fragen: Wächst gleich viel? Was braucht es für Technik? Wer installiert und betreibt die Anlagen? Dazu ist einiges an Forschung notwendig. Angefangen hat man damit, Paneele einfach vertikal aufzustellen. Darauf lagert kein Schnee, wenig Schatten entsteht und Maschinen können gut in den Feldern arbeiten. Doch noch besser ist es, die Paneele wie ein Dach höher über die Pflanzen hinweg zu spannen, dann können sich Tiere wie Maschinen fast frei darunter bewegen. Dabei wurde zum Beispiel herausgefunden, dass nur ca. 3-10% an Fläche verloren gehen, um die Stelzen im Boden zu verankern. Es entstehen jedoch tote Winkel, wo Landwirtschaftsmaschinen nicht komplett hinkommen.

Pflanzen und Solarzellen müssen zusammenpassen

Die Anlagen

Man hat damit experimentiert, was passiert, wenn man Paneele beginnt beweglich zu installieren. In der initialen Wachstumsphase einer Pflanze benötigt diese mehr Licht, später mehr Schatten. durch den verstellbaren Winkel der Anlagen, kann das nach Belieben beeinflusst werden. In Sachen Schatten würde man erst an Nachteile denken, aber ganz im Gegenteil, es gibt viele Pflanzen, die gedeihen besser im Schatten. Jede Pflanze hat einen Lichtsaturierungspunkt, ab welchem sie kein zusätzliches Licht mehr aufnehmen bzw. mit Photosynthese zu Biomasse umwandeln kann. Nimmt man also geeignete Schattengewächse, so werden diese produktiver unter den Fotovoltaikanlagen. Das ist wiederum für heiße Regionen sehr interessant bzw. auch für Regionen, wo der Klimawandel immer rascher spürbar wird. Heiße Anlagen produzieren aber weniger Strom. Wenn diese nun über größeren Kulturpflanzen stehen – und nicht nur über Gras, welches von ein paar Schafen kurz gehalten wird – dann kühlen die Pflanzen durch Verdampfung die darüberliegenden Solarpaneele und machen diese leistungsfähiger. Der Wasserverbrauch dafür konnte zusätzlich komplett halbiert werden, denn die beschatteten Pflanzen verlieren signifikant weniger Wasser als freie Feldflächen. Eine perfekte Koexistenz also. Dabei kommt es aber auf viele Parameter an, z.B. wachsen Erdbeeren besser, wenn die Solarzellen auf durchsichtigen Paneelen etwas Abstand zueinander haben und somit ein gewisser Anteil an Licht durchkommt. Dies wirft wiederum Fragen dazu auf, wie man Anlagen designen kann, dass sie möglichst vielen Pflanzen zuträglich sind – z.B. wenn das ökologische Prinzip der Fruchtfolge, also der im Jahresrhythmus wechselnden Bepflanzung, genutzt werden soll, damit die Böden nicht auslaugen. Fotovoltaikanlagen haben eine längere Lebensdauer als die Pflanzen unter ihnen. Es wurden darum sogar mobile Anlagen entwickelt, die einfach woanders hin gerollt werden können. Hinter der Simplizität der Agrivoltaic-Idee verbirgt sich also ein sehr komplexes System an Abhängigkeiten und Beeinflussungen von Biologie und Technik.

