Die Pflicht, es besser zu machen: Solar

Solarpflichten wohin man schaut. Klingt progressiv, aber ist es das auch? Wer sich welche Ziele gesetzt hat und wo die Stolpersteine sind - der Kontext zu den sonnigen Aussichten. In Deutschland und weltweit.

Eine der höchstgelegenen Solaranlagen Europas. Diese Fassade eines Restaurants in der Nähe des Matterhorns produziert auf 3800 Metern über Meer um den Faktor 4-5 mal mehr Strom als in tieferen Lagen und erhielt den europäischen Solarpreis.

Solarpflicht! Das fühlt sich so logisch und gut an. Ab jetzt das Richtige tun und für alle gleichlange Spieße per Gesetz festlegen. Zudem sind davon, im Vergleich zu Windrädern, scheinbar nur die Investoren und Häuschen bauende Familien selber betroffen. Viele Politiker merken langsam, dass sie kaum mehr um Klimaschutz herumkommen, wenn ihnen die Wähler gewogen bleiben sollen. In der Energiekrise sind solche Pflichten nun schnell beschlossen, machen keinen Lärm und brauchen keinen zusätzlichen Platz. Doch ist nicht alles Gold, was siliziumblau glänzt. Wir schauen genauer hin, vergleichen weltweite Modelle sowie die deutschen Bundesländer miteinander. Auch über die Vor- und Nachteile müssen wir reden. Sonnenbrille auf und los geht’s:

Kalifornien

Der Sonnenstaat an der Westküste der USA geht progressiv voran. Das tut er auch im Kampf gegen Ölkonzerne, Wasserverschwendung und neuerdings eben auch in Sachen Solar. Seit 1. Januar 2020 müssen alle Neubauten eine Fotovoltaikanlage entweder auf dem Dach oder an der Fassade haben. Gleichzeitig, und das macht extrem Sinn, gelten auch höhere energetische Standards für diese Gebäude, also z.B. bei der Isolation. Das ganze soll auch zum Ziel beitragen, bis 2030 die Hälfte der Energie für ganz Kalifornien aus Erneuerbaren zu gewinnen. Speicher sind dabei noch nicht Pflicht, aber die Regierung geht davon aus, dass viele solche in Betracht ziehen. Ab 2023 werden die Regeln nochmal verschärft, dann sollen neue öffentliche Gebäude wie Schulen oder auch Hotels zwingend Speicher einbauen müssen. In etwa sollte die jeweilige Solaranlage 60 % des Strombedarfes eines Gebäudes decken können. Dazu gibt es ein attraktives Gegenstück zu unserer Einspeisevergütung, die Einspeisung und Verbrauch aus dem Netz gleich miteinander verrechnet. Kalifornien ist zumindest bei einer solchen Pflicht weltweiter Vorreiter. Durch die bereits sehr sicht- und spürbaren Klimafolgen wie anhaltende Dürren, Waldbrände oder jetzt plötzliche Fluten ist die Region ganz besonders betroffen und daher sensibilisierter als andere weiter im Landesinneren.

Solaranlagen auf Dächern im Tulare County in Kalifornien.

Österreich

Solarpflichten sind aber gar nicht so neu. In Österreich, besser Wien, gibt es so eine seit 2014 für Gewerbebauten. Im Alpenland ist es aber eher ein föderalistischer Wettbewerb, der auf Länderebene stattfindet. Tirol verliert ihn gnadenlos und die Solarpflicht der Steiermark geht am weitesten. Dort sollen auf alle Neubauten und sogar alle umfassend sanierten Häuser Solaranlagen für die Warmwasser- oder Stromgewinnung. Wo dabei das “oder” genau Sinn macht, erschließt sich weniger. In der Hauptstadt wiederum kommt auch eine solche Pflicht nun bald für alle, allerdings sollen da Ein- oder Zweifamilienhäuschen ausgenommen werden. In Niederösterreich redet man erst über eine Pflicht, welche die Grünen dort ins Spiel gebracht haben. Die konservative Regierung Österreichs hinkt den progressiv regierten Regionen hinterher, die Revolution kommt von unten und aus der Stadt.

