Next Bike oder next Fail? Warum der Markt nicht regelt

Dies ist die Geschichte einer guten Idee und wie sie neoliberal den Bach runterging - oder ist doch die deutsche Bürokratie schuld? Eine Rekonstruktion der Ereignisse.

Ein Rad, viele Logos, unterschiedliche Geldgeber – genauso unübersichtlich wie der Markt dafür.

Es war so toll! Einfach aufsitzen und losfahren – und das überall. Ein ganz neues Gefühl der Mobilität. Doch dann kam der große Fahrradkrieg. Und der hinterließ nur Tote und schwer Verletzte – also Anbieter. Mehr Fahrräder für die Welt, natürlich unterstützt der Klimablog jegliche solche Forderung, aber vor ein paar Jahren waren wir alle an dem Punkt, wo wir über die unsägliche Flut von billigen Chinarädern in den Städten geflucht haben. So schnell wie die gelben O-Bikes kamen, so schnell verschwanden sie wieder. Geblieben sind andere. Doch auch da hat sich plötzlich vieles zum negativen verändert. Natürlich stützt sich dieser Beitrag zu großen Teilen auf eigene Erlebnisse, aber der Kontext hinter öffentlichen Fahrradverleihsystemen ist spannender als man denkt. Multimodal und klimafreundlich vs. maximal gescheiterte liberale Marktfreiheit. Sezieren wir also das Desaster:

Die Anfänge

Die Idee, Fahrräder zu verleihen, ist keine neue. In den meisten Städten und Ferienorten gibt es Anbieter, die vor allem Fahrräder an Touristengruppen vermieten. Doch die aufkommende Sharing Economy und die fortschreitenden Klimakatastrophe sowie der zunehmende Verkehrskollaps in Großstädten und auch technologische Sprünge führten vor einigen Jahren zu einer Art Boom von öffentlichen Verleihsystemen. Pioniere waren Städte wie London oder Paris, die erkannt haben, dass Autos den Menschen die Gesundheit rauben und die vielfältigen negativen Folgen die Steuerkassen enorm belasten. Dagegen hilft unter anderem Citymaut, dann braucht es aber Alternativen – z.B. guter Nahverkehr, der ist aber sehr teuer. Viel günstiger lösen Fahrräder gleich eine Vielzahl von Problemen: die Menschen bewegen sich, leben damit gesünder, benutzen weniger Autos und die Infrastruktur dafür kostet nur einen Bruchteil im Vergleich zum nächst besseren Transportmittel. Das wissen auch Politiker. Und die sind wiederum vor allem am guten Image interessiert, welches genauso schnell auf sie scheint, wie die Verleihsysteme aus dem Boden gestampft werden können. Während Bürgermeisterin Anne Hidalgo in Paris mit Vélib ein weltweites Vorbild schuf, zahlte sie auch den Preis einer Pionierin. Denn von Logistik über Wartung oder Bürokratie bis Verteilung von öffentlichem Platz gibt es viele Stolpersteine. Trotzdem ist es bis heute ein großer Erfolg.

Die Rivalen

Auch in Deutschland hat man mitbekommen, wie positiv Fahrradverleihsysteme sein können. Aber genauso sperrig wie das Wort kommt die deutsche Umsetzung daher. Fehlende Regeln, die folgende falsche Regulierung und Milliarden hinter windigen Konkurrenten verzerrten den angeblichen Markt bis zur Unkenntlichkeit. Angefangen hat es mit dem unsäglichen Kampf zwischen dem öffentlichen Unternehmen Deutsche Bahn, welches sich mit den plötzlich auftauchenden Systemen bei seinem seit 1997 existierenden Call-A-Bike Produkt bedrängt sah und dem seit 2004 bestehenden Startup Nextbike. Das Angebot der Bahn war eigentlich als Lösung für die letzte Meile vom Bahnhof bis ans Ziel gedacht, während sich Nextbike als Drittanbieter für kommunale Träger spezialisierte.

Die Bahn war die ersten 10 Jahre deutscher Marktführer, verlor dann aber zunehmend Anteile an das innovativere Nextbike. Zu Beginn war das Ausleihen bei beiden eine Odyssee, währen die Bahn schon in ihrem Namen klarmachte, dass man eine Hotline anrufen musste, setzten beide zeitweise auf sogenannte Totems, also Säulen mit Computern, wo man den Ausleihprozess initiierte. Später kamen “Fahrradcomputer” an den Rädern selbst, mit welchen umständlich in Verbindung mit dem Handy Zahlencodes in ein PIN-Feld am Rad getippt werden mussten und schlussendlich überrollten Billigbikes mit einem einfachen Ringschloss, dass sich per Bluetooth öffnete, den Markt. Es gab und gibt bis heute keine gemeinsame Leihapp – bis auf einzelne Ausnahmen, dazu später mehr – und für jeden Anbieter muss ein anderer Prozess mit Kundenkonto, Zahlungsmitteln und Ausleihvorgang sowie verschiedenen Rückgaberegeln beachtet werden. Ein Wildwuchs an Schwellen und Hürden für eigentlich gewillte Kunden.

