Die Hoffnung war groß. Die CDU war weg. Endlich Aufbruch, endlich Klima! Keine Maskendeals mehr, sondern Zukunft! Doch keine Zukunft ohne Vergangenheit. Und die holte uns bitter ein. Die risikoreiche Energiepolitik hat uns in eine geopolitisch vulnerable Position gebracht, welche Putin just in dem schlimmsten Momente der jüngsten Geschichte – der Coronakrise – ausnutzte. Die Falle schnappte zu. Die Zukunftskoalition war aber schon kurz zuvor bei ihrer schwierigen Steißgeburt mehr Koalition als Zukunft. Ein demokratischer Kompromiss, oder vielleicht sogar die Notlösung, überhaupt was ändern zu können. Viele Versprechen wurden im Koalitionsvertrag nach zähem Ringen nur äußerst vage formuliert und die Ampelparteien mussten sich schon bei den Programmen im Wahlkampf vorwerfen lassen, dass keine das Klimaziel von Paris überhaupt ernsthaft in Betracht zog. Selbst die Grünen waren dafür zu schüchtern, mutlos oder zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Regierungspartei werden, ist nicht einfach. Die parteiinternen Flügel schlugen noch nicht im gleichen Takt, welcher fürs Fliegen notwendig war. Und seither läuft alles schief. Ein Blick auf die aktuelle Lage, warum rot, grün und gelb zusammen einen versalzenen Eintopf ergeben und warum gerade das Klima der größte Verlierer ist – und damit wir alle.
Krise verwalten statt Zukunft gestalten
Putin warf uns über Nacht in eine neue, dystopische und unwirkliche Realität. Die kann man tatsächlich nur der CDU und nicht den Grünen vorwerfen. Doch da wäre ja auch noch das große, rote Schweigen. Der Kanzler hadert, zaudert, nuschelt und scheint immer ein Wumms hinter der tatsächlichen Führung bzw. Ausfüllung seiner Richtlinienkompetenz hinterher zu sein. Als besonderer Klotz am Bein fällt die FDP auf. Sie verhindert, Impfpflicht, Maskenpflicht, Tempolimit und sitzt wie ein Skorpion auf der Kasse und sticht jeden, der das Wort “Schuldenbremse” nur zu hauchen wagt. Entsprechend vergiftet ist das (politische) Klima mittlerweile. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Mittlerweile geht es nicht mehr um Antworten, die neue Situation oder Durchhalteparolen – jetzt geht es ums richtig Eingemachte. Immer deutlicher wird, was die neoliberalen Ausverkaufsjahrzehnte angerichtet haben, auf welch kaputt gespartes Fundament die aktuelle politische Führung nun Notlösungen zimmern muss. Die wirtschaftlichen Prognosen sind scheußlich, Erneuerbare fehlen bitterlich und die Koalitionäre beschließen einen Notkompromiss nach dem anderen. Gehetzt wie Scholz, unausgeschlafen wie Habeck, trotzig verkennend wie Lindner. Nur Baerbock glänzt, wird Politikerin des Jahres, weltweit als Außenministerin höchst geachtet, nutzt die Sommerferien für eine Bürgertour – und verschwindet innenpolitisch aber in der Bedeutungslosigkeit. Es kam extrem anders, als wir uns das alle erhofft haben. Erst langsam dämmert dies inzwischen jedem einzelnen von uns, die Konsequenzen werde immer spürbarer. Die Stimmung kippt.
Angst
Dass sich die Angst dominierend eingeschlichen hat, sagt die Umfrage der R+V Versicherung, welche seit 30 Jahren als einzigen die Ängste der Deutschen abfragt und auflistet. Dabei fällt vor allem auf, dass es große Generationenunterschiede gibt. Während ältere Bürger praktisch ausschließlich Geld, Wirtschaft und Steuern beschäftigt, sind die Jungen einsam auf verlorenem Posten, mit ihren größten Ängsten vor despotischen Herrschern und gleich auf Platz zwei folgend der Klimakatastrophe. Sie fürchten sich nicht um ihre Alterspfründe, sondern davor, überhaupt noch eine Zukunft zu haben bzw. alt zu werden. Dass sie die Klimakrise schon länger objektiver begreifen bzw. den Aufrufen der weltweiten Wissenschaft deutlicher folgen, ist nichts Neues und war schon vorher so. Dass sich aber in der multiplen Krise diese Unterschiede akzentuieren, tut dem komplexen Problem der globalen Erwärmung überhaupt nicht gut. Jahrzehntelang galt Streben nach persönlichem Reichtum, Wohlstand und individueller Verwirklichung als Maxime der Politik und als Traum der Generation Wirtschaftswunder. Nach der Wende wurde Geiz geil, verkaufte und verwirtschaftete Daseinsvorsorge von Stromnetzen über das Gesundheitssystem bis zur Bahn. Man lebte auf Pump der Zukunft und wurde süchtig nach Nullzins, russischem Gas und sonnte sich sogar im einseitigen Erfolg des Exportweltmeisters – bis man Sonnenbrand davon bekam. Währenddessen klaffte ein immer größeres Rentenloch, verfielen Schulen, verspäteten sich Züge, lutschte sich die Zitrone in Pflege, prekären Arbeitsverhältnissen und fax und fertigen Verwaltungen so lange aus, bis die Limonade des goldenen Jahrzehntes der Zehnerjahre nun plötzlich sehr bitter zu schmecken begann. Die einen wurden mit geerbten Immobilien ohne etwas zu tun doppelt so reich, andere sammeln derweil Flaschen. Und so gehen wir nun in die neue Zeit der Zeitenwende.
