Die Energiecharta und ihre Fallstricke kurz erklärt

Gerade in aller Munde: Die fiesen Fesseln der Energiekonzerne mittels eines wenig bekannten Knebelvertrages. Dieser war eigentlich für etwas ganz anderes gedacht, verhindert jetzt aber progressiven Klimaschutz. Es geht um zig Milliarden. Was nun passiert - die Kurzzusammenfassung.

Zum Ausstieg gibt es keine Alternative. Nicht bei den Fossilen und auch nicht bei Knebelverträgen, die Klimarettung bremsen oder verhindern.

Stell dir vor, es gäbe einen relativ unbekannten Vertrag, der Länder, Städte und Staaten daran hindert, dringend notwendige Klimaschutzgesetze zu entwerfen, zugunsten von internationalen Energiemultis – quasi ein Schutzschild für fossile Konzerne. Genau das ist die Energiecharta. Charta klingt so nach einer lockeren Zusammenstellung von Wertvorstellungen, aber in Wirklichkeit ist es ein Knebelertrag, scheinbar ohne Entrinnen. Wer dagegen verstößt, denn kostet es Abermilliarden. Doch jetzt kommt Bewegung in die Sache. Wir schauen kurz und knackig drüber:

Was ist der ECT?

Nach dem Ende des Kalten Krieges brach die Sowjetunion auseinander und eine Reihe von Ex-Sowjetstaaten erlangten Eigenständigkeit. Ohne die Obhut von Moskau waren sie aber zumeist bitterarm und mussten sich alleine zurechtfinden und erst mal konstituieren. Politisch ein bisschen ein Niemandsland. Kultur, Rechtsstaat, Strukturen waren noch im Aufbau begriffen. Aber es herrschte auch Aufbruchstimmung. Für internationale Konzerne waren das neue Märkte und speziell für Energiekonzerne geradezu ein Eldorado. Doch es gab Risiken. Die waren eigentlich berechtigt. Für Investitionen brauchte es einen gewissen Schutz. Da sich eigene Rechtssysteme in den besagten Staaten noch in Entwicklung befand, gab es Misstrauen. Um dieses Misstrauen abzubauen, einigte man sich auf gemeinsame Regeln. Es ging also um Rechtssicherheit und Schutz von Investitionen in Energiesysteme wie Pipelines, Kraftwerke, aber auch um Durchleitungsrechte etc. Die Energiecharta war geboren.

Der Vertrag

ECT bedeutet “Energy Charter Treaty”. Die Energiecharta wurde kurz nach der Wende 1994 ins Leben gerufen. Sie hebelt herkömmliche Gerichte aus und besagt, dass bei Streitigkeiten in den oben genannten Bereichen rund um Energieinvestitionen ein Schiedsgericht der Weltbank, bestehend aus 3 Richtern, entscheidet. Westliche Energiekonzerne sollten so vor etwaiger staatlicher Willkür geschützt werden. Interessant ist sicher, dass die Anfänge des Vertrages auch genau in die Anfänge der Weltklimakonferenz und des Kyotoprotokolls fielen. Man hätte also da bereits ahnen können, was passieren könnte. Denn ein paar Jahrzehnte später nutzen die Energiekonzerne den Vertrag nun für sich aus. Sie verklagen damit Staaten, die ihnen ihr Geschäft mit strengen Klimaschutzregeln vermiesen, auf Schadensersatz. Dafür war der Vertrag aber ursprünglich gar nicht gedacht.

Die Folgen

Wenn sich jetzt verantwortungsvolle Staaten für effektiven Klimaschutz entscheiden, dann berufen sich Energiemultis immer öfter auf die Energiecharta und verklagen diese Länder auf hohe Schadensersatzsummen dafür. Der Vertrag ist also so etwas wie eine alte, längst von der Realität überholte, aber sehr praktische und vor allem kostenlose Risikoversicherung. Beispiele? Vattenfall, vollumfänglich im Besitz des schwedischen Staates, verklagte die Bundesregierung auf Schadensersatz von 4,4 Milliarden wegen des Atomausstieges. Ein britischer Konzern klagte in Italien erfolgreich 190 Millionen ein, weil die dortige Regierung nach heftigen Bürgerprotesten gegen neue Ölplattformen in der Adria generell die Erschließung von neuen Reserven verboten hat. RWE verklagt die Niederlande, weil diese vorzeitig aus der Kohle aussteigen möchten, also ein politisches Ziel dafür vorgibt und nicht wartet, bis die Konzerne nicht von alleine keine Lust mehr darauf haben. RWE gilt mittlerweile als einer der wichtigsten Energieversorgern der Niederlande. Zwar ist der Konzern börsennotiert und die Aktien sind in Streubesitz, aber z.B. Dortmund hält einen großen Anteil und über 80 weitere Kommunen sind auch darin investiert. So verklagen sich nun quasi europäische Länder und Städte kannibalistisch selber und behindern sich damit gegenseitig beim eigentlich gemeinsamen Ziel, der Klimarettung.