Ein Rad für jede Situation? Immer und überall einsatzbereit? Zu einem vernünftigen Preis? Diese goldenen Zeiten sind vorbei.

Der Kampf und die Regeln

Plötzlich entdeckte die Bahn ihre Ambitionen und begann aggressiv die aufkommenden städtischen Angebote zu bekämpfen. Ein irrsinnig blöder Wettbewerb, wobei beide Wettbewerber mit Millionensubventionen der öffentlichen Hand befeuert wurden. Das ist kein Markt, sondern angezündetes Steuergeld. In Berlin lief das dann so ab, dass Nextbike von der Stadt Millionen bekam, um feste Stationen zu bauen. Die Bahn hatte anfänglich auch solche, stellte aber auf ein System mit virtuellen Rückgaben um, wo Kunden ihre Räder einfach überall hinstellen konnten. Das war tatsächlich legal. Oder umgekehrt stellte die Bahn sogar einfach ihre Räder neben die Stationen von Nextbike, welches im Vergleich zur Bahn hohe Auflagen bei ebendiesen erfüllen musste. Das waren nicht gleich lange Spieße. Für die Kunden wiederum wurde das ganz hinter Werbedeals versteckt. Nextbike war in dieser Zeit nach einem Musikstreamingdienst benannt, die Bahnräder nach einem Discountsupermarkt. Verwirrung total. Nextbike zog mit und erlaubte – offiziell zeitlich begrenzt – ebenfalls die Rückgabe nach freier Wahl, ebenfalls gegen eine Strafgebühr von 50 Cent. Gleichzeitig stellten asiatische Geisterfirmen die ganze Stadt mit ihrem Plastikschrott zu, der wohl eher zum Datensammeln als zum Menschen transportieren diente. Überall standen also Fahrräder im Weg. Bis dann die noch schlimmere Plage der E-Scooter über uns kam.

Die Probleme

Während die einen Unternehmen unreguliert ohne feste Infrastruktur einfach ihre Räder überall hinstellen durften und von Uber über Google, kleine und größere Startups von BWL-Justusen bis zu unbekannten asiatischen Riesen alle über Nacht Wagenladungen an Fahrrädern auf die Gehsteige kippten, arbeitete sich das bereits erwähnte deutsche Nextbike in die Herzen der Lokalpolitiker vor. Mit lokaler Produktion, dem Image eines deutschen Mittelständlers, beheimatet in einer Randregion und mit Verhandlungsgeschick wurde das Unternehmen immer größer. Mittlerweile sind es 50 deutsche Städte und in Europa sind die zumeist blauen Räder von der Ukraine bis auf die kanarischen Inseln in über 200 Städten zu finden. Das Geschäftsmodell funktioniert anders als dasjenige der Konkurrenten, Nextbike setzt nämlich vorwiegend auf Kooperationsverträge mit den Kommunen. Die Räder werden betrieben, meistens dafür feste Stationen installiert und im Gegenzug erhält man fixe Vertragsgelder und darf auf den Rädern Werbeflächen anbringen. Die Stadt kommt mit wenig Mitteln zu einem günstigen Vorzeigeprojekt für allerhand aktuelle Probleme, Nextbike zu einem bescheidenen Auskommen in der Nische. Während die anderen Anbieter ganz in der Startuptradition sich gegenseitig und das Geld ihrer Investoren vernichteten – siehe den vergleichbaren Showdown bei den Lieferdiensten im selben Zeitraum – blieben zumeist nur die subventionierten Varianten zurück. Gute Leihsysteme müssen günstig sein, verlässlich, verfügbar und einfach zu nutzen. Das konnten nur wenige langfristig bieten.

