Atomenergie – was du noch nicht wusstest – Teil 3

In Frankreich läuft in Sachen Atomkraft gerade alles schief, was nur schieflaufen kann. Dabei ist die Misere hausgemacht. Warum die politische Achterbahn ein Risiko ist, wie Deutschland Milliarden in den nuklearen Sand setzte und das Klima nicht atomar zu retten ist.

Willkommen zurück, schon fast unheimlich, dass du immer noch da bist und weiter liest. Aber noch so gerne. Legen wir gleich los. Zur Übersicht für die, welche per Zufall hier gelandet sind: Dies ist eine dreiteilige Beitragsserie von DerKlimablog.de, welche die Folgen der Nutzung von Atomtechnologie beleuchten möchte. Mit der Absicht, klarzumachen, dass der Preis von Kernspaltungstechnologie für die ganze Menschheit viel zu hoch war und Atomstrom auf keinen Fall eine vermeintliche Lösung für die Klimakatastrophe ist, sondern mit dieser strukturell ziemlich viel teilt. Und das liegt vor allem am Faktor Mensch. Egal wie viele Argumente physikalisch, technisch und politisch vorgebracht werden, niemand kann verneinen, dass die Schwachstelle Mensch bisher in Sachen Kerntechnik unfassbar gigantischen Schaden angerichtet hat und Radioaktivität für den Menschen unbeherrschbar überfordernd bleibt. Und mit sowas sollte man nicht auf Gedeih und Verderb seine Zukunft gestalten wollen.

Im ersten Teil haben wir kurz ins Geschichtsbuch geschaut und uns da schwierige Anfänge, schreckliche Entwicklungen und wenig bekannte aber unfassbar schlimme Katastrophen angesehen, um ein Gefühl für die sich oft eingebildete “Beherrschung” der Materien durch den Mensch zu bekommen. Im zweiten Teil haben wir dann Blick auf die weltweite nukleare Verseuchung als Folge davon gerichtet – ohne dabei in Japan oder der Ukraine gewesen zu sein! Die Beiträge sind bisher wenig emotional, denn mit Geschichten rund um Opfer und Betroffene der Atomkraft könnte man sicher die Dimension des menschlichen Leides sehr schön herausstreichen und plastisch erlebbar machen. Aber das würde nur der Unterhaltung dienen und wäre der Sachlichkeit wenig zuträglich – und genau diese soll hier Absicht sein. Darum gehen wir auch im letzten Teil nun nüchtern in die dritte Dimension – neben der Technologie und den Folgen – nämlich die der Politik. Es wird wieder keine vollständige geschichtliche Dokumentation, sondern wir gucken auf Beispiele, die dann ganz von alleine im Subtext die Message dieser Beitragsreihe vermitteln. Wenn dir also relevante Skandale und wichtige politische Ereignisse rund um das Thema in unserer Trilogie hier fehlen, liegt das am schier grenzenlosen Grauen, welches das Thema in gerade mal etwas mehr als hundert Jahren über die Menschheit brachte. Es passt schlicht nicht alles hierhin. Die Recherche war darum viel umfangreicher, als vielleicht gerade zu erkennen ist. Nicht die Vollständigkeit der Aufzählung spielt die Rolle, sondern die vollständige Verständlichkeit der atomaren Gefahr. Willkommen und schön, dass du da bist. Los geht’s:

Übersicht

9 Nationen verfügen heute über Atomsprengköpfe. 32 Länder besitzen aktive Atomkraftwerke, zwei weitere bauen gerade neue und steigen damit in die Atomkraft ein. Weltweit sind 412 Kernreaktoren in Betrieb, ganze 54 befinden sich aktuell im Bau – der Bau eines einzelnen kann teils weit mehr als ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen. Daneben sind rund 26 Atomreaktoren vorübergehend außer Betrieb. Dabei ist nicht die gerade kaputte und in Reparatur oder Wartung befindliche Hälfte der französischen AKW’s gemeint, sondern vor allem die 23 japanischen Meiler, welche nach Fukushima nicht wieder in Betrieb gingen, aber nicht außer Dienst gestellt wurden – also mehr oder weniger funktionsfähig gehalten werden. In Südkorea, Indien und Argentinien gibt es je einen solchen Fall und ab Dezember gesellen sich zwei weitere bei uns dazu. Also funktionstüchtig, aber nicht am Netz. Viele Werke sind alt und wurden im Wirtschaftswunder vor allem von den Sechzigern bis in die Achtziger errichtet. Schwellenstaaten, welche sich erst später stark wirtschaftlich entwickelt haben, setzen jetzt und vor allem im asiatischen Raum auf Atomtechnik. Namentlich China und Indien. Im Westen verschwinden jedoch immer mehr Atomkraftwerke. Weil sie alt geworden sind, weil sie nicht oder nie sicher waren (bei uns z.B. die Ostreaktoren wie Greifswald) und auch weil sie neben Erneuerbaren nicht mehr wirtschaftlich sind. So klagen gerade eine ganze Reihe von Betreibern in den USA über diesen Umstand und erhoffen sich von der Politik Subventionen bzw. erpressen diese auch ganz offen. Aber auch dort hat man keine Lust mehr auf Kernkraft und so schließen nun erste Werke, weil sie die Zeit überholt hat. Fehlende Wirtschaftlichkeit und Überalterung beuteln vor allem das Land, mit den meisten Atomkraftwerken weltweit: Frankreich.

Die gigantische Wiederaufbereitungsanlage La Hague in Frankreich. Verseuchtes Meer, erhöhte Krebsfälle und hochgefährlicher MOX-Brennstoff sind im Moment gerade noch Frankreichs kleinste Atomsorgen.

