Wie weit kommst du mit dem Zug in 5h? Diese einzigartige Karte zeigt es dir!

Klimabewusstsein im Informationszeitalter und wie Open-Data die Sicht auf unsere Welt verändern kann. Steig ein und komm weiter als du deknst!

In Deutschland ist das Verhältnis der Bürger zur Bahn massiv gestört. Gerade entdecken viele mit dem 9-Euro-Ticket das umweltfreundliche Verkehrsmittel zwar wieder, machen aber wie üblich mit der kaputt gesparten Bahn nicht unbedingt gute Erfahrungen. Dabei müssen wir in unseren Breitengraden froh sein, dass wir auf einem einzigartig gut vernetzten Kontinenten leben. Während sich ältere Semester noch an eine zuverlässige und in einigen Fällen auch schnellere Bahn erinnern können, kennen Jüngere nurmehr die neoliberale Hochgeschwindigkeitswelt, wo Billigflieger günstiger sind und außerhalb von Ballungsräumen die Fahrt mit dem Zug mühsam werden kann. Wie kann man also das Bewusstsein für ein Transportmittel verbessern, dessen Image leider von einem einzigen Konzern sehr in Mitleidenschaft gezogen wurde? Wie kann man Menschen zeigen, dass sie mit der Eisenbahn viel weiter reisen können, als sie selber denken? Wie kann man sie vom selbstverständlich gewordenen Flugverkehr weglocken? Indem man mittels Open-Data visualisiert, welche Reichweite jeder persönlich mit der Bahn von seinem Standort aus hat! Hier der Link:

https://chronotrains-eu.vercel.app

Screenshot der 5h-Karte von Julius Tens

Die Karte

Der Softwareentwickler Julius Tens hat eine Karte entwickelt, auf welcher man mit der Maus seinen Standort suchen und sofort sehen kann, wie weit man vom gewählten Ort mit der Bahn in verschiedenen Zeitfenstern kommt. Für manchen kann das individuelle Ergebnis ziemlich erstaunen. Die simple Webseite basiert auf öffentlich zugänglichen Fahrplandaten. Auch diese sind eine Form von Open-Data. Das sind Datensammlungen, die öffentlich zugänglich sind und von jedermann genutzt werden können und dürfen. Oft sind diese Daten auch öffentlich finanziert worden und sollen daher nach dem Open-Data-Prinzip der Öffentlichkeit gratis und frei zur Verfügung stehen. Vielfach liegen diese Datenschätze einfach brach, obwohl man sie zu so tollen Projekten wie eben diese Bahnkarte verwenden kann. Journalisten nutzen diese Daten eher selten, denn Datenjournalismus als Genre ist relativ teuer. Einerseits müssen Daten technisch aufbereitet und interpretiert werden und um sie verständlich vermitteln zu können, sind Infografiken und Visualisierungen notwendig. Letzteres ist auch eher eine journalistische Königsdisziplin, welche Redaktionen in der Medienkrise nur selten zum Einsatz bringen. Viele führende Medienhäuser haben damit experimentiert, zum Beispiel waren die NewYork-Times oder TheGuardian Pioniere in diesem Feld, aber der Einsatz lohnt sich vor allem bei Populärthemen wie zum Beispiel Politik. Leider ist die Klimakatastrophe immer noch stark untervertreten in den herkömmlichen Massenmedien. Ähnlich wie mit Datenjourmalismus verhält es sich auch beim Klimajournalismus an sich: Recherche ist teuer und das Thema Klima ist immer sehr komplex, da es mit einer Vielzahl von Lebensbereichen zusammenhängt. Einordnungen sind also oft schwer und die Vereinfachung auf einen einzigen Fakt ist oft nicht aussagekräftig oder wird dessen Erklärung nicht gerecht. Aber genau darum hätte hier die Symbiose aus guter Visualisierung, datengetriebener Evidenz und gut gemachter Einordnung ein enormes Potential. Dieses zu erkennen, zu nutzen und zu fördern, könnten verschiedene Akteure gemeinsam durchaus leisten. Die Öffentlich-rechtlichen, private Medienhäuser und die verschiedenen Bundesministerien könnten zusammen viel erreichen, würden sie die technischen Möglichkeiten gemeinsam nutzen und finanzieren. Einzelne Programmierer können nur aus Goodwill, persönlicher Verantwortung oder Spaß an der Sache handeln. Förderung von Medien und Digitalisierung sind ganz direkt auch Klimainvestitionen. Das haben die zahlenmäßig übervertretenen älteren Politiker noch nicht realisiert. Ihnen und ganz Deutschland fehlt eine digitale Kultur. Dieser Umstand wird darum auch immer mehr zu einer Umweltbedrohung. Überhaupt ist die Karte auch politisch interessant. Denn es sind frappante Unterschiede zwischen den Ländern Europas erkennbar. In Frankreich ist man besonders schnell unterwegs. Das hat aber auch mit der zentralen Ausrichtung auf Paris zu tun und damit, dass Deutschland polyzentrisch aufgebaut ist. Trotzdem können schnelle Bahnen vielerorts Flüge ersetzen, sofern denn das politisch gewollt ist. Nie war das sichtbarer als hier.