Fesselt den Klimaschutz: Die Energiecharta. Photo: andreas.zachmann

Noch krasser: das sowieso schon anachronistisch erst 2007 gebaute und damals von Olaf Scholz persönlich eingeweihte Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg wurde unter vorläufigen Umweltauflagen genehmigt. Vattenfall zog auch hier vor Gericht und bezog sich auf die Energiecharta. Nach nur 6 Jahren Betrieb wurde das Kraftwerk aber trotzdem stillgelegt, jedoch wegen des inzwischen beschlossenen Kohleausstieges. Hat die Klage im Sinne des ECT paradoxerweise Vattenfall geholfen, später bei der Stilllegung auch hohe Entschädigungen dafür zu bekommen? Kurz: der Vertrag ist im Kontext der rasch voranschreitenden Klimakrise völlig irrsinnig und bremst. Doch warum nicht einfach kündigen?

Die Klausel

53 Staaten haben der Vertrag unterzeichnet. Vornehmlich europäische Staaten und die Ex-Sowjetländer. Dann gibt es noch Länder, die Beobachterstatus haben, das sind z.B. die USA, China, Kanada, Saudi-Arabien etc. – also selber Staaten mit großen Energiekonzernen bzw. dazugehöriger Industrie. Einige Staaten wie Russland oder Australien wollten quasi beitreten, die Ratifizierung steht aber bis heute aus. Das Gemeine ist, dass eine Kündigung zwar möglich ist, aber im Kleingedruckten steht, dass ein Staat trotz Austritt noch ganze 20 Jahre lang haftbar bleibt. Wer also heute aussteigt, weil er das Klima schützen will, muss trotzdem 20 Jahre lang mit Entschädigungsklagen von Konzernen rechnen, wenn er es dann wirklich tut. Diese fiese Klausel wird “Sunset-Klausel” oder auch “Zombie-Klausel” genannt. Nur haben wir keine 20 Jahre mehr für die Klimarettung.

Die Lösung

Schon gestöhnt oder an den Kopf gegriffen? Viele Staaten begriffen langsam, dass sie um rasche Regulierung nicht herumkommen. Denn das Abkommen von Paris ist auch ein Vertrag und völkerrechtlich bindend. Sie würden gerne aus der Energiecharta aussteigen, aber die Zombie-Klausel schwebt wie ein Damoklesschwert weiter über ihnen. Da der Vertrag nun für die Klimasache total kontraproduktiv geworden ist, könnte man ihn doch einfach ändern? Solche Reformen waren tatsächlich angedacht. Doch diesen oder einer generellen Auflösung müssten alle Mitgliederländer zustimmen. Und einige unter ihnen haben null Interesse an Klimaschutz. So sind westliche Demokratien, die Änderungen für das Klima eben demokratisch beschließen, im Hintertreffen. Weil es so aber nicht weitergehen kann, wollen immer mehr Länder trotzt Knebel-Klausel aussteigen, darunter Spanien, Belgien, Frankreich oder Polen. Sie haben schlicht genug. Während Deutschland vor zwei Jahren, damals noch unter CDU-Führung, nicht aussteigen wollte, hat sich jetzt die Ampel dafür entschieden. Damit sind es inzwischen immer mehr große EU-Länder, die die Reißleine ziehen. Kleine Länder können es sich eher weniger leisten. Doch inzwischen keimt Hoffnung auf, dass grundsätzliches EU-Recht sowieso mit dem Vertrag nicht kompatibel sei. Neue Rechtsgutachten sehen gute Chancen darauf, dass alle EU-Länder so gemeinsam austreten könnten und der Weg für schnelleren und effektiveren Klimaschutz frei würde – ohne Angst vor Abermilliarden an Strafzahlungen. Das Vorangehen von Ländern wie Deutschland ist auch deswegen enorm bedeutend.

Fazit

Wie Betonklötze hängt die einst in Aufbruchstimmung ersonnene Energiecharta an den Füßen der Klimavorreiter. Energiekonzerne haben lieber blockiert und abgesahnt, als ihre Hausaufgaben gemacht. Bereits 1994 war allen klar, dass zur Klimarettung auch eine Energiewende gehören wird. Doch damals hatten viele nur neoliberale Dollarzeichen in den Augen. Nun lassen sich die bequem gewordenen Konzerne ihre mal mehr, mal weniger offensive Transformation lieber von der Allgemeinheit finanzieren. Die damalige Risikoversicherung mit ihrem Kleingedruckten bremsen die Zukunft von uns allen bzw. gefährden diese. Immer mehr Staaten wollen sich aber trotz weiter bestehenden Risiken von diesen fiesen Machenschaften trennen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Weil die Probleme immer dringender werden, könnte bald Hilfe auf EU-Ebene den Vertrag ganz grundsätzlich infrage stellen. Es ist sowieso aberwitzig, wenn sich durch die Besitzstrukturen EU-Mitglieder indirekt gegenseitig wegen des Klimas verklagen, anstatt zusammenzuhalten im weltweiten Rennen um Nettonull. Wermutstropfen für Deutschland: Hierzulande eilt den Konzernen dafür der Finanzminister mit den eigentlich für Corona beiseite gelegten Notgroschen zur Hilfe, die er einfach in einen “Klimafonds” umgewidmet hat. Das Ex-Kohlekraftwerk Moorburg soll in einen Elektrolyseur umgebaut werden und Vattenfall könnte sehr wahrscheinlich davon profitieren. Der Fall Energiecharta ist nur der Anfang, denn Verteilkämpfe, Rechtsstreitigkeiten und untergehende fossile Konzerne werden uns zunehmend beschäftigen. Hoffentlich war der Überblick hilfreich, wenn du magst, kommentiere und diskutiere das Thema gerne mit dem Klimablog auf Twitter oder Mastodon.

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