Frankreich

Die Franzosen haben ein Problem. Und das lesen wir gerade täglich in den Schlagzeilen. Es ist so gewaltig, dass es auch uns ernsthaft diesen Winter gefährden könnte. Das Land hat ganz besonders stark auf Atomtechnik gesetzt. Kein Versuch, Atomtests im eigenen Land durchzuführen, trübte die Akzeptanz und trug so zur ganz besonderen Begeisterung der Franzosen für die Kernspaltung bei. Die Besonderheit der zentralistischen Politik und das noch Mitte des letzten Jahrhunderts vornehmlich landwirtschaftlich geprägte Restland außerhalb von Paris führten zum oft wiederholten Kompromiss: Atomkraftwerke in den Regionen sollten Reichtum, Wohlstand und Entwicklung bringen, dafür würden die wirtschaftlichen Zentren von billigem Strom in Hülle und Fülle und das Militär von der dualen Nutzung für die Waffenproduktion profitieren. Auch hat Frankreich im Gegensatz zur Schweiz eher schwierige Erfahrungen damit gemacht, seine Alpentäler mit Staumauern aufzustauen. So zum Beispiel geschehen rund um die Barrage du Chevril, aus welcher als Ersatzleistung für die geflutete Bevölkerung der berühmte Reißbrett-Skiort Tignes hervorgegangen ist. Auch war man damit reichlich spät dran und der Umweltschutz hatte schon viel mehr Gewicht als im Nachbarland, welches vor allem auch aus der Weltkriegserfahrung Dämme baute, als gäbe es kein Morgen mehr. So kam dem wirtschaftlichen Aufschwung und eben der Verteidigung des Landes die Atomkraft als Allheilbringer gerade recht. Man baute über 70 Atomreaktoren, 56 sind noch in Betrieb, aber nur die Hälfte davon gerade noch funktionstüchtig.

Jeder Präsident seit Beginn des nuklearen Zeitalters musste sich mit einer stetig wachsenden Atomindustrie und -Lobby abfinden und viele arrangierten sich daher mit diesen oder nutzten sie sogar aktiv für ihre Politik. Dabei kam es auch zu Wachstumsschmerzen, wie zum Beispiel in Form der Phénix- und Superphénix-Projekte. Das waren sogenannte Zuchtreaktoren. Die brauchte man, weil weltweit im Atomfieber zu viel Kraftwerke gleichzeitig gebaut wurden und ein Uranengpass absehbar war. Mit den Zuchtreaktoren wollte man Brennstoff selber züchten. Das funktionierte, weil er durch viel schnellere Reaktionen als herkömmliche Reaktoren mehr Brennstoff herstellte als er verbrauchte. Das war aber nicht ungefährlich und der unbedingte politische Druck dazu machte es noch schlimmer, denn Frankreich machte sich damals schon freiwillig fast komplett abhängig von Atomenergie. Das wiederum hatte seine Ursache in der Ölkrise 1973. Der bekannte “Messmer-Plan” des damaligen Premierministers Messmer sah eine vollständige Stromproduktion nur mit Atomstrom für Frankreich vor. Es kam zu heftigen Protesten von Bürgern, den Atomphysikern selber und sogar Raketenabschüssen von extremistischen Gegnern auf die Baustelle von Superphénix. Alles nur, weil die politische Macht über alle roten Linien hinweg regierte. Das Werk produzierte kaum, nach nur 10 Jahren und zum Schluss einer Reihe von Störfällen kam dann das Aus – aber erst gerichtlich. So viel zum verantwortungsvollen Umgang mit Atomtechnologie. Ein Schelm, wer heute Parallelen in der aktuellen Energiekrise sieht. Jüngstes und zum Zeitpunkt dieser Zeilen erst wenige Stunden altes Beispiel: Die mit bis 20 % prognostizierte Inflation in Großbritannien führt nicht zu staatlicher sozialer Unterstützung der Menschen, nein, die neue ultraneoliberale Premierministerin Liz Truss verkündet als quasi erste Amtshandlung, wegen und gegen die Energiekrise vor allem in Atomenergie investieren zu wollen. Nicht ganz so öffentlich läuft derweil ihr Plan an, wegen des Brexits das eigene Atomwaffenarsenal stark ausbauen zu wollen. Hoffen wir, dass sich die Geschichte nicht wiederholt – denn das tat sie bei der Atomenergie zu oft.

Die Fehler oder warum Drogen abhängig machen

Atomtechnik ist immer und ohne Ausnahme ein sehr lange andauerndes Unternehmen, wenn dieses aber – wie in den meisten Fällen – einer viel kurzfristiger denkenden Politik untersteht, birgt das unweigerlich Risiken. Zum Beispiel das Risiko der Abhängigkeiten. Jeder Meiler mehr brachte auch mehr Atomstrom am gesamten Strommix. Und der beträgt in Frankreich zurzeit extreme 72 %. Am gesamten Energiemix immer noch 37 %. Nach Tschernobyl wurden nur noch wenige neue Reaktoren in Betrieb genommen, vor allem weil sie schon fertig geplant oder im Bau waren. So etwas im zuletzt im Jahr 2002. Bereits wieder außer Betrieb wegen des Alters und anderen Problemen sind deren 14. Kamen die ersten Meiler noch aus amerikanischer Produktion, baute man bald selber und in mehreren Serien Kraftwerke vom Band. Wenn die Technologie erstmal in den eigenen Händen ist, ist es für Präsidenten und ihre Industriepolitik nochmal interessanter, immer weiter und noch mehr davon zu bauen. Das führte auch zu einem Bau am tatsächlichen Bedarf vorbei. Frankreich baute viel mehr, als es selber damals benötigte. Das lag an viel zu optimistischen Prognosen zu Beginn des Wirtschaftswunders und daraus resultierenden Faktoren wie der Reduktion von Bevölkerungswachstum durch Wohlstand, Pillenknick etc., aber auch am entdeckten Geschäftsmodell, allen Nachbarstaaten Strom zu verkaufen. Man gab die irre Summe von 188 Milliarden Euro bis heute für Atomkraftwerke aus. Da sind Militär und Wiederaufbereitungsanlagen nicht mitgerechnet. Rund 75 % dieser Kosten hat man durch Stromproduktion und -Verkauf wieder eingenommen. Man ist sich sicher, die vorhandenen Meiler so lange am Leben zu erhalten, bis die Investition wieder vollständig zurückbezahlt ist. Doch das wird immer schwieriger. Alleine die Reparatur der jetzt kaputten Meiler soll bis 2030 weitere 100 Milliarden kosten.

