Der Herbst wird heiß – in jeder Hinsicht

Die Stimmung ist nicht gut. Und die Krisenherde werden immer mehr, vieles ist und bleibt unberechenbar. Der Kanzler beschwichtigt, doch überzeugend ist er nicht. Was uns und der Klimabewegung blüht - ein Kommentar.

Irgendwie ist es logisch, dass die Klimakrise auch eine soziale Krise ist. Aber viele verstehen diesen Zusammenhang eher im Kontext, dass anderswo zuerst Hunger, Dürre und Chaos herrschen werden – wir aber hier in Deutschland davon nicht als erste betroffen sein werden. Nun haben wir jüngst die Erfahrung gemacht, dass wir hier sehr wohl nicht nur vom primären Klimawandel – siehe Ahrtal, Rekordhitze usw. – schon heute betroffen sind und auch Sicherheit in Europa und im Lande, man denke an die Coronaproteste, nicht einfach so garantiert sind. Die Dinge könnten schnell durcheinander geraten und eine Eigendynamik entwickeln. Ein Kommentar zur aktuellen politischen Situation im Land.

Das Fundament

Wir begreifen alle gerade, dass vieles, was als selbstverständlich galt, auf wackeligem und vor allem ausgehöhltem, kaputt gespartem Fundament steht. Nur auf Vollbeschäftigung als Leistungsausweis gesetzt zu haben, fällt der Politik nun auf die Füße. Kaputte Infrastruktur, zersparter Gesundheitssektor, gierig risikoreiche Energiepolitik und der größte Niedriglohnsektor auf dem Kontinent zeigen sich plötzlich als die bösen Realitäten und wirklichen Hypotheken hinter dem Exportwunder, diesem Phoenix aus der Asche nach der Arbeitslosigkeit Anfang der Nullerjahre. Dem kleinen Mann hat man verkauft, durch rigoroses Sparen, wie die sprichwörtliche schwäbische Hausfrau, sei alles prima in Ordnung. Geiz war geil, aber nur für die, welche mehr hatten und noch mehr wollten, als ihnen guttat. Dass eine waghalsige, nicht nachhaltige Politik und das bewusste Verlottern der Substanz ein gewaltiger Kredit auf die zukünftigen Generationen wurde, damit Mehrheiten auf Kosten von Minderheiten noch ein bisschen länger das verblassende Wirtschaftswunder feiern konnten, anstatt in die Zukunft zu investieren, ist vor aller Augen passiert. Man hat sich als Führungsriege und wählende Rentnermehrheit wie so ein heuschrecklicher Vermieter lieber die Taschen gefüllt, anstatt das Haus in Schuss zu halten. Den Wertverlust und Sanierungsstau vererbt man den Kindern. Sollen die doch froh sein, überhaupt ein Haus zu erben. Harte Worte? Ich finde nicht. Denn diese religiöse Profithaltung des ungehemmten Neoliberalismus trifft nun auf multiple Krisen. Und das ist eine unheilige Mischung. Denn die Dinge sind schon länger und nicht erst seit der Abwahl der CDU nicht in Ordnung. Vom Klima weiß man schon lange. Wer soziale Medien konsumiert, stolpert alle halblang über Interview-Schnipsel einer jungen Kanzlerin, die vor der Katastrophe warnt, jahrzehntealte warnende Tagesschau-Ausschnitte oder wissenschaftlichen Berichte zum Thema. Wir wissen alle, dass wir es wussten. Man hat es genauso wie mit dem Wohlstand gemacht, weiter profitiert und die Substanz wortwörtlich verheizt. Ja sogar aktiv ausgebremst und verhindert. 10H hier, Todesstoß fürs Solarvalley dort, billige Gasverträge mit nicht nur süchtig, sondern abhängig machenden Pipelines noch obendrauf. Waren alle besoffen? War 2008 die Finanzkrise nicht eine Warnung? Hat man da nicht den besonders betroffenen Spaniern, Griechen und Italiener Liederlichkeit und/oder Gier vorgeworfen? Das interessierte weder finanziell gut versorgte Politiker noch die im Wunder reich gewordenen Babyboomer und ihre Nachkommen besonders. Man hat ja das Einfamilienhaus, die Aktien, die Renten. Doch gefault hat es unten, beim schief gegangenen Riestern für Arme, beim grausamen Hartz4 – gedacht für die Arbeitslosenkrise und nicht als institutionalisierte Profitmaschine der Ausbeutung in den goldenen Jahren nach der Bankenkrise. Warum waren die überhaupt golden? Ach ja, man hat die Nullzinspolitik genauso als eigentliche Notmaßnahme verstetigt und missbraucht, um sich ebenfalls am billigen Geld zu berauschen. Dass viele Jüngere deswegen nichts mehr bzw. gar noch nie wirklich sparen konnten und die Vermögenderen deshalb einfach wie irre in Immobilien investierten, die immer unbezahlbarer wurden für Normalverdiener, wurde ebenfalls einfach sehenden Auges akzeptiert. Jede Kritik wurde mit dem Nachkriegsnarrativ, dass wer nur genug arbeitet, sich auch was leisten kann, weggebügelt. Doch effektiv gilt das schon länger nicht mehr. Um genau zu sein laut Studien schon für ab 1980 Geborene nicht mehr. 50% mehr für ein Haus oder eine Wohnung in weniger als 10 Jahren, dafür 50% weniger Einstiegsgehalt bei viel längerer Bildungszeit und unsicheren Karrieren von Praktikum über Stagaire zu Volontariat und Zeitverträgen? Der Spiegel schrieb schon 2010:

