Stell dir vor, es ist Klimakrise und keiner geht hin. Die Politik handelt zu langsam, das Pariser Abkommen wird verfehlt und der Film “Don’t look up” ist immer mehr Realität als Fiktion. Das ist die Welt, in der wir gerade leben. Wir spüren es, wir haben Angst, die Wissenschaft weiß schon viel, aber zu wenig Menschen verstehen die Lage. Wer sich mit dem Klima beschäftigt, der hat vielleicht schon verstanden. Aber für den Rest ist das Thema ist in Massenmedien unterrepräsentiert. Auch der öffentliche Rundfunk steht laut der Uni Hamburg trotz Bemühungen relativ bescheiden da. Zitat:
“Die analysierten Fernsehprogramme sind bislang noch weit davon entfernt, das Klima als ein wirkliches Top- und Querschnittthema ihrer Berichterstattung zu präsentieren … Der prozentuale Anteil der Sendeminuten zum Thema im Großteil des Programms – insbesondere der Unterhaltungsformate – ist im Vergleich zu Sendungen mit Politik- und Wissenschaftsbezug sehr gering.”
Inhaltsanalyse der „Tagesschau“ und des Gesamtprogramms von Das Erste, ZDF und WDR 2007 bis 2022
Zwar ist das Wissen um die Erwärmung unserer Atmosphäre schon mehr als ein halbes Jahrhundert alt. Doch gierige Menschen, Ölkonzerne und eine starke Lobby haben es zurückgehalten. Für viele war das höchste der Gefühle in Sachen Klima- und Umweltbildung, dass damals in der Schule über sauren Regen oder das Ozonloch gesprochen wurde. Und wie bildet man Generationen von Menschen in kurzer Zeit nach, wenn diese gar keine Schule mehr besuchen und in ihren digitalen Bubbles eingeschlossen sind oder sich in Nischenplattformen ablenken und immer unerreichbarer werden? Eine schwierige Aufgabe. Ein gutes und besonders haptisches Beispiel dafür findet sich in einem besonderen Wald, mitten in der Hauptstadt Berlin. Ein Spaziergang, der nachhaltig beeindruckt (unten erfährst du, wie du ihn auch virtuell machen kannst):
Der Grunewald
Um den Kontext besser zu verstehen, schauen wir uns zuerst kurz am Ort um, wo wir dieses besondere Bildungsangebot zum Thema Klima finden. Der Berliner Grunewald ist nicht nur ein Stadtteil für die Reichen, sondern auch der größte Stadtwald Deutschlands. Er ist die grüne Lunge, welche die Stadt im Sommer kühlt, saubere Luft herstellt und ein Berlin wie ein großer Schwamm mit Wasser versorgt. Sein ältester Baum ist über 400 Jahre alt. Heute ist er ein wichtiges Ausflugsziel und Stätte von Bildung, Erholung und Habitat für viele Tiere, wie zum Beispiel die berühmtem Wildschweine vom Teufelssee. Der Wald befindet sich im Westen der Stadt und erstreckt sich vom Siedlungsraum bis an die Havel. Er ist aber voller Wunden, die ihm die Menschen über die Zeit zugefügt haben. Die erste Autobahn der Welt, die AVUS, wurde mitten durch ihn hindurch geschlagen und teilt ihn heute in zwei Hälften. In ihm befinden sich die ehemalige Spionagestation auf dem Teufelsberg, der wiederum mit seinem Nachbar, dem Drachenberg, beides Trümmerberg ist und somit vollständig künstlich aus Bauschutt vom Krieg aufgeschüttet wurde. Da sind auch noch die Sandgrube mit ihrer einzigartigen Sanddüne, eine alte Funkstation, das letzten Sommer explodierte Lager für Weltkriegsbomben auf dem Sprengplatz und unter dem Wald befindet sich ein gigantischer Speicher für Erdgas, welcher nach kurzer Zeit der Nutzung durch eine außer Kontrolle geratenes Bohrloch tagelang brannte und den schwierigsten Feuerwehreinsatz der Berliner Geschichte auslöste. Der Speicher ist nicht etwa ein von Menschen gebauter Tank oder ähnliches, sondern das Gas wurde einfach durch ein gebohrtes Loch in die Tiefe in Schichten unter dem Grundwasser gepumpt. Mehrere Pumpstationen, verteilt im Wald und in Wohngebieten, waren Zugänge dazu. Er wird seit dem Desaster nicht mehr genutzt. Ein Mahnmal für die falsche fossile Politik und ihr grandioses Scheitern, welche Deutschland heute in eine schreckliche Krise und gestürzt hat, sowie dem unbändigen und naiven Technikglauben der Menschheit. Auch Privatschulen, ein Waldfriedhof, Kleingärten und andere Eingriffe sind in Wald zu finden.