So enthusiastisch wie die Franzosen beim Atom sind, so ist auch an ihnen Tschernobyl und Fukushima nicht vorübergegangen. Der Bau von neuen Werken kam zum Stillstand, die Entwicklung neuer stockte. Da wurde es interessant, der unweigerlichen Alterung der vielen alten Meiler einfach mit dem Ersatzbau von ein paar wenigen, aber viel leistungsfähigeren zu begegnen. Jedoch stellte sich diese politische Lösung als sehr schwierig heraus, denn technisch war die Skalierung viel komplizierter, als die Industrie versprochen hatte. Die rechnete sich nämlich die Idee schön, weil sie den Profit gerochen hat, diese Mega-AKW’s mit der fast doppelten der herkömmlichen Leistung dann weltweit verkaufen zu können. Dafür brauchte man aber ein Demonstrationsobjekt und dieses verkaufte man der nur auf diesen Ausweg wartenden Politik. Weil die Interessen so groß waren und die darbende Atomindustrie und die drohende Alterung der Werke dringend wurden, schmiss man alle Risiken über Bord. Was sich bitter rächte. Der neue Superreaktor heißt EPR. Das E steht für europäisch, denn es sollte ein internationales Projekt werden, damit ließ er sich auch im Inland besser oder überhaupt verkaufen. Nur zogen sich die ausländischen Partnerländer schnell wieder zurück. Man baute selber in Flamanville, Finnland bestellte als Kunde einen für Olkiluoto, genauso wie Großbritannien für Hinkley Point. Aber alle drei sind nach teils fast zwanzig(!) Jahren Bauzeit nicht im kommerziellen Betrieb angelangt und haben auch die geplanten Kosten bis weit um das Dreifache überschritten. Die Probleme wollen nicht enden, ob das im Betrieb so weitergehen wird, weiß noch keiner. Aus Angst, viele alte durch viele neue Meiler ersetzen und sogar noch viele neue wegen mehr Bedarf dazu bauen zu müssen, sollte der EPR die Rettung sein, in die herkömmlichen Anlagen wollte keiner mehr investieren. Mit der Folge, dass die sich in Betrieb befindlichen Altanalgen immer älter wurden und aus “wir haben noch Zeit, das mit dem EPR klappt schon” jetzt eben ein “verdammt, jetzt haben wir ein ziemliches Problem” wurde. Akzentuiert wird die Saga nun mittlerweile durch eine Welle an Defekten, Konstruktionsfehlern und Alterswehwechen.

La grande nation nucleaire: 70 Reaktoren wurden gebaut. 14 sind bereits außer Betrieb. 56 sind noch im Dienst, 32 davon aber gerade kaputt.

Kaputt

Und zwar so extrem umfangreiche Wehwechen, dass mehr als die Hälfte der französischen Atomkraftwerke aktuell down ist. Und das ausgerechnet in der geo- und energiepolitisch heikelsten Lage seit dem Zweiten Weltkrieg. Da sind Oxideinschlüsse in älteren Reaktorhüllen – also kleinste Herstellungsfehler im Stahl – und Spannungskorrosion in den Rohren des wichtigen Primärkreislaufes in der neuesten Generation, die vor allem in den Achtzigern in großer Zahl noch gebaut wurden. Es ist also nicht nur das Alter, sondern das Klumpenrisiko einseitiger Atompolitik. Man hat sich nicht nur verrechnet, man hat sich im atomaren Casino hoffnungslos verzockt. Zu viel gebaut, keinen Ersatz, zu viel kaputt, zu viel Abhängigkeit. Alle Nachteile der Kernkraft quasi konzentriert auf einmal. Jetzt sind die Folgen brutal: Viel Franzosen heizen mit Nachtspeicherheizungen, es war ja so schön günstig! Die Industrie hängt daran und damit am staatlichen Interventionstopf. In Paris reagierte man hastig mit der kompletten Verstaatlichung von EDF, welche mittlerweile einziger Betreiber von Atomkraftwerken ist, und einer Strompreisbremse, welche nun sprunghaft und von Krisenmonat zu Krisenmonat die Staatsschulden in die Höhe schnellen lässt. Schon 2018 hat EDF wiederum den durch die EPR-Misere quasi bankrotten Reaktorbauer Areva übernommen. Somit ist inzwischen die praktisch ganze Atomindustrie verstaatlicht. Kein Zeichen einer funktionierenden Branche.

Bei den satten Gewinnen, welche man europäischen Strommarkt machen konnte und lange als Rechtfertigung dienten, bestimmten die teuren Kraftwerke den Preis und die günstigen verdienten daran. Die Merit-Order-Seifenblase ist soeben auch geplatzt. Der Investitionsstau bei den Altreaktoren ist jetzt zur staatsgefährdenden Hypothek geworden. Man sitzt so tief in dieser Falle, dass man nur noch einen Ausweg sieht: noch mehr von der Droge. Frankreich will und kann mittlerweile auch nicht dem Atomstrom den Rücken kehren. Dabei spielt nicht unerheblich der Fachkräftemangel eine Rolle. Wenn die Nachbarn aussteigen und die Boomer in Rente gehen, sowie Junge lieber Windkraftingenieure werden, weil sie zurecht nicht mehr an die Zukunft von Atomkraft glauben, dann ist es schwierig, genug Nachwuchs für den aufgelaufenen Berg an Problemen zu gewinnen. Das kostet dann wiederum mehr und der Staat kann nur mit dem Versprechen, die Atomindustrie noch lange stützten zu wollen, überhaupt erst den Nachwuchs zum entsprechenden Studium motivieren. Ein absoluter Teufelskreis.

Hochsicherheitsbereich in La Hague. Die Anlage stellt auch den riskanten Mischoxid-Brennstoff MOX her. Credits