Je nach Typ passen auch große Maschinen unter Agrivoltaic-Anlagen

Vorteile

Mit Agrivoltaic kann sehr vielen aktuellen Problemen begegnet werden. Die Effizienz von Nahrungsmittelanbau kann gesteigert werden, der Energiebedarf dazu gesenkt bzw. direkt vor Ort produziert werden. Pflanzen können dort wachsen, wo es ihnen klimatisch sonst nicht möglich wäre. Man kann durch die Steuerung von Schatten das Wachstum steuern. Eine Versuchsanlage in Babberich in den Niederlanden, direkt an der Grenze zu Deutschland gelegen, hat bewiesen, dass dort Erdbeeren gleich gut und sogar besser wachsen als auf herkömmlichen Flächen. Erdbeeren sind sehr empfindlich und werden deswegen vor allem unter Plastikzelten herangezogen. Wenn man dabei nun die Gemüsekammer Europas in Alemria in Spanien denkt, wo eine ganze Region unter Plastik verschwunden ist, dann kann man vielleicht die fantastische Zukunft von Agrivoltaic erahnen. Die Solardächer schützen die Pflanzen darunter nämlich auch vor Sommerstürmen und Hagel. Der Einsatz von Chemie kann womöglich reduziert werden, mehr Biodiversität ist mit schattigeren Flächen möglich. So entsteht Nahrung für mehr Tiere, welche die Pflanzen wiederum positiv beeinflussen können. Für Vögel und Fledermäuse können neue Lebensräume entstehen. Der Wasserverbrauch sinkt und nicht zuletzt können Flächen doppelt genutzt werden. Damit wird das Hauptproblem der Fotovoltaik gelöst, dass Energie von Herstellern lieber dort produziert wird, wo Menschen wohnen, da es da ein bereits vorhandenes Netz gibt und die Verbraucher nahe sind – genau da aber ist die Flächenverteilung besonders umstritten. Fotovoltaik kostet nur noch einen Bruchteil soviel, wie noch vor einem Jahrzehnt. Das bringt wiederum die Möglichkeit mit sich, dass auch Landwirte selber investieren und profitieren können. Auf Feldern Nutzpflanzen anbauen UND Strom zu produzieren, schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Wie alle neuen Technologien, hat auch Agrivoltaic das Potenzial, große soziale und wirtschaftliche Veränderungen auszulösen – mit all den Vor- und Nachteilen. Man denke nur schon daran, was alles mit der Produktion von Nahrungsmittel zusammenhängt: Ernährungssicherheit, Armut, Krieg, Gesundheit, Geopolitik und vieles mehr. Und damit wären wir schon bei den Problemen angekommen.

Das Plastikmeer von Almeria könnte…
…bald so aussehen.

Hürden (Spoiler: Bürokratie und Politik)

Die Sonnenseite klangen jetzt schon fast zu fantastisch, um wahr zu sein? Nun, es gibt natürlich auch Schattenseiten, und nicht die hier ja gewollten, die guten. Eigentlich könnte man da schon viel weiter sein, wenn die Politik und die Lobbyarbeit von Erdölkonzernen der Solarforschung nicht Steine in den Weg gelegt hätten. Gerade erleben wir aber eine historische Wende, wo ebendiese Konzerne plötzlich merken, dass es mit dem Klimawandel um ihr Überleben geht und somit neue Energieformen für sie die einzige Ausweichmöglichkeit sind – denn fossile Energie wird definitiv bald der Vergangenheit angehören. Deswegen sprudeln jetzt die Geldquellen und die Forschung läuft weltweit auf Hochtouren. Die Technologie ist lange noch nicht perfekt, aber durch die vielen Vorteile und mangels guter Alternativen lässt sich das verschmerzen – uns bleibt schlicht keine Zeit mehr bis zur Perfektion. Die USA alleine hat errechnet, dass wenn nur ein einziges Prozent ihres Farmlandes mit Agrivoltaic genutzt würde, bereits ihr selber gesetztes Ziel an erneuerbarem Energieanteil gedeckt wäre. Südkorea und Japan haben die letzten Jahre zwischen 2 und 150 Megawatt gebaut. China wiederum macht, wie alles, im großen Stil und hat in nur 5 Jahren 4000 Megawatt aus dem Boden gestampft. Das ist etwas mehr als ungefähr drei mittelgroße Atomkraftwerke leisten.

