Dicke Luft und teure Folgen

98 % der Europäer leben in Gebieten, wo der Grenzwert der WHO für Luftqualität überschritten wird. Mindestens 240.000 Menschen sterben jährlich in der EU vorzeitig daran. Die Folgen sind aber noch weit komplexer. Ursachen und Lösungen einfach erklärt.

Die meisten Belastungen stammen dabei aus dem Verkehr und aus privaten Heizungen. Beide Ursachen sind auch Hauptursachen für die Klimakatastrophe. Zur gesundheitlichen Gefahr tragen nicht nur Stickoxide und die Bildung von Ozon bei, sondern vor allem auch Feinstaub. Dieser wird zudem auf den Straßen durch die Reifen wie in einer Mühle weiter zu noch gefährlicherem Ultrafeinstaub zermahlen. Er kann bis in die Zellen vordringen und wird mit Alzheimer und Krebs in Verbindung gebracht. Das Ganze ist ein viel, viel größeres Problem, als wir uns bisher vorgestellt haben. Die Wissenschaft ist sich absolut einig, aber die Politik kommt nicht ins Tun. Unter anderem, weil die relativ harten notwendigen Maßnahmen auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen nach sich ziehen. Aber konsequentes Handeln ist der einzige Weg aus der Massenvergiftung von uns allen. Genau wie beim Klima.

European Health Journal, European Society of Cardiology

Maßnahmen

Auf europäischer Ebene, also in Brüssel, will man auf diese erschreckenden Zahlen reagieren. Und zwar mit strengeren Grenzwerten. Umsetzen müssen das dann die jeweiligen Länder und dort die betroffenen Städte. Wie? Laut Umweltbundesamt indem entweder die Ursachen reduziert, also konkret Verkehr oder Abgasausstoß von Heizungen verringert oder entsprechende Filter eingebaut werden. Bei Industrieanlagen ist letzteres ja noch irgendwie möglich, bei Autos und Heizungen eher nicht. Feinstaub stammt bei Autos übrigens nicht hauptsächlich aus dem Auspuff, sondern vom Reifenabrieb. Also nur Dieselfahrzeuge einzuschränken, wird nicht genug nützen. Der gesamte individuelle Verkehr, auch der elektrische, muss drastisch reduziert und umgestellt werden. Das bedeutet eigentlich nur eines: konsequente Verkehrswende.

Busse, Bahnen und Fahrräder produzieren zwar auch Feinstaub, aber um Dimensionen viel weniger als wenn ein tonnenschweres Auto nur eine einzige Person befördert. Ein Beispiel, wie man vorgehen könnte, ist London – zwar nicht mehr in der EU, aber genauso betroffen. Dort wird die Umweltzone gerade stark vergrößert. Zudem sind dort die Grenzwerte viel strenger als in deutschen Umweltzonen. Wer ohne den Grenzwerten entsprechenden Motoren in die Zone einfährt, zahlt zusätzlich zur fälligen Citymaut im Zentrum nochmal knapp 15 Euro pro Tag. Das alles fördert den Nahverkehr, Investitionen in das Radwegenetz und den Umstieg auf Elektroantriebe. Man schafft klare Regeln, anstatt wie bei uns mit der Gießkanne Prämien an die zu verteilen, die es sich sowieso leisten könnten.

Vergrößerte Umweltzone in London. 15 Euro kostet die Einfahrt mit zu schmutzigen Autos, im roten Zentrum kommt die Citymaut noch dazu. Die Kontrolle geschieht automatisch per Kameras, Strafen können bis zu 2000 Pfund betragen.

Bei den Heizungen tritt ab 2024 das Gebäudeenergiegesetz in Kraft. Weil aber erst wirklich Handlungsdruck entsteht, wenn die Kommunen ihre Wärmeplanungen fertig erstellt haben, wird sich auch erst ab 2028 viel verändern. Es bleibt nur zu hoffen, dass schon vorher die Industrie ihre Produkte stark umzustellen beginnt und damit fossile Heizungen teurer werden. Dieser Effekt ist aber nicht gesetzlich geregelt. Noch werden 80 % der Wärme durch fossile Importe aus dem Ausland erzeugt. Private Heizungsbesitzer können in Kommunen ohne Wärmeplanung noch bis zu ebendieser abwarten, bevor sie handeln müssen. Danach ist der Einbau von mit mindestens zu 65 % mit Erneurbaren betriebenen Heizungen Pflicht, aber erst, wenn die alte Heizung nach spätestens 35 Jahren definitiv ausgetauscht werden muss. Das Ziel, so weit wie möglich nur noch erneuerbar zu heizen, wird also erst in Jahrzehnten erreicht. Wir müssen aber schon weit vorher bei Nettonull sein. Ob uns das in Deutschland beschlossenerweise bis 2045 gelingt, werden wir die nächsten 22 Jahre erleben.

Klima wie Gesundheit sind akut bedroht. Wir alle bezahlen nicht nur mit Geld, sondern mit unserem Leben und unseren Zukunftsperspektiven dafür, dass fossile Konzerne mit aller Macht die Politik beeinflussen.