“Ein großer Teil der Beschäftigten verfügt heute über eine geringere Kaufkraft als vor 20 Jahren. Das geht aus einer Untersuchung der Gehälter in den 100 häufigsten Berufen hervor. Die Einbußen im Vergleich zu 1990 liegen bei bis zu 50 Prozent.”

Der Spiegel

Es braut sich was zusammen

Viele junge Menschen sind ausschließlich wegen des Klimas auf der Straße. Noch. Weil man sich in diesem Alter noch nicht immer Gedanken macht, dass Allgemeingut wie Gesundheit, Eisenbahn, Autobahnbrücken oder Renten mit dem Klima zusammen von Opa und Oma oder gar Mama und Papa in den letzten Jahrzehnten neoliberal verzockt wurden. Vielleicht haben letztere auch nicht geschnallt, wie sie von Maskendealern, Dieselskandal-Seilschaften, Steuerbetrügern und Standleitungen in die Politik nach Strich und Faden über den Tisch gezogen wurden. Trotzdem tragen in einer Demokratie alle die Verantwortung. Denn auch wählen ist Verantwortung. Doch die Verantwortung jetzt simpel auf den einzelnen abschieben, ist auch nicht fair, wie wir im letzten Beitrag beleuchtet haben. Viele wurde einfach getäuscht. Durch Konzerne, Korruption und Macht. Und jetzt kommt alles zusammen. Jetzt wacht die ganze Familie auf, wenn sie das Eigenheim vergessen kann, die Rente nicht mehr reicht und Erspartes in der Inflation pulverisiert wird. Und die Kids kommen mit dem Klima noch mahnend dazu. Einen einfachen Ausweg gibt es nicht. Nur einen schwierigen – und das ist auch noch der einzige. Nämlich zu investieren, in Erneuerbare, Verkehrswende sowie einfach nur in den Aufschluss zum Rest von Europa oder der Welt. Denn digitale Steinzeit herrscht nur noch in Deutschland. Andere helfen sich gerade digital in die Zukunft, doch hier herrscht noch der bürokratische Faustkeil, äh, Fax. Jetzt wirds halt teuer bzw. teurer. Es gibt nur noch die Flucht nach vorne. Qatar und Norwegen haben nicht geklappt, um den Status Quo doch nochmal zu ermöglichen. Egal was Ratingagenturen dazu meinen werden, Bazooka tut jetzt Not. Doch Linder sitzt auf der Kasse. Dass die mit jeder Zinserhöhung teurer werdenden Schulden nicht die einzige Lösung sind, weiß er. Darum stellt er sich schützend vor seine Klientel, welche Angst vor einer sehr gerechtfertigten und überfälligen Umverteilungsdebatte hat, die den Reichen ans feudale Leder will und blockiert alles. Solange die Ampel so besteht, ändert sich auch nichts an deren kläglichen Pflasterpolitik, denn eine Zukunftskoalition ist das so ganz bestimmt keine. Und der bis jetzt doch recht souveräne Habeck alleine kann nicht alle retten. Ob die Sache mit den Gewinnmöglichkeiten an der Gasumlage ein handwerklicher Fehler war oder ob das schlicht der Kompromiss war, den die vitaleren unter den Energiekonzernen ihm hintenrum noch gelassen haben, werden wir die nächsten Wochen und Monate herausfinden. Doch Steuergeschenke, ungleiche Entlastung, Tankrabatt, nicht verlängertes 9-Euro-Ticket, astronomische Strom-, Gas- wie Konsumpreise und jetzt auch noch die Umlage summieren sich langsam doch gefährlich gewaltig.