Eine transluzente Variante eines Schweizer Startups

Und in Deutschland? Vom weltweiten Solarpionier ist man unter den CDU-Regierungen der letzten zwei Jahrzehnte zum Drittweltland abgestiegen, was Solarenergie betrifft. Vor allem die Bürokratie und die deutsche Bräsigkeit stehen der Zukunft von Agrivoltaic (noch) im Weg. Bei der Bürokratie ist das Problem, dass Agrivoltaic nur mit aufwändiger Baubewilligung analog für Gebäude möglich ist und wegen der Zonenordnung nicht auf Landwirtschaftsland, was ja gerade Sinn der Sache wäre. Ausnahmen gibt es nur, wenn der Grund auf der Liste für außergewöhnliche öffentliche Interessen stehen würde. Das tut Fotovoltaik auf Ackern aber nicht. Als ob die Klimakatastrophe kein außergewöhnliches Interesse wäre. Warum ist das so? Das hat viel mit dem “Nimby”-Phänomen zu tun: “Not In My Backayard” – also überall, nur nicht vor meiner Nase. Darum scheitern Windparks, Biogasanlagen und viele andere sinnvolle Projekte. Aber gerade die Agrivoltaic hätte besonders die Chance, dies zu ändern. Vor allem deswegen, weil die Einflüsse auf Nachbarn marginal sind – kein Infraschall, Turbinen, Gestank oder ähnliches. Der Schlüssel liegt hier in der Finanzierung und dem Betrieb. Werden Bauern, Gemeinden und lokale Communities eingebunden oder gar zu den Besitzern, dann steigt durch die Partizipation am Erfolg auch die Akzeptanz. Gerade normale Solarparks, die eher große, schräg gestellte Paneele auf dann nicht mehr anders nutzbaren Fläche stellten, haben Nimbys eher darin bestärkt, gegen solche Projekte zu sein. Um solche Entwicklungen anzustoßen, braucht es die Politik. Mit Subventionen, Regulierungen und staatlichen Anreizen können Projekte in Gang gebracht werden und eine Kultur rund um die Sonnennutzung kann entstehen. Genauso, wie es bei Solarzellen auf Dächern von Einfamilienhäuser bereits geschehen ist. Ist es gut für alle, dann wollen es auch plötzlich alle. Natürlich gibt es viele andere Flächen wie Autobahnen, Parkplätze etc., die auch solartechnisch genutzt werden können – aber gerade bei der Agrivoltaic zählt die Symbiose von Pflanze und Solarzelle. Auch die Ausrufung vom Klimanotstand durch Gemeinden und Bundesländer kann helfen – denn dann könnten zum Beispiel die unsäglichen Listen ergänzt werden.

Energie ist ein Grundbedürfnis – mit Bürgerbeteiligung geht auch der Ausbau ohne schneller

Let’s make money

Beim wirtschaftlichen Aspekt ist die Sache einfacher. Wie eingangs gestreift, gibt es ein zunehmender Druck für Energiekonzerne, sich grünen Technologien zuzuwenden. Sogar ziemlich aggressiv damit werben tun zum Beispiel RWE, Total Energies, Shell und auch BP. Letztere sind mit dem Tochterunternehmen Lightsource BP mittlerweile der größte Solarentwickler Europas. Und sie sind auf eine interessante Idee gestoßen: Die Solarpaneele über den Feldern könnten auch noch für ganz andere Zwecke genutzt werden. Wind weht auch in der Nacht, ist aber bekanntlich eine nicht ganz stabile Energiequelle. Um dadurch verursachte Schwankungen im Netz auszugleichen, will Lightsource BP die Infrastruktur von Solarparks auch nachts nutzen, denn die dort verbauten Konverter können helfen, die Schwankungen zu glätten. Technisch funktioniert das bereits und ist ein Schritt in Richtung intelligente Netze. Rechnet man nun auch noch die Möglichkeiten noch künstliche Intelligenz dazu, dann könnte die vernetzte Steuerung von Agrivoltaic skaliert eine große Rolle spielen. Fehlen noch die Bauern, und die sind hingegen nicht so wirklich für ihre Risikofreudigkeit bekannt, jedenfalls nicht nach dem berühmten Kartoffelsprichwort. Da könnte Wissen und Aufklärung helfen, denn das Fraunhofer Institut hat herausgefunden, dass wenn der Ertrag eines Agrivoltiac-Feldes nicht unter 80 % gegenüber eines herkömmlichen Vergleichsfeldes sinkt, Bauern grundsätzlich dabei wären. Auch, weil dann die Energieproduktion den möglichen Verlust ausgleicht. Vorausgesetzt, dass der Bauer die Anlage selber besitzt oder der Staat den Verlust tragen würde. Der beste Fall ist natürlich, wenn der Ertrag sogar durch Agrivoltaic steigt. Damit sich nicht Finanzinvestoren der eher üblen Sorte auf den neuen Markt stürzen, wäre es vor allem im gesellschaftlichen Interesse, wenn eher langfristig interessierte Investoren wie Pensionskassen direkt in Agrivoltaic bzw. die einzelnen Bauern investieren würden. Ein breitangelegtes Bildungsprogramm und Genossenschaften könnten diese auch gleich selber zu Energiebauern machen – wie schon bei Biogas. Verknüpft mit Argumenten wie Abhängigkeit von Chemiekonzernen, auslaugenden Böden, oder Klimaerwärmung, ist das für viele Landwirte ein interessantes Instrument auch ihren eigenen Risiken und Zukunftsproblemen proaktiv zu begegnen.