Der Klimalehrpfad
Der Wald ist geprägt von uralten Eichen, welche noch aus einer Zeit stammen, in der Deutschland einst fast vollständig davon bedeckt war. Dann kamen die Menschen und holzten sie ab, darum sind es heute gerade noch 11,6 %. Auch der Klimawandel setzt dem Wald gehörig zu. Die älteste Eiche befindet sich bei der DRLG-Rettungstation am Havelufer beim sogenannten “Großen Fenster” und wurde bei einem der immer heftiger werdenden Sommerstürme im Jahr 2018 schwer beschädigt. Er hat Jahrhunderte den Elementen getrotzt und ist dabei noch nicht mal wirklich alt. Teile des Grunewalds bestehen heute aus den vor allem wirtschaftlich geprägten und im Vergleich sehr schnelllebigen Kiefer-Monokulturen. Also Industriewald. Der Grunewald erzählt die ganze Geschichte von Politik über Krieg bis hin zu Umweltsünden, Ausbeutung und Klimakatastrophe. Tatsächlich gibt es heut direkt am Teufelssee im ehemaligen Wasserwerk ein Umweltbildungszentrum, welches Schulklassen über den Wert und die wichtige Funktion des Waldes aufklärt, das sogenannte Ökowerk mit angegliedertem Café. Hier wird mitunter auch nackt gebadet und sich somit ganz ursprünglich mit der Natur verbunden. Der See ist aber nicht der einzige, es gibt noch zwei weitere – oder besser, es gab sie. Denn durch das intensive Abpumpen von Grundwasser während der Teilung der Stadt sank der Grundwasserspiegel und die wertvollen Moorseen am Pech- und Barrsee fielen trocken. Genau dort entlang führt seit 2017 der Klimalehrpfad. In diesem Jahr waren erstmals einige wenige Flächen im Grunewald klimagerecht umgebaut. Man erreicht ihn zwar auch von der Stadtseite aus über einen längeren Fußmarsch, doch Start und Ende des eigentlichen Rundweges befindet sich beim Grunewaldturm, dem historischen Aussichtsturm mit fantastischer Aussicht. Von hier aus kann man Militärflughäfen, Kohle- und Gaskraftwerke, den gigantischen Müllberg der zugeschütteten Deponie im Südwesten und den berühmten Betonbau der Wohnmaschine von Le Corbusier bestaunen. Oder eben eher die Bäume, wenn man (noch) keinen Sinn für diese Dinge hat. Gleich gegenüber vom Turm befindet sich die Bushaltestelle der Linie 218, welche wunderbar durch den Wald Spandau und Wannsee miteinander verbindet. Genau hier geht es los. Übrigens, auch eine Wanderung auf dem Havelhöhenweg lässt sich gut mit dem Lehrpfad verbinden. Leider hört man im Sommer den ganzen Tag den Lärm von Motorbooten, Jetskis, Partybooten und Yachten von Menschen, die “Freiheit” für sich eher pervers definiert haben. Sorry, aber der Seitenhieb konnte ich mir an der Stelle nicht verkneifen.
Der blaue Wald
Doch nun zum Lehrpfad. Dieser ist vier Kilometer lang, also auch gut mit Kind und Kegel zu bewältigen, denn gerade die sind mitunter Hauptzielgruppe. Elf Stationen mit Aussichtsplattformen, interaktiven Installationen und Schautafeln führen in das Thema Klima und Wald im Kontext zur Stadt ein. Es geht vor allem darum, wie der Wald leidet und durch seinen Anteil an Monokulturen nicht klimaresilient ist. Doch genau das soll sich ändern. Der Wald wird aktiv in einen klimaresistenten Mischwald umgebaut. Dafür sollen auch wieder mehr Eichen gepflanzt werden. Das soll ungefähr bis ins Jahr 2050 dauern. Bis dahin soll auch die Hälfte der anderen Berliner Wälder folgen. Eine riesige Aufgabe und ein Wettlauf gegen die Zeit. Auch die erwähnten Moore sollen gerettet werden, jedenfalls was von ihnen noch übrig ist. Dieser Umbau soll mehr Wasser speichern, besser kühlen, den Wald langlebiger machen und so mehr CO2 speichern. Schädlinge und die steigenden Temperaturen sollen dem Wald so weniger anhaben können. Den Mischwald gab es früher schonmal, vor dem Menschen. Es handelt sich also quasi um einen Rückbau. Übrigens, die älteste Eiche Berlins befindet sich nicht im Grunewald, sondern nördlich davon in Reinickendorf, sie wird “Dicke Marie” genannt und ist schätzungsweise 800-900 Jahre alt. Diese enormen Zeitdimensionen zeigen vielleicht auch, wie lange gesunder und klimabeständiger Wald zum Wachsen braucht. Den Mythos, Holz sei in jedem Fall nachhaltiger Baustoff oder gar CO2-neutrales Heizmaterial haben wir in den Beiträgen hier aufgeklärt:
Der Holzflughafen und ein Riss in der Matrix
Warum Pellets nicht die Lösung sind – ganz im Gegenteil
Man steigt auch auf einen Turm, um Bäume in der Höhe zu verstehen. An einer anderen Stelle sprechen die Bäume in einer Art Sketch miteinander, wenn man an einem Rad dreht, welches direkt die Energie dazu herstellt. Mitten drin befindet sich der blaue Wald, die vielleicht nachhaltig eindrucksvollste Stelle. Hier sind Baumstämme blau gestrichen, fast so weit das Auge reicht. All diese blauen Bäume zusammen sind notwendig, um das CO2 nur eines einzigen Menschen wieder zu binden, welcher dieser in einem Jahr ausstößt. Belustigung und Neugier wandeln sich beim Lesen der Informationen dazu in Betroffenheit, Bestürzung und einem beklemmenden Gefühl der Schuld. Zum Glück kann man an einem Abfüllautomaten frisches und kühles Quellwasser zapfen, um sich nach diesem Schock wieder zu erfrischen. Hier wird einem klar, was wir angerichtet haben und wie schwer die Zukunft werden wird.