Apropos Kreis, da wäre auch die Sache mit dem Kreislauf. Weil man auch in Frankreich Uranminen im eigenen Land nicht mehr so chic fand, hat man die Versorgung, wie schon in Teil 2 gestreift, exportiert. Um nicht zu Abhängig zu werden, hat man sich das mit der Wiederaufbereitung ausgedacht. Und das ging so: würde man einfach abgebrannte Brennelemente rezyklieren, dann könnte man sie wieder nutzen und alle würden auf einem Regenbogen mit Einhörnern in den Sonnenuntergang reiten. Doch der Kreislauf ist weit weg davon, geschlossen zu sein. Nur ein kleiner Teil wird tatsächlich wieder verwendet. Und da kommt dann Mischoxid-Brennstoff in Spiel. Braucht man die Abfälle aus den AKW nicht mehr für Atombomben, mixt man sie mit neuem Brennstoff zu einem Cocktail, welcher hochpotent neue Brennstäbe hergibt. Doch leider ist diese Art des Brennstoffes um das Vielfache strahlender und damit gefährlicher. So auch das Handling und die Risiken. Es ist ein Experiment mit offenem Ausgang. Je mehr davon hergestellt wird, je mehr extrem viel radioaktiverer Müll sammelt sich an. Und weil das Geschäftsmodell darauf setzte, dass man eben Dienstleister für die ganze Welt werde würde, ist die Wiederaufbereitungsanlage eine von nur noch vier weltweit für Leichtwasserreaktoren. Alle sind aus militärischen Gründen gebaut und später erst zivil genutzt worden. Wie beim EPR hat man hier eine Notlösung als Zukunft verkauft und hat sich damit technisch wie finanziell verausgabt. Und das geht, weil man sich ja immer wieder weit aus dem Fenster lehnen konnte, die Grande Nation lässt einem ja nicht im Stich. Ok, die hat das sogar zementiert: Man ist wegen internationalen Verträgen nun daran gebunden. Denn hinter der Wiederaufbereitung steckt auch die Idee der Terrorsicherheit. Aus Uran entstandenes Plutonium aus zivilen Kraftwerken muss irgendwo hin, wenn man damit keine neuen Bomben mehr baut – eine Bedingung von Abrüstungsverträgen. Weil aber Lagerung und Sicherung exorbitant aufwändig sind, integriert man sie einfach in den zivilen Betrieb. Als neuen Brennstoff deklariert. Für den Frieden, aber technisch womöglich ein gefährliches Eigentor. Trotzdem versucht man krampfhaft, die Situation weiter schönzureden und zu beschwichtigen. Viel französische Bürger ahnen noch nicht, was sie dieses Drama noch kosten wird. Es wird sehr, sehr weh tun.

Denn auf den auch im eigenen Land stehenden, aber als internationales Projekt angelegten Versuch eines Fusionsreaktors wird noch viele Jahrzehnte lang keine Lösung bereithalten. Wie beim Klimawandel bezahlt die nächste Generation die extrem hohen Schulden der Fahrlässigkeit, welche die vorhergehende auf die Zukunft aufgenommen hat. Macron bereitet indessen schonmal die Bevölkerung auf ziemlich wahrscheinlich gewordene Blackouts vor. Warum das Land mit so viel Küste nicht sein Windpotential hebt, ist zumindest spätestens jetzt ziemlich unverständlich. Aber eben, die Atomlobby wollte nichts von simpler und billiger Konkurrenz wissen. Und nun fällt das Soufflé zusammen. Das passiert, bei Soufflés übrigens, wenn die Temperatur nicht stimmt. Und das kommt noch zu alldem obendrauf: wegen der Klimakatastrophe, konnte man diesen Sommer in vielen Kraftwerken keinen Strom mehr produzieren. Notfallmäßig wurden Gesetze aufgeweicht und zu warmes Wasser darf jetzt doch in die Flüsse geleitet werden. Wird Frankreich auch so reagieren, wenn Deutschland in diesem Winter nicht mehr so einfach aushelfen kann, weil es selber im Sumpf sitzt? Welche Risiken geht man dann vielleicht ein, kaputte Reaktoren vielleicht doch wieder ein bisschen in Betrieb zu nehmen? Politisch steht schon fest, dass diesen Winter wieder alle ans Netz müssen. Ob da die Realität ein Wörtchen mitzureden hat? 32 von 56 sind kaputt. Sicherheitskontrollen haben sich sowieso wegen Corona arg verspätet und einige Werke sind bereits über die periodischen Prüfzeiträume hinaus. Genau wie bei uns jetzt mit den “Reserve-AKW” im Süden. Ach ja, auch hier wieder für Enthusiasten: Nein, die Mini-Atomkraftwerke sind genauso eine Seifenblase wie die ganz großen EPR, beide sind eher dazu da, Atomgegner zu befrieden und die Industrie zu beschäftigen, die Risiken werden bei mehr Standorten und mehr Menschen mit Zugang dazu nur multiplizieren, genau wie das Müllproblem.

Und wir?

Da du der deutschen Sprache ja mächtig bist, gehe ich davon aus, dass du die hiesige Atompolitik mehr oder weniger kennst und will dich nicht langweilen. Wenn nicht, dann hier der Schnelldurchlauf: Einstieg in den Sechzigern, Boom, Schock 1986, Atomkonsens im Jahr 2000 zum Ausstieg unter rot-grün, Laufzeitverlängerung 2009 unter schwarz-gelb, Schock 2011, Ausstieg erneut festgelegt, Ukraine-Schock und jetzt die aktuelle Debatte. Also ein ziemliches hin und her. Atomenergie war und ist immer noch ein politischer Spielball. Es sind insgesamt in Deutschland 110 kerntechnische Anlagen gebaut worden. Von Anfang hatten viele Investoren und Politiker nur Dollarzeichen in den Augen, was zu einer langen Liste von gewaltigen Totalausfällen und Milliardenabschreibern führte. Da wären fix fertig gebaute Kernkraftwerke, die nie ans Netz gingen, weil sie an politischen und sicherheitstechnischen Bedenken scheiterten (Kalkar), wegen fehlerhaften Baugenehmigungsverfahren den regulären Betrieb nie aufnahmen (Kärlich), nur kurz in Betrieb waren (Lingen) oder wegen der Wende nie fertiggestellt wurden (Stendal 1 und 2) und teils bis heute als Ruinen vor sich hin rosten. Lingen war nur 10 Jahre in Betrieb, wurde nach einer langen Serie von Pannen und Defekten, hin bis zur Freisetzung von atomaren Stoffen in die Umwelt, 1979 abgeschaltet. Es moderte 30 Jahre vor sich hin. Dann begann vor wenigen Jahren der Rückbau, der mindestens 20 Jahre dauern soll. Es gab auch Fehlkonstruktionen, die trotz Kritik durchgeboxt wurden, wie zum Beispiel der Kugelhaufenreaktor in Hamm (Brennstoffkugeln sollte nach dem Prinzip der Sanduhr durch den Reaktor rieseln), welcher überhaupt nicht brauchbar funktionierte. Ab den ersten konkreten Planungsarbeiten über den 15 statt 5 Jahre dauernden Bau, die kurze aktiven Phase bis zur jahrzehntelangen Abklingzeit und den erst noch erfolgenden 20-jährigen Rückbau werden fast 100(!) Jahre vergangen sein – für notabene nur wenige Monate Betrieb. Die Finanzierung des Rückbaus ist nicht geklärt und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass auch dieser wieder am Steuerzahler hängenbleibt. Einfach nur, weil die Industrie und mit 63 % Finanzierung auch der Bund und das Land NRW mit 11 % damals den aufkommenden Leichtwasserreaktoren zuvor kommen wollten und auf Teufel komm raus alle Bedenken, egal ob wirtschaftlich, technisch oder politisch, brachial aus dem Weg geräumt haben. Getrieben vom Traum eines eigenen deutschen Reaktordesigns. Die damaligen Akteure glauben bis heute fast sektenhaft an die seit mehr als einem halben Jahrhundert scheiternden Technologie. Ihnen gelang trotz Embargo der Transfer des Know-Hows nach Südafrika und China – also in geopolitisch ganz anders zu bewertende Länder. Zwar legten sich auch die damit bisher auf die Nase, aber das Beispiel zeigt, wie unkontrollierbar Wissen, Baupläne und Gefahren werden, wenn sie einmal erschaffen wurden und ab dann Gier und Politik unweigerlich ausgesetzt sind.