Zeit zu wenden?
Ja, der Kanzler hat ganz staatsmännisch diesen fast nicht in andere Sprachen zu übersetzenden Begriff geprägt. Wie er auch “You never walk alone” denglisch hervor druckste. Und seither wird nur noch reagiert statt agiert. Hauptsache irgendwie regiert. Endlos stritt sich die Ampel über Energie sparen, die unsägliche Gasumlage, welche Habeck nur wegen des knausrigen Schatzmeisters Lindner verkünden musste und deswegen bei weniger reflektierten Bürger viel an Umfragewerten einbüßte. Scholz schickte sich an, auf jede russische Provokation mit einer fantasievoll klingenden runden Anzahl an Hundertmilliarden zu antworten. Was man damit hinterher anfangen sollte, überließ er anderen. Und genau das ist ein großer Fehler. Sich selber nicht die Hände schmutzig machen und nur im gleißenden Licht des strahlenden Retters präsentieren zu wollen, funktioniert mehr schlecht als recht. Warum? Weil die Ampel auch mit Wumms und Doppelwumms weiter so festgefahren zerstritten ist, dass mittlerweile eine Mehrheit der Deutschen den Regierungsparteien jegliche Kompetenz abspricht, das Vertrauen verloren hat. Nach Niedersachsen sehen wir jetzt, dass das schauderhaft gefährliche Konsequenzen hat. Viele Wähler flüchten sich in die Extreme, resignieren und verabschieden sich in ihre eignen Überlebensblasen.
Die Gießkanne spült das Klima weg
Kommen wir nun zum Leitthema bzw. gerade Leidthema des Klimablog, dem Klima selber. Neben dem politischen ist da nämlich immer noch und immer drängender das reale, existenzbedrohende und akute Klimaproblem. Diesen Sommer haben wir quasi einem weltweiten Katastrophenfilm der Wetterextreme, Waldbrände, Dürren und anderen Klimafolgen beigewohnt. Es hört nicht mehr auf. Jetzt kommt der Winter, auch wenn der Oktober 3 Grad über dem langjährigen Mittel so warm wie noch nie werden könnte. Und weil der Winter in der Energiekrise zum nicht nur zum Überlebenskampf für die Bürger, sondern vor allem auch für die Politik wird, greift diese zur Gießkanne. Gießkannen schütten zwar gleichmäßig, aber sie sind sozial selten fair. Und zur Gießkanne greift man nur, wenn man entweder handwerklich gepfuscht hat, keine Zeit mehr hat oder wenn alles zusammenkommt. Das Klima ist dabei das Bauernopfer. Nicht nur in den Umfragen, sondern auch ganz deutlich in den verschiedenen Rettungskonstruktionen.
Preisdeckel
Ja, Scholz versprach kurz nach der explodierten Pipeline vom Doppelwumms. Damit meinte er die 200 Milliarden, die vor allem für Preisdeckel bei Gas, aber auch bei Strom eingesetzt würden. Doch nun stellt sich heraus, dass das nicht vor Frühling möglich wird und es gibt ein Trostpflaster für die ärgsten Schmerzen im Winter, mit dem einmaligen Nachlass einer einzelnen Abschlagszahlung. Während es als unangefochtener Fakt gilt, dass ärmere Menschen überproportional von Klimafolgen getroffen werden, gilt das auch für Energiekrisen. Wer schon immer sparsam lebte, der ist jetzt gestraft, wenn Regeln wie die 80 % subventionierter Preis und 20 % Marktpreis kommt. Wer vorher verschwendete, hat jetzt Einsparpotential und damit die Chance auf 100 % Subvention. Wer ein existenziell gefährdend hoher Betrag für Energie ausgeben muss, der hat nie damit rumsauen können. Laut einer aktuellen Analyse des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) profitieren Reiche mehr vom Gaspreisdeckel als Ärmere. Und zwar proportional wie auch gefühlt. Denn auf das Hallenbad oder die Heizung in der Bibliothek zu verzichten, ist nicht schwer – und trotzdem werden Villenbewohner viel mehr Geld von der Regierung bekommen, als die, welche sowieso am wenigsten Energie verschwenden und damit auch das Klima am meisten schützen. Das wirkt besonders unfair, wenn man bedenkt, dass die 10 % reichsten Mitbürger für mehr fast 50 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sind.
