Die 1,5 Grad sind mittlerweile in aller Munde. Besonders, seit im Mai die Weltwetterorganisation bekannt gegeben hat, dass die 1,5 Grad-Grenze schon viel schneller erreicht werden könnte als bisher gedacht – nämlich schon 2026. Nun ist es aber nicht so, dass man alles genau berechnen könnte, vieles ist geschätzt und das Weltklima unterliegt derart vielen Variablen, die sich auch noch gegenseitig beeinflussen. Aber ohne Anhaltspunkte und Meilensteine kann die Politik nicht arbeiten bzw. fehlt die Orientanion. Was also ist diese 1,5 Grad-Grenze und was oder wer steckt dahinter?
Was ist genau gemeint mit den 1.5 Grad?
Die 1,5 Grad beruht auf der Berechnung, wie viel sich die Erde erwärmen noch soll und kann im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Also in etwa vor 1830, als der Mensch begonnen hat, Kohle im großen Stil zu verbrennen, die Herstellung von Dingen zu rationalisieren und damit eine Explosion der Bevölkerung auslöste. Der Referenzpunkt ist als ungefähr da, wo noch alles gut war. Im Moment bewegen wir uns, je nach Rechnung, bei ungefähr 1,3 Grad. Es bleibt also nicht mehr viel übrig. Bei Klimagraden verhält es sich ähnlich wie mit Dezibel. Die Linie des Anstieges ist exponentiell. Das andere Ende des Zeitraumes ist das Jahr 2100. Also von 1830 bis 2100 verteilt soll der Anstieg nicht über 1.5 Grad steigen. Nach neuesten Erkenntnissen könnte dies aber schon 2030 passiert sein. Also in wenigen Jahren schon. Die Grenze ist ein Grenzwert zu einer noch viel größeren Katastrophe und daher tatsächlich ein Zielwert, den die Weltgemeinschaft dringend einhalten möchte oder zumindest sollte. Allerdings kann die Angabe in Zeit verwirren, denn die Restzeit ist nur eine ungefähre Berechnung und stellt keinesfalls ein Ziel dar, das wir in einer bestimmten Zeit erreichen könnten, sondern viel eher, wie die Zeit uns dafür davon läuft oder schon definitiv verronnen ist. Wir haben zu viel Zeit durch zu wenig dafür tun verplempert und die Reserven sind jetzt praktisch aufgebraucht, wir werden den Wert viel früher als uns lieb ist erreichen – nicht erst 2100. Mit womöglich unumkehrbaren, desaströsen Konsequenzen.
Zeit bis zum 1,5 Grad-Ziel:
Wie kommen die 1,5 Grad zustande?
Der weltweite Klimarat oder auch IPCC ist eine Organisation, die aus einer Abteilung der UNO zusammen mit dem WMO, dem Weltinstitut für Meteorologie, im Jahr 1988 entstanden ist. Denn der Klimawandel ist schon länger bekannt und die Länder dieser Welt tagen seit Jahrzehnten bereits regelmäßig zum Thema. Um den Umfang des Problems Klimawandel überhaupt quantifizieren zu können, war viel Forschung notwendig. Denn die wichtigste Mission der Menschheit braucht eine sichere Daten- und damit Entscheidungsgrundlage. Darum erscheinen regelmäßig auch die IPCC-Berichte, die die jeweiligen Zwischenergebnisse präsentieren. 195 Länder sind Mitglieder. Der IPCC und seine Forschung wird jeweils von anderen Forschungsgruppen und Gesellschaften wiederum kontrolliert und bestätigt. So soll Sicherheit und Legitimität gewährleistet werden. Dabei sind Klimaforscher aus der ganzen Welt, und zwar die Allerbesten der Besten. Der IPCC ist also quasi der Goldstandard in der Klimaforschung und das gesammelte Wissen zum Thema. Mehrere hundert Forscher arbeiten jeweils 3 Jahre an einem Bericht, die Berichte sind in 4 Fachgebiete aufgeteilt. In diesen Berichten wurde also die Dimension des Klimawandels dargelegt, die Einflüsse wurden untersucht, mögliche Lösungswege erarbeitet und schlussendlich leiten sich daraus Empfehlung für die Weltpolitik ab.