Und dann sind da auch noch die DDR-Kernkraftwerke, welche man nach der Wende aus Angst schleunigst abschaltete und seither mühsam Stück für Stück abbaut. Zur Verdeutlichung das Beispiel Greifswald, welches damals das größte AKW Europas war: extrem kurze Bauzeit von 5 Jahren, nur 16 Jahre Betrieb, 5 Jahre Stilllegung, 33 Jahre oder mehr Rückbau. Zwar hatten die Reaktoren sogar mehr Sicherheitsreserven bei der Kühlung, als ihre westlichen Pendants, aber das größte Problem an ihnen war die Versprödung von Schweißnähten durch Neutronen im Betrieb. Zwar kann man dagegen bis zu einem gewissen Grad Maßnahmen treffen (Teilrekonstruktion), aber das wurde immer wieder rausgeschoben wegen fehlender Kooperation mit der Sowjetunion. Die Folge: Das damalige DDR-Politbüro setzte sich über die Sicherheitsbehörden hinweg und ordnete den Weiterbetrieb ohne Maßnahmen an. Als es nicht mehr anders ging, wollte die Behörde dann stilllegen, während die Führung doch noch die Rekonstruktion durchsetzte. Auf gut Deutsch: Es wurden aus politischen Gründen alle Sicherheitslinien überschritten und damit Gefahr bewusst in Kauf genommen – mehrfach. Kurz: es wurde sich unfassbar verschätzt, verkalkuliert und verspekuliert, politisch Achterbahn gefahren und mit dem Feuer gespielt. Sieht so verantwortungsvoller, stabiler und nachhaltiger Umgang mit einer Hochrisikotechnologie aus, die bis in die Ewigkeit Folgen haben wird?

Ehemalige Steuerwarte in Greifswald.

Selbst in die Wiederaufbereitung wollte man bei uns auch einsteigen und baute dafür extra eine Anlage in Karlsruhe. Die wurde aber nie fertig. Nach 6 Jahren Bauzeit nutzte man davon nur die Möglichkeit, hoch radioaktiven Müll in Castoren zu verpacken – genau 1 Jahr lang. Die Anlage wurde wieder geschlossen und sie wird nun rückgebaut. Auf dem Gelände stapelt sich nach mehreren Erweiterungen der Müll in einem Zwischenlager, das bereits 25 Jahre in Betrieb ist. Auch hierzulande kam es zu einer Reihe von Un- und Zwischenfällen. Insgesamt waren das 4800 meldepflichtige Ereignisse. Ins Freie entweichender radioaktiver Dampf, geklautes Plutonium, verseuchte Erde und Grundwasser unter Forschungsreaktoren, ein fast zum Super-GAU führenden Großbrand, wegen Störfällen nach wenigen Jahren aufgegebene Blöcke etc. Beim schon erwähnten Kugelhaufenreaktor in Hamm behaupteten später ehemalige Mitarbeiter sogar, dass 1986 absichtlich eine radioaktive Aerosolwolke ausgeblasen wurde, weil man sich erhofft hätte, dass dies während der genau dann stattfindenden Tschernobylkatastrophe in deren radioaktiven Wolke über Europa nicht auffallen würde. In das Projekt waren erhebliche Summen investiert worden, es gab als großen Erfolgsdruck und trotzdem wurde der einzigartige und experimentelle Reaktor zum Milliardengrab. Seine einstigen Argumente, dass er viel sicherer sei als herkömmliche, wurden widerlegt und man kam sogar zum Schluss, dass die Risiken effektiv sogar höher seien. Die freigesetzte Menge an Radioaktivität konnte nie genau bestimmt werden. Jahrzehnte später stieg die Krebsraten in der Umgebung signifikant.

Und damit wären wir schon im Hier und Jetzt angelangt. Die französischen Reaktoren bedrohen Deutschland. Wenn nämlich bei den Franzosen der Strom ausfällt, dann gefährdet das die gesamteuropäische Netzstabilität. Gerade gaben sich Macron und Scholz noch die Hand drauf, man würde sich gegenseitig helfen. Das ist fast schon surreal komisch, Frankreich vermasselt Atom und will deutschen Strom und Deutschland vermasselt Gas und will nun welches aus Frankreich. Kann man sich nicht ausdenken! Geradezu jenseits wirkt das alles vor dem Hintergrund, dass man eben noch die EU-Taxonomie deichselte, wo man sich das eigene Versagen auch noch mit einem grünen Etikett adeln und vergolden lassen wollte. Deutschland mit Gas, Frankreich mit Atomenergie. Völlig verrückt und ziemlich derangiert treiben uns diese Seltsamkeiten in einen Winter voller Unsicherheit. Wird es reichen? Was wird passieren, wenn nicht? Braucht Frankreich Strom, dann, wenn Deutschland liefern kann oder gerade dann, wenn es selber am Anschlag ist? Was passiert, wenn ganze Landesteile auch nur schon für kurze Zeit vom Netz gehen, hat diese ZDF-Doku kürzlich aufsehenerregend ausgemalt. Ganz ohne Drama, aber kauf dir besser mindestens ein batterie- oder kurbelbetriebenes Radio, Kerzen und horte ein bisschen Bargeld. Die Antwort Deutschlands auf diese Gefahr für die Energienetze? Irrwitzigerweise – na, du errätst es – auch wieder Atomenergie!