49-Euro-Ticket
Endlich hat man sich geeinigt. Berlin hat die Zeit mit ihrem eigenen 29-Euro-Ticket überbrückt. Aus dem genialen, revolutionären und progressiven Experiment 9-Euro ist also jetzt der zahnlose Kompromiss von 49 Euro geworden. Und der ist gleich mehrfach unfair. Im reichen Süden kosten Monatskarten mehr und darum spart es sich in München oder Stuttgart auch mehr damit. In Berlin hingegen ist die neue Karte nicht viel günstiger als die normale Jahreskarte. Bereits kündigt die Berliner Bürgermeisterin eine Subvention an. Doch es ist völlig unklar, wie diese aussehen könnte. Und das tut die autoverliebte Giffey auch nur, weil Berlin jetzt zu nach seinem unsäglichen Wahlpfusch zu Neuwahlen gezwungen ist und die Umfragen für Rot-Rot-Grün ziemlich bewölkt aussehen. Natürlich ist es ein bundesweit, ein Fortschritt, eine Reduktion, und klar, das 9-Euro-Ticket war ursprünglich eine Antwort auf die Inflation. Aber wenn wir ehrlich sind, haben sich davon (fast) alle auch einen Erfolg in Sachen Verkehrswende und Klimabekämpfung erhofft. Und die Nation fuhr Bus und Bahn wie noch nie! Trotzdem begraben wir jetzt all das und kriegen mit dem 49-Euro-Ticket höchstens die jüngste Inflation höchstens etwas gemildert. Deswegen werden sich nicht reihenweise Porschefahrer in die Bahn setzen. Am anderen Ende der Nahrungskette hatte wiederum ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung mit 9 Euro erstmals überhaupt Zugang zu Mobilität. Das neue Ticket liegt über dem Budget von Hartz4, ja auch dem neuen Bürgergeld. Die werden also wieder ausgeschlossen. Bleibt nur noch die Mitte. Und weil das Ticket nur ein milder Tropfen ist und keine 9-Euro-Revolution, profitieren hier vor allem die Falschen. Denn Pendler aus dem Umland, welche vorher schon die den Nahverkehr nutzten, werden am meisten entlastet. Ihre teuren Mehrzonenkarten werden jetzt extrem billig. Wer in der Platte oder Blockrandüberbebauung im Hinterhof in der Stadt wohnt und nicht im Grünen mit Carport, der bekommt hingegen am wenigsten Entlastung. Verkehrte Verkehrswelt. Indirekt fördert das sogar noch klimatisch einfach nicht mehr machbare Lebensweisen. Zwar steht die Regierung damit nicht alleine da, denn Spanien hat zum Beispiel das deutsche Modell kopiert (nur schon deswegen wäre die Revolution kontinental oder gar weltweit Vorbild), und gingen mit gratis Zügen sogar noch weiter, aber hat es schlussendlich nur auf staatlich betriebene S-Bahnen in die reichen Vororte angewandt. Man vergrault halt die wichtigsten Wähler nicht, anstatt das Richtige zu tun. Bei Menschen wie Klima.