Wer hat die 1,5 Grad festgelegt?
Genau hier kommt das große Parkett der bekannten Klimakonferenzen ins Spiel. Nicht die Wissenschaftler sagen was läuft, sie geben nur Empfehlungen ab. An den Konferenzen wird dann gefeilscht, verhandelt, gekämpft und viel versprochen. Oder auch nicht. 2015 fand die vielleicht wichtigste Konferenz bisher in Paris statt. Da wurde das Pariser Abkommen verabschiedet. Und zwar von 197 Staaten, die sich gemeinsam zu einer drastischen Reduktion von ihrem CO2-Ausstoß verpflichtet haben. Es gibt keine höhere Instanz, die etwa das Nicht-Erreichen sanktionieren könnte, das Abkommen ist eine reine Selbstverpflichtung. Viele Staaten halten daher auch nicht wirklich diese Ziele ein. Außerdem sind die 1.5 Grad nur als “es wäre schön” festgelegt worden und eher schwammig formuliert worden mit “deutlich unter 2 Grad, am besten wären eher 1.5 Grad”. Um deutlich zu sein, bei 1,5 Grad ist nicht die Grenze, wo alles beim alten bleibt. Mit 1,5 Grad gibt es bereits viele und unumkehrbare Konsequenzen, die weitgehend schon im Gange sind: Wetterextreme, schmelzende Gletscher oder absterbende Korallenriffe. Alles bereits Realität, wir sind also bereits mittendrin in der Katastrophe. Die unfassbare Geschichte der Weltklimakonferenz kannst du hier lesen.
Und warum genau 1.5 Grad?
Die 1.5 Grad sind das, was wir gerade noch irgendwie verkraften können und auch halbwegs realistisch ist in einer sinnvollen Zeit noch zu erreichen. Erwärmt sich die Erde mehr als 1.5 Grad, dann werden die Schäden und Folgen immens sein. Wie erwähnt, halten sich aber wenige tatsächlich an die 1.5 Grad. Tatsächlich steuern wir im Moment auf ungefähr 2.7 Grad zu. Damit würden die sogenannten Kipppunkte womöglich schon bald erreicht. Kipppunkte sind Grenzen, ab welchen zusätzliches CO2 einen stark beschleunigenden Effekt haben würde. Wenn, wie bereits in einigen Regionen Realität, der Regenwald mehr CO2 abgibt als speichert, Permafrost auftaut und das darin gespeicherte Klimagas Methan, das 80 Mal schädlicher als CO2 ist, freigesetzt wird – dann kommen Prozesse in Gang, die womöglich unumkehrbar sind und sich selber antreiben. Dann hätten wir keine Chance mehr und die Menschheit würde in der jetzigen Form aufhören existieren zu können. Und es gibt eine ganze Liste solcher klimaaktiven Kipppunkte: Polkappen schmelzen, Meeresströmungen verändern sich deswegen, Moore trocknen aus und geben gespeichertes CO2 ab, Wälder können nicht mehr regenerieren und welches aufnehmen, Wüsten breiten sich aus, mit ähnlichen Effekten, Meeresspiegel steigt und bedeckt Landflächen, Meere übersäuern und können darum weniger CO2 speichern usw. Also eine gigantische Kettenreaktion, die einmal angestoßen nicht mehr gestoppt werden kann und dann zu einem unlöschbaren Feuer wird.
Was hat es sich mit dem Restbudget bzw. der verbliebenen Zeit auf sich?