Was für ein Winter erwartet uns?

Feuer

Dass deswegen jetzt plötzlich nicht nur noch die Jüngsten, sondern alle Generationen wütend werden, könnte der Startschuss für einen Aufbruch sein, denn es jetzt braucht. Wahlen sind jedoch erst in drei Jahren wieder. Darum könnte es in dieser politischen Konstellation jetzt auch ein Katalysator für all das Aufgeschobene sein und uns ins Chaos stürzen. Warum? Nun, wenn wie erwähnt Corona zurückkommt, Energiekosten explodieren, Strommangel und kalte Wohnung als Folge Menschen richtig körperlich spürbar treffen, gar eine Rezession droht und gleichzeitig dieser Rekordsommer der Klimaauswirkungen sich in einen unheiligen Herbst und Winter entladen, dann könnte es Kanzler Scholz schwer dabei einholen, dass er beschwichtigend Aufstände einfach ausgeschlossen hat. Dem drohenden Chaos kann er nicht mehr mit Stellschrauben und stoischem Aussitzen begegnen. Nur noch ein loderndes Lagerfeuer des einigen Zusammenhaltes könnte jetzt noch helfen. Doch Charisma und Bürgernähe kann der Kanzler, so sehr er sich noch bemühen wird, nicht und auch nicht mehr glaubhaft verkaufen. So typisch gedämpft wie er ein “You never walk alone” hervor gekrampft und genuschelt hat, so wenig ist davon zu erwarten. Es könnte also schon zu spät sein. Aufgebrachte Bürger werden aus vielen Gründen auf die Straße getrieben. Und dort könnte sich das alles vermischen. Dann brennt es unkontrolliert. So wie in den Wäldern diesen Sommer.

Gefahr für die Klimabewegung

Das könnte der relativ neuen, eher lose organisierten und durchaus auch zersplitterten und strukturell nicht wie eine Partei oder NGO gewachsene und geführten Klimabewegung empfindlich schaden. Ich werfe da Fridays for Future, Extinction Rebellion und die Letzte Generation eben gerade nicht in einen Topf, aber sie sitzen zumindest im selben Boot im selben Sturm. Wir brauchen diese zarte Pflanze dieser Bewegung intakt, weil wir keine Zeit haben, nochmal von vorne zu beginnen. Und mit wir meine ich uns alle als Gesellschaft, als Bevölkerung dieses Landes und der ganzen Welt. Der Kanzler und die Ampel stehen hier jetzt in ganz besonderer Verantwortung. Aber Scholz ist mit Krieg sowie CumEx abgelenkt und hat mit Klimakanzler so gar nix am Hut. Denn wie er jetzt mit Richtlinienkompetenz die Klimabewegung adeln und ernst nehmen könnte, anstatt sie als verzogene Kids mit unfassbaren Nazivergleichen abzukanzeln, ist von entscheidender Bedeutung. Lässt er aber das existenzielle Thema Klima in der Maße der anderen Probleme und Proteste untergehen bzw. lässt er die genauso passiv “beobachtend” wie bei der Coronakrise zu, dann könnte dies das schlimmste Erbe sein, welches er hinterlassen wird. Gefährlich ist, dass sich da Klimaproteste mit Unzufriedenheit über Gasumlage, Kälte in der Wohnung, Mond-Nebenkosten und gestrichenem 9-Euro-Ticket sowie rechten Trittbrettfahrern und zwangsweise im Winter wieder Querdenkern vermischen. Und gerade der braune Untergrund wartet nur so sabbernd auf diese Gelegenheit. Putin sowieso, denn er feuert mit seiner Trollarmee in die sozialen Medien, was er nur kann. Seine Strategie der Destabilisierung des Westens zahlt sich jetzt aus. Angeschlagen und im Frühling ausgezehrt, könnte er zu einem Vernichtungsschlag ansetzen. Ein, wenn vielleicht nur kleiner, atomarer Gruß und die Wirren dieses Winters würden dann voll auf sein Konto der Vernichtung einzahlen. So könnten einfache Gelbwesten- und Klimaproteste in der Wut der Aufgebrachten garniert mit brauner Soße und Quergeschwurbel untergehen und eine plötzliche Wendung verursachen, die niemand so wollte. Aber der Klimabewegung jetzt ihren dringend nötigen Kampf zu verbieten oder sie bitten, diesen zu verschieben, kann auch niemand. Und schon gar niemand wollen. Denn auch hier bleibt es Demokratie. Man kann abschließend sagen, dass man so lange alles ignoriert, verschoben und negiert hat, bis jetzt auch alles in einem gigantischen ungünstigen Zeitpunkt für alle und alles gipfelt. Fatalistisch? Vielleicht. Aber die Energiekrise ist nicht nur eine Preisfrage, sie und ihre Antwort hängt zwangsweise mit dem Klima zusammen. Verschlafene Reformen und eine unkontrolliert entgleitende soziale Gerechtigkeit sind nur das Feuerzeug. Feuer reinigt zwar und schafft Platz für neues – es ist nur zu hoffen, dass nicht zu viele und vor allem nicht die Falschen dabei schwere Verbrennungen erleiden werden. Die CDU hat für Trockenheit gesorgt, die FDP spielt mit dem Feuer, die Grünen sind starr vor Angst, die SPD implodiert gerade in Beschäftigung mit sich selbst bzw. der eigenen Identität. Wer soll also nach dem Feuer wiederaufbauen? Eine neue Koalition? Aus wem? Neuen Akteuren wie der vielleicht plötzlich begehrten Klimaliste, oder denen, welche die Krise am besten für sich ausschlachten konnten? Alles Glaskugel. Aber der Herbst wird heiß und der Winter kalt. Das ist sicher und da müssen wir nun durch. Je solidarischer wir das schaffen, desto besser – aber die Hoffnung schwindet gerade mit jedem Sommerinterview mehr.