Volle Zwischenlager, volles Risiko und immense Kosten. Für eine atomare Klimarettung müsste man noch unendlich viel mehr Atommüll produzieren, obwohl noch keiner eine funktionierende Lösung dafür hat.

Die gesalzene Rechnung

Bis noch vor kurzem, ja eigentlich gerade in der aktuellen Debatte besonders, wurde Atomstrom als billige und immer verfügbare Bandenergie gepriesen. Doch der Preis für das atomare Zeitalter ist schlussendlich extrem groß. Finanziell sicher, denn der Rückbau wurde oft kaum einberechnet. Frankreich hat gerade einmal 18,4 Milliarden für seine 70 Reaktoren zurückgelegt. In Deutschland häufen sich besonders auffällig viele Fehlinvestitionen in Technologien und Kraftwerke, die dann gar nie einen wirtschaftlichen Nutzen erbrachten. Uranhalden, DDR-Reaktoren, Endlagerung und viele andere Details kosten die Allgemeinheit zusätzlich via Steuern Unsummen, während sich Konzerne mit billigem Strom die Taschen füllten und gar nie den wirklich angefallenen Preis bezahlten. Klar wurde Energie jeglicher Form immer in irgendeiner Form subventioniert und hat so Wohlstand ermöglicht. Doch der Wohlstand einer einzigen Generation gefährdet jetzt diesen von vielen künftigen. Es gibt gleich eine Reihe von Reaktoren, wo der ursprüngliche Bau und der spätere Rückbau mehr als doppelt so lange gedauert haben wird, wie die wenigen Jahre des effektiven Betriebes. Für ein paar Jahrzehnte Strom strahlt das Erbe nun für immer, muss bis in alle Ewigkeit bewacht und überwacht werden. Das schafft zwar Arbeitsplätze, vernichtet aber Milliarden an erst noch anfallenden Kosten. Und das bezahlen unsere Enkel und Urenkel.

Der Atomtraum bremst den Umstieg auf Erneuerbare und auch dort werden die Kosten für diese Kurzsichtigkeit gewaltig sein. Die FDP, CDU und CSU rufen jetzt in der Krise nach billigem Strom sowie Weiterbetrieb und versuchen mit aller Macht die Tür wieder zu öffnen. Genauso im Nachbarland Schweiz. Dort sind die mit ältesten kommerziellen Reaktoren der Welt in Betrieb. Und man hat genau wie Frankreich beschädigte Reaktorbehälter, ständig Ausfälle, Abschaltungen wegen Hitzewellen und deswegen fehlender Kühlung und hat auf dem atomaren Kissen ruhend jede Transformation verschlafen, die einem jetzt aus dem Krisenwinter helfen würde. Frankreich liefert nicht mehr, aus Deutschland fehlt Gas und die Stauseen der Wasserkraftwerke sind leerer als nach anderen Sommern. Langsam dämmert, dass die gesamte Energiepolitik Murks war und man sich in falscher Sicherheit gewogen hatte. Dazu haben eben auch die Atomkraftwerke beigetragen, denn die sind weder ewig haltbar noch so zuverlässig wie gedacht. Jetzt gibt es den Plan, notgedrungen Gaskraftwerke auf Öl umzurüsten und hinter jedes bestehende Kraftwerke für den Winter kurzfristig Blockheizkraftwerke zu stellen. Also so eine Art überdimensionale Notstromaggregate, welche auch noch überdimensional CO2 ausstoßen. Einfach weil man seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, sich genau wie in Bayern von konservativen Politikern hat erzählen lassen, dass Windräder hässlich seien und man die verhindern könne, wenn man genug laut und lange auf dem Boden stampfe. Die Atomkraftwerke machten derweil schön fett Gewinne. Jetzt ist aber einer der Betreiber so in Schieflage geraten durch seine Geschäftspolitik, dass er sich zuerst erdreistete, von der deutschen Gasumlage profitieren zu wollen und als das nicht klappte, den Schweizer Staat dazu brachte, Milliarden springen zu lassen. Too big to fail und so. Kommt dazu, dass der Konzern formal sowieso zu 100 % in öffentlicher Hand ist, allerdings nur in der von einigen wenigen Kantonen. Die anderen finden es eher so semi lustig, dass sie jetzt dafür auch gerade stehen. Ein Stromabkommen hat man mit der EU auch keines mehr, weil man sich gegen neue bilaterale Verträge sperrt.

In diesem ganzen Abwärtsstrudel kommt jetzt die rechte und in der Schweiz größte Partei mit der Idee um die Ecke, man könnte doch nun – trotz beschlossenem Atomausstieg bis 2034 – wieder neue Atomkraftwerke bauen. Zwar will kein Betreiber welche, niemand sie versichern und die Öffentlichkeit auch nichts dran geben. Aber das kann sich ändern. Dazu will die Partei eine Initiative lancieren. In der Schweiz heißt das, wenn genug Unterschrift gesammelt werden, kommt es zur Volksabstimmung, wo dann jeder Bauerntrampel relativ einfach mit gekaufter Werbung beeinflusst werden kann. Am Ende führt so eine Abstimmung immer zu einer Verfassungsänderung. Auch wenn das nur als populistischen Manöver gilt, welches man Söder abgeguckt hat, sollte man nie die kollektive Dummheit unterschätzen. Eilig und genau jetzt, natürlich per absolutem Zufall, verkündet man diese Woche, wo denn das Endlager geplant werden kann. Spoiler: Es wird direkt an der deutschen Grenze liegen. Ergo: Atomenergie macht abhängig, süchtig und führt zu politischer Gier. Technik ist das eine, Dummheit als menschlicher Gegenpart dazu das andere. Wir alle bezahlen viel zu viel dafür. Immer wieder und immer weiter. Der Preis für die Gesundheit, Psyche, Experimente, Rückbau, Endlagerung, Risiken und die fehlgeleitete Politik sind nicht bezifferbar. Sie übersteigen unser Vorstellungsvermögen – und das wird immer wieder ausgenutzt. Ein paar wenige werden strunzreich – die Welt hingegen verseucht und künftige Generationen mit Problemen überhäuft.