Da Zeit mal Ausstoßmenge die effektive Erwärmung ergibt (natürlich mit ein paar Variablen mehr), kann man daraus auch ein Restbudget an CO2 errechnen. Oder eben auch die Restzeit, wenn man von einem weiteren Ausstoß wie bisher ausgeht. Genau die zeigt die Uhr im Klimablog an. Diese basiert wiederum auf der Uhr vom Mercator Institut, einem Joint-Venture von der Mercator-Stiftung und dem Klimaforschungsinstitut in Potsdam. Natürlich gibt es eine Vielzahl an solchen Zeitrechnungen, je nachdem, ob man die ganze Welt, einzelne Regionen oder nur Länder einbezieht. Errechnet man aber den Anteil jedes Landes an der Gesamtverantwortung mathematisch, erhält jedes Land quasi sein eigenes Budget an Rest-CO2 bzw. wie viel Zeit bis zu dessen Verbrauch noch übrig bleibt. Knapp 7 Jahre sind verdammt wenig. Würde man aber auch noch ethische oder politische Verantwortung dazunehmen, dann sähe es noch viel drastischer aus. Denn als Technologieführer, Hauptverursacher und weltweiter Kapitalaggregator haben westliche Staaten, besonders Industriestaaten wie Deutschland, wahrscheinlich weit mehr Verantwortung für die Zukunft dieser Welt, als nur ein für ein schnödes Restbudget.
(minimale Abweichungen zwischen den beiden Uhren ergeben sich durch technische Unterschiede
in der Programmierung im Hintergrund – aber sekundengenau ist die Wissenschaft sowieso nicht).
Zweifel und Unsicherheiten – haben wir überhaupt noch eine Chance?
Wichtig ist, dass die globale Temperatur natürlich je nach Wetter und menschliche Einflüsse schwanken kann. Viele Phänomene tragen zu diesen Schwankungen bei. Zum Beispiel die sich bewegende Neigung der Erdachse, Sonnenstürme etc. Das heißt, es kann wie befürchtet schon 2026 zu einem ersten Anstieg über die 1.5 Grad der globalen Durchschnittstemperatur im Vergleich zum Vorindustriezeitalter kommen. Allerdings muss dieser Wert nicht ab dann dauerhaft hoch bleiben, er kann auch in Zwischenjahren tiefer liegen. Das wird aber immer weniger der Fall sein, je wärmer es wird. Die schlechte Nachricht ist, vieles ist noch nicht bekannt oder verstanden. Es gibt auch Stimmen, die behaupten, dass die kritische Menge von 500 Milliarden Tonnen für eine 50-prozentige Chance, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, bereits aufgebraucht bzw. ausgestoßen worden seien. Der IPCC-Bericht aus dem Jahr 2018 hingegen kommt zum Schluss, dass die 1.5 Grad noch erreichbar seien, allerdings nur, wenn sofort und sehr, sehr drastisch gehandelt würde. Wenn man sich aber noch nicht mal zu einem Tempolimit durchringen kann, dann sieht es sehr schlecht aus. Die Politik verpasst jedes Jahr die selber gesetzten Pariser Ziele an CO2-Ausstoß. Da es sich dabei nicht um ein Jahresziel handelt, sondern ein absolutes, bleibt natürlich jeder Fehlbetrag aus dem Vorjahr fürs nächste bzw. alle künftigen zusätzlich übrig. Jede vergeudete Minute macht also in Zukunft alles noch viel schwieriger. Dieses törichte Zögern und fahrlässige Nicht-Handeln wurde kürzlich ja auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigt, welches ein Recht auf die Unversehrtheit in Sachen Klima von zukünftigen Generationen festgestellt hat. Diese Grundlage war und ist weltweit historisch und zeigt, in welche Richtung es gehen könnte. Menschen, Politik und vor allem die einen Generationen für die anderen müssen anfangen Verantwortung zu übernehmen. Notfalls eben gerichtlich verordnet.
Aber…!