Digitalisierung
All das ist auch eine Folge der verpassten Digitalisierung, die uns jeden Tag bei so vielen Beispielen immer und immer wieder aufzeigt, dass diese 20 Jahre Rückstand Deutschland dauerhaft und immer mehr zum weltweiten digitalen Neandertal werden lassen. Andere Staaten haben Helikoptergeld in Form von Direktzahlungen angewandt. Die USA, Österreich etc. machten das vor. Bei uns heißt es, dass dies wegen fehlender Daten und technisch nicht machbar sei (hat jemand Schilder gesagt?). Deswegen also Gießkanne. Und anstatt dieses Problem mit dem 9-Euro-Ticket weiterhin für jedermann zu bekämpfen, denn das hat wirklich fast alle entlastet, macht man das Ticket wieder teuer. Verzerrt den Wettbewerb, z.B. bei den Fernbussen, was jetzt laut Flixmobility zu realem Abbau von Angebot führt. Oder schließt nicht wie Österreich mit ihrem Umweltticket auch Fernverkehr mit ein und subventioniert weiter Benzin, Kerosin und andere Klimakiller. Oft hörte man sogar die Ausrede, dass rasche Reaktionen nicht machbar seien, weil man veraltete Fahrkartenautomaten gar nicht zeitnah mit neuer Software bespielen könne. Weil man noch jeden mit USB-Stick neu beladen muss, anstatt vernetzt über Nacht Preise anzupassen. Viele schlecht informierte Bürger wurden so um die umweltfreundlichen Rabatte gebracht. So jüngst in Berlin, als wenige erfuhren, dass am autofreien Sonntag (nur wenige Kilometer Nebenstraße gesperrt) der ÖPNV umsonst gewesen wäre, denn die Automaten verkauften ohne Hinweis weiter normale Tickets an dem Tag. Eine “Heute gratis!” Schild wäre sogar analog möglich gewesen. Das liegt auch daran, dass die Betreiber von Bussen und Bahnen nicht im Boot sind und vom Bund wenigstens Ausgleich für Verluste und den dringend benötigten Ausbau von Angebot mehr fördert, wenn er schon gießend mehr Verkehr generieren will.
Fazit
Durch den Deckel werden Reiche weniger zum Energiesparen angeregt und bekommen sogar noch mehr Geld als ärmere Mitbürger. Wer kein Sparpotential mehr hat, zahlt zusätzlich heftig drauf. Das 49-Euro-Ticket fördert die suburbane obere Mittelschicht, nicht prekär wohnende Stadtbewohner mit niedrigen Einkommen, Mittellose haben sogar gar nichts davon. Was für uns alle gilt: Niemand wird mit 29 Mal umsteigen in einer ganzen Woche von Lübeck zur Zugspitze fahren, nur weil das Ticket bundesweit gilt. Verlierer bei all diesen unfairen Tatsachen und bei jeder erneut: das Klima. Natürlich musste man handeln, natürlich siegt der Faktor Zeit, weil keine mehr bleibt. Alles berechtigt. Aber die Zeit ging beim Ampelstreit, Gasumlage, Lindners Schuldenbremsfetisch, föderalem Bund-Länder-Gezanke usw. drauf. Die Gießkanne kostet viel und das Geld wird für den Klima-Wumms fehlen. Luisa Neubauer fordert mit Fridays for Future vergebens 100 Milliarden fürs Klima. Sie wird sogar in Talkshows angefeindet, es sei jetzt dekadent in der Krise ans Klima zu denken. Da bleibt man nur noch sprachlos zurück. Wie dekadent ist es denn, nicht ans Klima zu denken? Viele kostet es viel Kraft, nicht wie all die Schwurbler und Resignierten ins hoffnungslose, ja gar mitunter braune Nirwana abzurutschen und weiter an die Zukunft zu glauben. Viele hoffen vergebens auf einen Kanzler, der jetzt mit all seiner Richtlinienkompetenz den einzigen Ausweg aus Energiekrise und Klimakatastrophe sowie deren beider sozialer Ungerechtigkeiten anstrebt: die Flucht nach vorne. Solar, Wind, Unabhängigkeit. Sogar das Nachbarland Schweiz bewilligt plötzlich Windturbinen auf allen Hügeln, Solarparks in den Hochalpen und lange bekämpfte Staumauererhöhungen mit Notentscheidungen. Auch eine Solarpflicht für Neubauten wurde dort gerade beschlossen. Aber die SPD schweigt und die Grünen vergeuden mit der FDP ein weiteres Mal Zeit in der unsäglichen Atomfrage. Die Ampel scheitern lassen kann aber auch keiner in dieser so extrem ernsten Situation. Wir werden uns weiter abfinden müssen mit Zukunftsqual statt Zukunftskoalition. Die Uhr tickt, die Kipppunkte kommen näher. Eigentlich müsste jetzt jeder politische Handgriff sitzen, scheitern ist angesichts der Lage nicht mehr erlaubt, jegliche Reserven sind aufgebraucht. Die Klimakrise ist auch eine soziale Krise, dass jetzt aber letztere wieder durch eine schlecht gemachte Gießkanne noch mehr zur Klimakrise gemacht wird, ist doppelt unverantwortlich. Wir bräuchten Hoffnung, ein Ziel, eine Vision, um darin Zusammenhalt zu finden, Kräfte zu bündeln und uns die Hände reichen zu können. Mit Klugheit und nicht mit Populismus. Das Momentum dazu wäre so stark wie noch nie. Wir können das Klima nur gemeinsam retten. Und alles andere auch.