Anlage für den Glaseinschluss von atomaren Abfällen in Karlsruhe. Die Arbeit fand mit Roboterarmen hinter extrem dickem Bleiglas statt. Ein Mitarbeiter einer hier tätigen Fremdfirma stahl im Jahr 2000 ein Röhrchen mit plutoniumhaltigen Rückständen und ein kontaminiertes Wischtuch aus der Anlage. Bilanz: er, seine Lebensgefährtin und deren Tochter wurden schwer verstrahlt. Nach langem Rechtsstreit zahlt das Land Rheinland-Pfalz und die mittlerweile bundeseigene Anlage 2,2 Millionen Euro für die Dekontaminierung von zwei belasteten Wohnungen. Credits

Fazit 3

Glaub mir, das waren jetzt nur ein paar Eindrücke. Die Liste an Unfällen, Skandalen und Probleme ist unendlich viel länger. Dieser Beitrag ist nur der Versuch, das Problem Atomkraft in den Kontext der gesamten nuklearen Menschheitskatastrophe und die Klimakrise zu setzen. Du denkst dir nach all den Abgründen nun, was hat das mit dem Klima zu tun? Wie bei der Klimakatastrophe ist der Umgang mit Atomtechnologie Einstellungssache. Eine politische dazu. Man muss sich vorstellen, dass Millionen von Menschen rund um Atomkraftwerke, Atombomben, Brennstäbe, Uranabbau, Nuklearwaffen, radiologische Industrie- Forschungs- und Medizintechnologien sozialisiert wurden. Die Generation Babyboom ist damit groß geworden. In einer Kultur der absoluten Technokratie. Energie ist Macht, Wissen ist Macht. Weltweit hofiert darum die Politik immer noch die dabei entstandene riesige Atomlobby – und umgekehrt. Unzählige Jobs hängen davon ab. Im wahrsten Sinne des Wortes ist die Strahlkraft immer noch stark. Auf der anderen Seite ist da die unumkehrbare Strahlung einer rund um den Globus führenden Spur an Zerstörung, Vergiftung, Verseuchung, Krankheit, Gefahren und Risiken des menschlichen Umganges mit Radionukliden.

Dieses völlige menschliche Unvermögen, mit der für ihn nicht im Ansatz sicher beherrschbaren Materie rund um Atomtechnik, kann auch als Analogie zum Klimawandel gelesen werden. Da ist die irre Idee, einfach mit Terraforming, CO2-Staubsaugern und Bodenverpressung sowie genug Elektroautos und noch mehr Atomkraftwerken selbstherrlich die Natur und ihr Gleichgewicht dominieren und verändern zu können, sich selber und den eigenen Lebensstil aber nicht verändern zu müssen, um der genauso naiv ausgelösten Klimakatastrophe zu entkommen. Was beides genau dasselbe ist. Wir werden gar nichts beherrschen. Wir müssen mit den Ursachen aufhören und uns anpassen, alles andere ist wahnwitzig! Noch wahnwitziger ist die Idee, beide menschlichen Irrwege der Unbeherrschbarkeiten zu vereinen. Viel zu viel glauben jetzt und heute tatsächlich daran, mit genug Atomkraftwerken könnte man die moderne Welt dekarbonisieren. Sie seien die Lösung für den Klimawandel. Aber eine Unbeherrschbarkeit mit noch viel mehr davon zu ergänzen kann nur noch mehr Leid bringen. Minus mal minus gibt nicht immer plus.

Die Anhänger dieser Theorie berufen sich als quasi Totschlagargument auf den IPCC. Doch dort haben nur Wissenschaftler getan, was Wissenschaftler eben tun – Fakten erwähnt. Ja, natürlich produziert ein AKW weniger CO2. Natürlich bräuchten wir eine globale Anstrengung zur Wende. Natürlich könnte man da in eine Möglichkeitsrechnung Kernkraftwerke einberechnen. Der Fakt, dass wenn wir nichts an unserem Leben ändern und mit vorhandenen Mitteln uns retten wollen, AKW’s tatsächlich eine Alternative zu Kohlekraftwerken sind, ist logisch. Aber die IPCC-Wissenschaftler haben dies auf keinste Weise in einen moralischen, technischen oder politischen Kontext gesetzt und eine ethisch vertretbare Gefahren- und Güterabwägung für diesen getroffen. Ist auch nicht ihre Aufgabe. Wenn man diese Arbeit nämlich macht, kommt man zwangsweise zur Bilanz, dass es Alternativen gibt. Wind, Sonne, Wasser, Geothermie, Biogas, Stromsparen, dezentrale Netze, in gewissem Maße Wasserstoff etc. sind die Zukunft. Genau wie Städte ihre Verkehrsprobleme nicht weiter rund ums Auto bauen können, sondern in der Verkehrswende dem Auto größtenteils entsagen müssen, um eine lebenswerte Stadt zu schaffen – genauso müssen wir global der Idee der einzelnen Großkraftwerke entsagen. Man kann die Zukunft nicht mit dem Fehler der Vergangenheit lösen.

Demo in Frankfurt gegen Greenwashing von Atomenergie.

Wer jetzt also Atomenergie und Klimakrise vermischt oder unlauter kombiniert, um weiter die Idee des vermeintlich billigen Atomstroms verkaufen zu können, der hat – mit Verlaub – doch schon sehr den Schuss nicht gehört oder ist ein skrupelloser Egoist. Wahlweise auch einfach ein verzweifelter Politiker, welcher bemerkt, dass Verhinderungspolitik für kurzfristige Erhaltung von Pfründen, schnöden Profit oder der eigenen Macht der falsche und katastrophale Weg war. Womit sich der Kreis schließt und wir wieder am Anfang wären. Wer sich jetzt von FDP und CDU/CSU einlullen lässt, wer jetzt doch wieder den Schuh in die Tür schiebt, wer sich mit der Taxonomie zufriedengibt, der öffnet die Büchse der atomaren Pandora ein zweites Mal. Das radioaktive Zeitalter hat genug angerichtet. Billiger Atomstrom und fossile Energien haben beide davon gelebt, die Schulden für den eigentlichen Preis in die Zukunft zu schieben. Wollen wir raus aus dieser tödlichen Spirale, müssen wir jetzt nein sagen. Nicht morgen. Morgen ist es zu spät – für immer. Wir haben keine Zeit mehr und mit Atomstrom trödeln wir weiter, während sich das nur noch kurze Zeitfenster schließt.