Manche träumen davon, dass die Rechnung auch bald wieder ein Minus haben könnte, dann nämlich, wenn der Atmosphäre CO2 entzogen und wieder in den Boden zurückgespeichert würde. Aber weder die Technologie in diesem Maßstab noch die sichere Erprobung dieser um sich darauf verlasen zu können existieren. Und wenn wir den Vergleich zur auch einmal als Lösung für alles angepriesenen Atomtechnologie ziehen, dann erkennen wir, dass wir uns als Menschen regelmäßig grausam verschätzen. Dort ist nach wenigen Jahrzehnten der Nutzung das Problem offensichtlich und man beginnt sich davon wieder abzuwenden. Das zurückbleibende Müllproblem ist weltweit ungelöst und es kann nach jetzigem Stand weit bis ins nächste Jahrhundert hineindauern, bis wir uns einer halbwegs funktionierenden Lösung dafür annähern. So lange wird es mindestens dauern, Kraftwerke abzubauen, Endlager zu finden, diese zu bauen, zu befüllen und sicher zu verschließen. Selbst wenn es technischer schneller gehen könnte, ist es politisch nicht schneller möglich. Wie sollen wir also das CO2-Problem mit ungleich viel gigantischeren Ausmaßen in viel weniger Jahren funktionierend ohne Risiko für Probleme lösen? Auch dann, wenn das alles möglich wäre – wäre der Prozess einer Rückspeicherung so zeitintensiv, dass er nicht mehr rechtzeitig für die erwähnten Kipppunkte käme. Wir müssen also an der Ursache direkt ansetzen und nicht die Symptome bekämpfen. Mit Mitteln, die wir haben, und zwar jetzt sofort und nicht erst in einer mittelfristig entfernten Zukunft.
Fazit
1.5 Grad klingt so präzise und berechenbar. Ist es aber bei weitem nicht. Vieles ist unklar, aber wenn wir es nicht wenigstens versuchen, dann haben wir sowieso keine Chance. Nur schon um einen weltweiten Zusammenbruch der Gesellschaft nicht zu provozieren, wird niemand jetzt schon das Handtuch werfen, zuallerletzt der IPCC. Zwar begreifen mittlerweile praktisch alle, dass auch sie in einer globalisierten Welt zwangsweise betroffen sind. Direkt oder eben auch indirekt. 1.5 Grad wärmer bei einer globalen Durchschnittstemperatur von 14 Grad, ist eine gewaltige Erwärmung in der kurzen Zeit der Industrialisierung. Wir haben seit Al Gore’s Powerpoint-Vortrag viel Zeit vertrödelt und große Erdölkonzerne erschließen immer noch neue Reserven. Sekundäre Effekte wie die Kipppunkte könnte alles explodieren lassen. Wir täten also gut daran, alles für die 1,5 Grad zu unternehmen. Mehr als nur ein Tempolimit, mehr als nur Müll trennen. Viel mehr als alles bisher Geleistete. Keine Entscheidung kann zu radikal sein. Wenn Parteien tatsächlich in der letzten Bundestagswahl den Rentnern noch versprochen haben, dass noch nicht existierende Wundertechnologien uns schon noch rechtzeitig retten werden, dann stand das sehr symbolisch für die in dieser Zeit aufgewachsene Generation Wirtschaftswunder – und für die Überalterung unserer Gesellschaft. Hierzulande haben es Jüngere durch ein zahlenmäßig demokratisches Ungleichgewicht besonders schwer, die 1,5 Grad zu erreichen, bzw. abgesehen von Japan gibt es in keinem anderen Land auf der Welt weniger Prozente von Bürgern, die die vollen Folgen der Klimakatastrophe noch miterleben werden. Ein Ahrtal macht hingegen deutlich, dass aber auch der Rest durchaus doch noch zu Lebzeiten ganz persönlich betroffen sein könnte. Die Zeit ist mittlerweile so knapp, dass wir mit dem kochen müssen, was wir haben. Daten, Methoden und Technik von jetzt, hier und heute. Es ist möglich, aber nur mit radikalem Umdenken und viel Rücksicht auf die, welche zuerst und am meisten leiden werden.