Klimaproteste vor dem Kanzleramt. Wie wird die Straße in diesem Herbst und Winter aussehen? Schützen Sie die Klimabewegung, Herr Bundeskanzler!

Fazit

Die Klimabewegung könnte durch den abgelenkten, gar desinteressiert erscheinenden Kanzler und sein Entscheidungsunwille im wahrscheinlich unvermeidbaren Chaos dieses Winters empfindlich Schaden nehmen. Es kommt vieles zusammen, was sich schon lange strukturell zusammengebraut hat. Sobald sich da vermischt, was nicht zusammengehört, könnte die Situation außer Kontrolle geraten. Schlecht für die Klimabewegung und damit das Klima, schlecht für den Kanzler, schlecht für die Ampel, und sowieso auch schlecht für uns alle. Der Klimaschutz gehört darum auch geschützt. Das könnte Scholz durch ein sofortiges und engagiertes Patronat in der Klimasache erreichen, damit er dem eigentlich versprochenen Klimakanzler wirklich noch gerecht wird. Das wäre auch besser für seine zuletzt in den Umfragen abgestürzte Glaubwürdigkeit. Er könnte die Wut als Energie nutzen und mit ihr mutig und einend in die Zukunft führen, anstatt weiter wie paralysiert im Scherbenhaufen zu sitzen. Annalena Baerbock hatte im Kanzlerduell im Hauptstadtstudio die Gasrisiken und Putin glasklar als Bedrohung richtig eingeschätzt. Nun ist es auch sie, die vor sozialen Unruhen warnt. Der heutige Kanzler wiegelte hingegen damals wie heute ab. Es darf nicht sein, dass die sowieso schon stimm- und lobbylosen jungen Mitbürger und mit ihnen die so grundsätzlich wichtige Klimasache auf dem neoliberalen Machtaltar geopfert werden sowie dem deswegen wütenden Mob auf der Straße zum Fraß vorgeworfen werden. Eine letzte Hoffnung ist vielleicht, dass ausgerechnet die Klimakatastrophe im Moment Linderung verschaffen könnte: Die Klimaproteste sind vor allem für September angesagt, bleibt es also im Herbst so überdurchschnittlich warm, wie es im Sommer war, dann werden sich die Energieproteste und sozialen Entladungen wegen hoher Preise sowie Corona erst einige Zeit später ihr jedoch fast sicheres Stelldichein geben.

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