Fazit
Der Klimalehrpfad war in seiner Form bei seiner Eröffnung eher einzigartig. Doch immer mehr solche Angebote sind bundesweit im Aufbau. Speziell Tourismusorte entdecken solche Installationen gerade für sich, da ihr Umgang mit der Natur immer öfters in einem kritischen Licht gesehen wird. Darum haben auch nicht alle solchen Klimainformationen die gleiche Qualität, manche rutschen geradezu ins Greenwashing der eigenen Fehltritte ab. Auch Firmen und öffentliche Unternehmen stellen oft ihre Sichtweisen einseitig dar und überhöhen angebliche Schutzmaßnahmen. Darum ist eine ehrliche und unabhängige Gestaltung solcher Bildungsangebote besonders wichtig. Wenn du Entscheider bist, oder auch nur ein Bürger, der so etwas auch in deiner Region ansiedeln will, dann ist es wichtig, von Anfang an Universitäten und Umweltverbände einzubinden, um die Qualität sicherzustellen. Waldlehrpfade sind nichts Neues und vor allem ein Kind der Umweltkrisen und Bewegung der Achtzigerjahre. Jetzt ist es dringend Zeit, niederschwellige, zugängliche und kostenlose Bildung an jeden Ort des Landes zu bringen. Solche Klimalehrpfade sollten überall entstehen. Sie können auch wirklich an fast jedem Ort eingerichtet werden, denn egal, ob Wald, Stadt, Park oder Industriebrache – überall sind die Folgen und Herausforderungen der Klimakatastrophe sichtbar, wenn man nur etwas genauer hinschaut. Meine Schule hat damals eine Waldprojektwoche veranstaltet – das war sehr wertvoll, denn je früher der Keim gesetzt und die Achtsamkeit geweckt wird, desto umsichtiger können neue Generationen mit dem schrecklichen Erbe des fossilen Zeitalters umgehen lernen. Projektwochen und Landschulheime sind perfekte Orte, um über die wichtigsten Herausforderung der Menschheit für Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte aufzuklären. Jeder darin investierte Euro kommt vielfach zurück. Schreibe deiner Stadtverwaltung, werde selber aktiv, bringe solche Ideen in Schulbeiräte, Politik und andere gesellschaftliche Scharniere ein. Der Bedarf ist gewaltig. Wie wichtig Klimabildung uns selbstwirksames Handeln sind, findest du hier. Wenn du in der Nähe von Berlin wohnst, dann besuche den Klimalehrpfad. Es lohnt sich in jeder Hinsicht.
Der Lehrpfad heißt offiziell “Wald. Berlin. Klima. – Die Ausstellung im Wald”. Du kommst entweder zu Fuß vom S-Bahnhof Grunewald in ca. einer Stunde Wanderung hin oder du fährst mit dem BVG-Bus die schöne Ausflugsstrecke direkt bis zur Haltestelle “Grunewaldturm”. Dort startet und endet der einfache Rundweg. Mit allen Stationen dauert dessen gemütliche Begehung 1-2 Stunden. Wichtig: Der Grundwaldturm befindet sich nicht beim Ökowerk, Teufelsberg und Teufelssee, sondern auf der anderen Seite des Waldes, der Wasserseite an der Havel. Wer nicht in der Nähe wohnt oder vorbeikommt, der kann den Lehrpfad quasi auch virtuell begehen:
Die Komoot-Route (alternativ in fast jeder anderen Karten-App zu finden) zeigt dir den Standort und erleichtert die Planung. Die App im App-Store und im Play-Store funktioniert vor Ort interaktiv und per QR-Code lassen sich alle Informationen so auch barrierefrei abrufen. Aber auch aus der Ferne sind damit alle Inhalte erhältlich.
Bonus: Diese fantastische ZDF-Doku besucht auch die uralten Eichen im Grunewald und erklärt neueste wissenschaftliche Forschungen rund um die Kommunikation der Bäume untereinander mit atemberaubend schönen Animationen. Sehenswert!