Weitere Folgen

Noch sind die neuen EU-Regeln nicht beschlossen. Aber wenn sie, und das ist sehr wahrscheinlich, kommen – dann werden die Grenzwerte strenger. Wer sie nicht einhält, der wird dafür Strafe bezahlen müssen. Und das könnte für Deutschland teuer werden. Denn bisherige Bemühungen sind bei weitem nicht ausreichend. Das Gebäudenerergiegesetz wurde durch die FDP geschwächt, und Verkehrsminister Wissing muss sich nicht mehr an die Sektorenziele halten. Der Schaden ist also gesundheitlich, klimatisch und finanziell gigantisch. Beim letzten Punkt sind nicht nur die Folgekosten der ersten zwei Punkte, sondern auch bald die empfindlichen Strafzahlungen an die EU ein Faktor.

Was tun?

Einfache und günstige Mittel dagegen wären laut dem Direktor der Initiative für Stadtplanung, Umwelt und Gesundheit Mark Nieuwenhijsen gegenüber der Deutschen Welle massiv mehr Förderung von Radverkehr, da hier gleich mehrfacher Nutzen bei den Ursachen Folgen erzielt würde. Einerseits sinken die Emissionen und andererseits tun die Bürger mehr für ihre Gesundheit. Beides zu relativ moderaten Kosten. Aber auch komplexere Lösungen müssen politisch errungen werden. Teile der Ampel arbeiten gegen die eigene Koalition. Ausbaden müssen das die Bürger. Denn jede aufgeschobene Maßnahme wird in Zukunft mehr kosten – Menschenleben wie auch Geld. Explodierende Gesundheitskosten und die galoppierende Klimaerwärmung müssten eigentlich alleine schon mehr als nur genug Anreiz sein. Weil schon absehbar ist, dass die neuen Grenzwerte kaum einhaltbar sein werden, wenn wir so weitermachen, haben Umweltverbände bereits Klagen in Aussicht gestellt.

In urbanen Gebieten lässt sich die Verkehrswende vergleichsweise rasch umsetzen. Internationale Vorbilder gibt es dafür genug. Zum Beispiel Paris.

Was kann ich tun?

Beim Verkehr kannst du umsteigen, zum Beispiel aufs Fahrrad. Das tun gerade sehr viele Menschen. Und das wiederum führt zu besserer Infrastruktur, mehr Lobby und politischem Druck dafür. Der Autoverkehr ist in deutschen Städten gerade um fantastische 14 % gesunken. Das ist eine historische Zahl. Die Verkehrswende hat also schon längst begonnen. Wie du die meisten Klischees beim Radfahren überstehst und selber bequem zum Radfahrer werden kannst, erklärt der Klimablog hier. Im Kontrast dazu steht allerdings, dass die Anzahl Autos pro Einwohner immer noch steigt. Bei den Heizungen kannst du dich, sofern du Eigenheim besitzt, von starken Förderungen profitieren. Diese reichen von mindestens 30 % bis maximal 70 %. Informationen dazu erhält man zum Beispiel hier:

Bundesamt für Umwelt und Wirtschaft

Verbraucherzentrale

Lokale Landingpages – z.B. von CO2-online

Energieagenturen der Länder

Energieberater

Fazit

Du siehst also, Regulierung tut Not, der Markt regelt alleine nicht. Zum Beispiel baut die deutsche Autoindustrie als Reaktion auf die verpasste Elektrisierung als unternehmerische Notmaßnahme nur noch Luxusschlitten. Als Folge davon fehlen jetzt in Europa drastisch bezahlbare Elektroautos für weniger Begüterte. Das hat die Deutsche Umwelthilfe gerade an der IAA bemängelt. Auch der Kanzler ruft dort eher verhalten zu günstigeren Wagen auf, was bei seiner Richtlinienkompetenz irgendwie blasphemisch wirkt. In die Lücke springen gerade chinesische Hersteller. Der Markt regelt hier vor allem gegen Deutschland. Das Gute daran: teure Autos motivieren eher dazu, ganz darauf zu verzichten – allerdings erst, wenn Benziner ebenfalls teurer werden. Das ist spätestens ab 2027 der Fall, wenn der C02-Emissionshandel beim Energie- und Gebäudesektor einsetzen wird. Bei den Heizungen werden wir wiederum sehen, was dieser und das neue Gebäudeenergiegesetz bzw. dessen Umsetzung in Kombination bringen. Die neuen EU-Grenzwerte werden damit aber kaum rechtzeitig erreicht werden.

Ob Verkehr oder Wärme, wenn wir heute die falschen Anreize setzen und weiter trödeln, werden uns in ein paar Jahren die Alternativen fehlen und zusätzlich zu den Strafen wird der normale Marktpreis für diese beiden essenziellen Sektoren uns alle kalt erwischen. Jeder kann auch selber etwas tun, die volle Verantwortung kann man hingegen nicht auf den Bürger abschieben, das haben wir hier geklärt. Auch wenn wir bereits heute individuell handeln können, wird es hauptsächlich eine politische Aufgabe, Bürger vor Luftnot, Klimaarmagedon uns steigenden Preisen zu schützen, was aber gerade durch die fossile Lobby mehr als nur verwässert wird. Dagegen kannst du am 15.09 mit auf die Straße gehen oder dir auf weiteren Wegen demokratisch Gehör verschaffen, dazu gerne hier entlang.

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