Der Absturz und die Folgen

Die Bahn lachte sich mit ihrer Markt- und Finanzmacht ins Fäustchen. Die Techkonzerne konzentrierten sich eher auf E-Bikes und Scooter, während die antriebslosen kommunalen Fahrräder fast alle für Nextbike übrig blieben. Doch weil sich Nextbike zuvor eine Preisschlacht mit den Milliardenkonzernen und der Bahn liefern musste, waren die Preise ruinös und der Wachstumsdruck gigantisch. Wie die Startups besorgte man sich darum als letzter Ausweg trotzt vieler Steuermillionen ebenfalls Finanzspritzen auf dem Risikokapitalmarkt, bzw. in einer etwas milderen Form, dem Crowdfunding. Das gute, bodenständige Image half dabei. Konkurrenten verschwanden und die Langzeitverträge stabilisierten. Doch die deutsche Bürokratie war gnadenlos. Während man in Berlin 720 Stationen in den ersten 5 Jahren versprach, schaffte man nicht mal die Hälfte. Viel zu wenig Räder und Stationen führten zu einer lückenhaften Abdeckung.

Da lag an den Bezirksämtern, welche viel zu wenig Personal hatten, um all die Stationen nach deutschen Normen von Denkmalschutz, Abstand zu Bushaltestellen, Grünflächen, Behindertengerechtigkeit, Straßenverkehrsordnung usw. zu bewilligen. Zum Beispiel war an einige Parkplätze einfach mutig umwidmen nicht zu denken. In einigen Bezirken ging es schnell, andere schafften fast gar nichts. Zum Verzweifeln, besonders, wenn man Fahrten von gut versorgten Gebieten in weniger gut abgedeckte unternahm. Auf der Hinfahrt fand man ein Rad, auf der Rückfahrt konnte es schwierig sein und eine Strafgebühr wegen fehlender Stationen anfallen. Die anfangs begeisterte Kundschaft kaufte sich irgendwann lieber selber Räder oder stieg zunehmend auf die neuen E-Scooter um.

Und dann passierte, was nie hätte passieren dürfen: Nextbike wurde von TIER-Mobility aufgekauft. Zwar auch ein deutsches Unternehmen, nämlich ein waschechtes Einhorn aus Berlin. Ein Milliardenkonzern. Über Nacht hatten so unzählige Städte plötzlich einen Vertrag mit dem Tretrollerriesen. Für diesen hoch lukrativ, denn die öffentlichen Verträge versprachen Sicherheit im coronagebeutelten Markt der Mikromobilität. Und genau dieser brach Nextbike das Genick, denn die Ausleihen brachen während der Pandemie stark ein. Und die Tretroller verbieten oder halbwegs strikt zu regulieren wird nun auch schwieriger, wenn man bei den Leihrädern vom selben Unternehmen abhängig ist.

Elektrische öffentliche Leihräder im hügeligen und heißen Madrid. Auch hier fing es gut an, doch durch den Konkurrenzdruck privater Milliardenkonzerne stürzte die Qualität extrem ab. Genau wie zuvor schon in Paris, fasste man sich aber ein Herz, rettete, erweiterte und renovierte das System. Das hatte seinen Preis, der aber angesichts des gesellschaftlichen Nutzens mehr als nur gerechtfertigt ist.

Was bleibt

Die folgenden Schilderungen sind nicht übertrieben. Seit Nextbike geschluckt wurde, sinkt die Qualität und es geht rapide bergab. Zwar ist das Callcenter von Nextbike immer noch extrem freundlich, aber das hilft bei zunehmend verfallenden Fahrrädern wenig. Egal wann und wo man so ein Leihrad ausleiht, etwas ist immer kaputt. Oft klemmt bereits das Schloss. Dann sinkt die Folterbank von Sattel während der Fahrt plötzlich ein, die Rahmen und Gepäckträger sind verbogen, die Befestigungsriemen abgerissen, die Sichtschieben der Gangschaltung zumeist eingeschlagen und so weiter. Zuletzt sind mir auch durchrutschende Ketten sowie kaum greifende Bremsen vermehrt untergekommen. Und das ist mitunter sehr gefährlich für die Nutzer. Die Dinger sind schlicht völlig runter gerockt. Derweil haben sich aber die Preise klammheimlich auf einen Schlag verdoppelt. So ein horrender Sprung ist weder mit Pandemie noch Inflation zu erklären. Das ist schlicht Wucher. Das Ausleihen wird immer mühsamer, denn in der App muss man verschiedene farbige Zonen mit unterschiedlichen Regeln beachten, das System ist unübersichtlich und komplex geworden.