Intensivlandwirtschaft und Stromproduktion könnten bald ein und dasselbe sein

Fazit

Bis 2050 wollen die meisten Länder klimaneutral sein. Immer mehr zeichnet sich aber ab, z.B. durch den IPCC, dass dies schon weit vorher der Fall sein wird müssen. Einige Länder haben ihre Ziele auch schon angepasst. Das bedeutet, in den nächsten zwei Jahrzehnten werden unvorstellbare Veränderungen auf uns zukommen. Von unserem Lebensstil, Energiekonsum bis zu unserer Infrastruktur wird alles infrage gestellt und sich dramatisch wandeln müssen. Weil die Zeit fehlt, muss die Welt alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, egal wie weit diese schon entwickelt sind. Aufgrund der schieren Möglichkeiten von Agrivoltaic, wird diese einer der wichtigsten Bausteine sein. Solarenergie funktioniert, ist günstig und weitgehend akzeptiert. Die Bürokratie und auch die Klimabildung der Bevölkerung sind aber nicht zu verachtende Hürden, die es zu bewältigen gilt. Risiken bestehen auch bei der Finanzierung, denn wer da die Fäden in der Hand hat, der entscheidet mit über die zukünftige Macht über Energie. Siehe den Artikel über den Energietresor. Die Politik sollte hier nicht den Punkt verpassen, die Bürger vor Ort einzubeziehen und direkt zu beteiligen – dann ist auch die Akzeptanz am größten. Dazu muss sie aber dem Druck und Lobbying der Energiekonzerne standhalten, die schon ein weit aufgerissenes Auge auf die Agrivoltaic geworfen haben. Eine gut aufgeklärte Gesellschaft wird eigennützigen oder schlicht inkompetenten Lokalpolitikern ohne Expertisen hoffentlich nicht mehr glauben, dass Solarenergie vom Wetter abhänge oder nicht speicherbar sei, denn diese Probleme sind gelöst. Agrivoltaic ist eine lokal gewonnene Energie ohne große Distanzen und ohne geopolitische Abhängigkeiten. Ansatzweise ist auch zu erkennen, dass besonders Ostdeutschland eine Rolle spielen wird, wo Arbeitsplätze aus dem Strukturwandel verschoben werden müssen und weil dort erneuerbare Energien schon etablierter sind. Das wird bereits jetzt schwer zum Standortvorteil, siedelten sich doch jüngst schon reihenweise große Unternehmen genau wegen der Verfügbarkeit von grüner Energie im Osten an. Aus Bergbau- und Raffineriearbeitern könnten in kurzer Zeit Arbeitsplätze in der Energielandwirtschaft werden. Wenn Robert Habeck diese Gelegenheit richtig packt, dann könnten endlich die versprochenen blühenden Landschaften entstehen. Energie kann nicht nur Krieg, sondern auch Frieden als auch Wohlstand bringen – und (wieder)vereinen.

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