Oft kommt man mit der Bahn in kurzer Zeit erstaunlich weit – in Frankreich ganz besonders!

Fazit

Die Bahn ist jetzt schon auf vielen Relationen zeitlich absolut konkurrenzfähig. Wer fliegen will, rechnet oft nicht die Anreise, den Check-In, die Sicherheitskontrolle, Reservezeiten und am Ziel die Reise in die Stadt zur Reisezeit dazu. Mit dem Zug fährt man von Zentrum zu Zentrum und erspart sich die Warterei in Flughafenterminals. Diese sind heute auch oft so gebaut, dass der Fluggast möglichst viel Zeit dort verbringen soll, weil vor allem die Verkaufsflächen das Geschäft ausmachen und mit den Flügen als Flughafen oft wenig bis nichts verdient wird. Natürlich sagt mir der normale Fahrplan, wie lange die Zugreise dauern würde. Aber eine Karte wie die von Julius Tens schaffen einen ganz neuen Zugang zur Wahrnehmung von Mobilität und den Möglichkeiten von Bahnreisen. Öffentliche Daten aufbereiten ist für einen versierten Fachmann nicht besonders schwierig, die Zusammenarbeit von Journalisten, Datenspezialisten und visueller Kommunikation ist es hingegen sehr. Vor allem die Kosten sind das Problem, warum nicht öfter solche sehr überzeugende Beispiele von Open-Data-Visualisierung zum Einsatz kommen. Da das Klima aber nicht irgendein Thema ist, sondern das bestimmende der nächsten Jahrzehnte und es dabei schlicht und einfach um das Überleben unserer Spezies geht, wäre jeder Euro als Investition in solche Projekte seinen Einsatz um das Vielfache wert. Wir brauchen mehr davon, damit mehr Menschen besser begreifen, was gerade passiert und dass sie persönlich viel mehr Einfluss und damit Macht haben. Daraus ergibt sich Selbstwirksamkeit als Bewusstsein und schlussendlich Hoffnung und vor allem Handlung. Genau diese Philosophie verfolgt übrigens das Format “DIY-Klima” und DerKlimablog als Ganzes. Spread the word! Und jetzt viel Spaß beim virtuellen Verreisen!

Die Serie dazu

Dieser Beitrag ist ein Teil der Serie “Open-Data und Klima” mit diesen bisherigen Teilen:

Stadtbäume mit Open-Data vor Hitze retten

Mit trinken das Klima retten – am Open-Data-Brunnen

Wie weit komme ich in 5h mit dem Zug? Diese Karte zeigt es dir mit Open-Data!

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