Vor allem stört das, weil wir alle für diese miese Qualität Millionen an öffentlichen Geldern an einen Milliardenkonzern überweisen. Zwar rühmt sich dieser, dass Stationen in den Außenbezirken dazugekommen seien, jedoch war das von Anfang an vertraglich möglich – Nextbike hatte seinerseits damals den Vertrag einseitig falsch interpretiert und das System zumindest in Berlin nur in der in Sachen Frequenz lukrativeren Stadtmitte aufgebaut. Auch über eine scheue und kurzzeitige Aktion mit der BVG hinaus, kam es nicht zu einer gewünschten Verzahnung von Nahverkehr und Leihrädern. Die Räder und Stationen sind dank der ständig wechselnden Werbung und damit Kennfarbe im Stadtbild extrem schwer zu finden, im Moment in Schwarz besonders. Wer zudem so ein Rad heute leiht, muss alle paar Meter abbremsen, weil ein Tretroller derselben Marke quer auf dem Radweg stehend hinterlassen wurde. Während andere Städte die Notbremse ziehen und diese verbannen oder wenigstens für die Leihvehikel Parkplätze aufheben und feste Parkzonen zuweisen, setzen der deutsche FDP-Verkehrsminister bundesweit (und der CDU-Bürgermeister in Berlin) offen und bewusst weiterhin auf völliges Chaos, welches dann als Freiheit für Unternehmer bezeichnet wird. Für die Kunden ist die Freiheit schon lange vorbei. Und schlechte Angebote gieriger und ignoranter Börsenkonzerne mit klammen Stadtkassen zu befeuern, ist besonders in diesen Zeiten nicht mehr tragbar.

Fazit

Ein unregulierter und mit Steuergeldern verzerrter Scheinmarkt konnte nicht funktionieren. Das Nachsehen hat der Kunde, also wir alle. Denn ein schlechtes Leihsystem, teure Preise, kaputte Räder, bremsende Bürokratie, Risikokapital und Knebelverträge oder Werbedeals haben von der so hoffnungsvollen Idee von überall verfügbaren und günstigen Fahrrädern eine Karikatur derselben hinterlassen. Anstatt Zusammenarbeiten mit öffentlichen Verkehrsbetrieben bei der diesen oft fehlenden letzten Meile aufzugleisen, verstand man sich bis auf einige Ausnahmen eher als Konkurrenten. Es könnte so schön sein, wenn man für die Steuermillionen, auch gern ein paar mehr, z.B. mit dem 49-Euro-Ticket 30 Minuten inklusive hätte. Oder zumindest direkt mit der Nahverkehrskarte die Räder freischalten könnte. Ein zarter Versuch dahingehend gibt es in Berlin, nämlich mit Jelbi – einer von der BVG initiierten App, in welcher alle Anbieter mit nur einer Anwendung gemeinsam gebucht werden können – Ticket, Rad, Leihauto und Roller gleichermaßen. Dazu gibt es Stationen bei Bahnhöfen, an welchen auch all diese Anbieter gemeinsam bereitstehen. Das braucht aber Platz, sieht oft chaotisch aus und dann fehlen die gewünschten Verkehrsmittel trotzdem. Eine gute Lösung aus einer Hand wäre der einfachere Königsweg – den viele andere Metropolen gehen.

In Deutschland herrscht hingegen weiter wilder Westen bzw. egoistische Pseudofreiheit, die nicht auf gute Qualität, sondern miese und komplizierte Quantität setzt – weil irgendjemand damit verdienen soll. Ich will vorwärtskommen und nicht Spielball von Techgiganten und Opfer auseinanderfallender Verkehrsgefährdungen werden. Es ist Zeit, aufzuräumen. Der Markt reguliert nicht, er scheitert an sich selber. Nahverkehr ist Daseinsvorsorge, kein Geschäft. Das war schon immer so. Zeit, dass sich entweder Städte selber Kompetenzen aufbauen oder bei der Erneuerung der Verträge mit TIER-Mobilitiy aka Nextbike klare Kante bei den Ansprüchen zeigen. Im Gegenzug sollten einfache und das Stadtbild aufräumende Leihstationen ohne große Bürokratie möglich sein. Das darf auch gern höher belohnt werden, denn die Folgekosten von Klimakatastrophen oder die Milliarden für Autobahnen stehen in keinem Verhältnis zu Kosten und Nutzen von simplen Fahrrädern an jeder Straßenecke. Übrigens, die rund um die vorletzte Jahrhundertwende weltweit wild und kapitalistisch gebauten U-Bahnlinien wurden in allen Metropolen rund um den Globus nach kurzer Zeit aus genau denselben Gründen verstaatlicht und in öffentliche, gemeinnützige Gesellschaften überführt – also kein Ding der Unmöglichkeit. Und da schreite keiner Sozialismus – denn es war einfach nur vernünftig. Ich empfehle derweil bis auf Weiteres, auf ein eigenes Rad zu setzen. Gute Fahrt.

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