Unheimlich ist auch, wie viele Politiker wahrscheinlich den Umfang der atomaren Geschichte kennen und dazu noch begreifen und wer von den Lindners, Söders, Aiwangers, Kubickis, Spahns usw. weiter gefährlich viel politischen Einfluss auf ein Thema hat, von dem er nichts versteht und von vielen in diesem Beitrag erwähnten Katastrophen und Auswirkungen der Kerntechnik noch nie gehört hat. Ich will es lieber nicht wissen. Aber selbst wenn Atomenergie physikalisch eine Lösung wäre und man alle Risiken und hier abgehandelten Folgen ausblenden würde, wäre der Bau von nötigen Kraftwerken heute weder politisch, finanziell noch von der Baugeschwindigkeit her in der kurzen Zeit machbar, die uns noch bleibt, den Klimawandel zu verlangsamen, um nicht exponentiell über die Kipppunkte hinaus dem Ende unserer Spezies entgegenzurasen. Gas wie Atom – beides war im neoliberalen Kapitalismus kurzfristig billig. Aber schon mittelfristig zahlen wir alle nun teuer dafür. Das war und ist nicht nachhaltig, sondern hat wenige sehr reich gemacht. Machen wir nicht denselben Fehler gleich nochmal vom Regen in die Traufe. Eine Abhängigkeit und ihre jetzigen Folgen sind genug. Erneuerbare können wir im Inland unabhängig und in großen Mengen produzieren. Am besten dezentral und in Bürgerhand. Anstatt das Klima retten, jetzt noch mehr Kohle verbrennen und weiter marode Meiler zu betreiben, ist genau das Gegenteil.

Warum schafft es der Kanzler nicht, enthusiastisch die Schlacht um die erneuerbare Revolution auszurufen? Vollgas gibt die Ampel nämlich überhaupt nicht. Stichwort Tankrabatt, Tempolimit, 9-Euro-Ticket oder eben jetzt die halbseidene Reserveverlängerung von Atomkraftwerken. Die Industrie blöckt schon laut, man könne aber so ein Kraftwerk nicht einfach wieder anschalten – wohl in der aufkeimenden Hoffnung doch noch weiter in Betrieb bleiben zu können und um Zeit zu gewinnen. PreussenElektra als Betreiber von Isar 2 liefert sich gerade ein fieses, öffentliches Blaim-Game mit Habeck. Ach ja, PreussenElektra hieß vorher E-ON. Der Konzern wurde in zwei Teile gespalten. Und zwar in, ohne Scheiß, “alte Energiewelten” und “neue Energiewelten”. Weil die alten Energien, damit auch Atomkraft, zum Klotz am Bein geworden sind und man im Konzern so nicht in digitale Zukunftsenergien investieren konnte. Genauso machte das jüngst auch Siemens mit der Abspaltung von Siemens Energy. Mit der Energiesparte wollte man vor zehn Jahren noch groß ins Atomgeschäft zurückkehren, vor allem mit den Russen. Es kam anders und jetzt musste der Ballast weg. Abgespalten und alleine gelassen, müssen solche Restkonzerne jetzt noch mehr kämpfen. Und das tun sie, denn die nahe Zukunft wird dank Krieg, Virus, Klima usw. so entbehrungsreich, dass immer mehr sich die alten nuklearen Partyzeiten zurückwünschen werden, wo Strom im Überfluss da war. Der Atomlobby und den ihr gewogenen Politkern gefällt das. Sehr.

Zahlen und Fakten? Der Uran-Atlas fasst alles Wissenswerte und alle Daten und Fakten rund um Atomenergie nochmal übersichtlich zusammen.

Wow!

So, die Reise durch die nukleare Geschichte des Horrors neigt sich dem Ende zu und wenn du es bis hierher geschafft hast, dann danke ich für die enorme Geduld dieser doch recht umfangreichen Beitragsreihe. Es war wahnsinnig viel Arbeit und es ging vor allem darum, unmissverständlich klarzumachen, dass Atomtechnologie im allgemeinen, und damit auch untrennbar verbunden Atomstrom keine Zukunft hat und haben darf. Wir alle tragen dafür die Verantwortung. Am Lichtschalter und der Wahlurne. Ich schreibe diese Zeilen übrigens, während das größte europäische Atomkraftwerk Saporischja unter Dauerbeschuss steht. In den letzten 24 Stunden ist 15 Mal Artillerie eingeschlagen, die Verbindung zum Netz ging verloren und ein letzter Reaktor kühlt nun im riskanten Inselbetrieb die anderen 5. Dies, nachdem kurz zuvor Russland durch den hoch verseuchten roten Wald in die Reaktorruine in Tschernobyl einmarschiert ist und dabei nichtsahnende Soldaten verstrahlt wurden, die anscheinend nie zuvor vom Unglück gehört hatten. Atomkraftwerke werden gerade mitten in Europa als Waffe und Terrorinstrument verwendet und wir alle halten den Atem vor Angst an. Werden wir diesmal auch nur die Pilze wegschmeißen müssen?

Wie extrem haben wir uns verrannt, dass wir gerade ernsthaft kurzfristig keine Alternative haben, als paradoxerweise den Atomausstieg de facto gerade wieder aufzuweichen? Wegen kaputter Atomkraftwerke durch Stromausfall ins Mittelalter zurückfallen oder durch beschossene Meiler vergiftet werden? Putin verwendet fast schon genüsslich den schonmal 1989 für den Untergang seiner so geliebten Sowjetunion (mit-)verantwortlichen Grund: marode Kernkraftwerke – und zwar gegen Europa. Die Situation direkt hier bei uns ist deswegen gerade so wild in einen fiebertraumatischen Horrorfilm abgeglitten, dass man sich nur schockiert die Augen reiben kann. Und wir sind selber schuld daran. Atomenergie ist für gar nichts die Lösung. Sie war und ist nur für windige und kurzfristig wie egoistisch denkende Politiker interessant. Alle anderen müssen auf ewig mit den Konsequenzen daraus leben. Wie beim Klima auch. Fühl dich frei, diese Story weiterzuempfehlen – denn je mehr die Dimension des atomaren Fehlers der Menschheit vollständig begreifen, desto mehr werden aufgeklärt handeln und Atomaktivisten nicht weiter so belächeln, wie Klimaaktivisten gerade noch belächelt werden. Die Gelegenheiten fürs soziale Sharing bietet sich direkt jetzt und gleich hier unter diesen Zeilen. Vielen Dank dafür. Ich gehe jetzt Sonne tanken.

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