Schweiz

Auch die Schweiz ist quasi ein Inbegriff für den kleinteiligen Föderalismus. Lange wehrte man sich hier schön satt gefressen gegen mehr Erneuerbare. Windturbinen waren noch schlimmer verschrien als in Bayern. Man konnte ja auf den hohen Anteil von Wasserkraft (68 % am Gesamtstrommix) verweisen und Atomkraft erledigte den Rest. Irgendwann in den Nullerjahren kippte der Energieverbrauch und man importierte mehr, als man selber verbrauchte. Abhängigkeiten wuchsen und dann kam die Energiekrise, welche man selber durch den Streit über die bilateralen Verträge mit der EU brandbeschleunigt hatte. Dem Land fehlt ein Stromabkommen mit der EU und es musste bitter auf Betteltour gehen, denn scheinbar plötzlich bemerkte man, dass die eigenen Atommeiler als älteste der Welt marode sind und genau wie die nach dem letzten Hitzesommer halbleeren Stauseen gar nicht gut mit der neuen Klimarealität klarkommen. Absolute Panik brach aus, neben vielen und extrem teuren und sehr fossilen Notmaßnahmen, rief man eine beispiellose Solaroffensive aus. Der hochgehaltene Alpenschutz wurde aufgeweicht und für das kleine Land gigantische Solarprojekte ploppen im Wochenrhythmus auf. Es wird von einer wahren Goldgräberstimmung gesprochen. Diese Offensive ist übrigens ein veritables Gesetz, welches seit letztem Herbst in Kraft ist und nun unter anderem eine Solarpflicht für Neubauten vorschreibt. Das alles in einer Geschwindigkeit, die das direktdemokratische Land so noch nicht kannte. Interessanterweise nimmt die Schweiz großspurig den Titel der weltweit ersten Solarpflicht für sich in Anspruch, obwohl dem – siehe oben – nicht so ist. Die Pflicht gilt außerdem nur für Neubauten ab 300 Quadratmeter Gebäudefläche. Der Bund wiederum hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 alle geeigneten eigenen Flächen wie Lärmschutzwände, Fassaden oder Dächer mit Solaranlagen auszustatten.

Frankreich

Frankreich geht in der Hinsicht einen ähnlichen Weg, denn hier ist das Problem noch dringender als in der Schweiz. Beide Länder haben ihre Hausaufgaben mehr als nur überhaupt nicht gemacht. Die Franzosen setzten in Vergangenheit jahrzehntelang alles auf die eine Karte Atomenergie. Auf Gedeih und vor allem ziemlich viel Verderb. Das rächt sich jetzt extrem bitter – für halb Europa, denn auch Deutschland sitzt mit im gemeinsamen Stromboot. Die Hälfte der AKW ist außer Betrieb, weil defekt. Das bedingt, dass man in ganz anderen Kategorien denkt. Darum sollen so schnell wie auch nur irgend möglich Flächen für Solaranlagen genutzt werden. Nach der Gelbwestenerfahrung geht man hier dafür den typisch zentralistischen Weg. Anstatt sich mit Bürgerprotesten bei Einfamilienhäuschen und der Immobilienlobby anzulegen, nutzt man den Weg des geringsten Widerstandes. Erster Schritt ist eine Pflicht, alle Parkplätze mit mehr als achtzig Stellplätzen mit Solaranlagen auszurüsten. Die Frist ist kurz, ab 2023 bleiben den Besitzern dafür nur gerade fünf Jahre. Das soll ein Äquivalent an Energie von ganzen zehn Atomkraftwerken bringen. Erstes prominentes Beispiel ist übrigens das Disneyland Resort in Paris, welches seine Parkplätze begonnen hat zu überdachen. Wer zuerst handelt, kriegt noch vernünftige Preise, denn Monteure und Material werden jetzt sehr gefragt sein. Auch Flächen der staatlichen Eisenbahn SNCF sollen zeitnah genutzt werden. La Grande Nation zäumt das Pferd frontal auf und klotzt, anstatt zu kleckern.

Überdachte Parkplätze beim Disneyland Paris. Abgesehen von Stromproduktion bieten die Dächer mit einer Art Anpassung ans immer wärmer werdende Klima einen mehrfachen Nutzen. Wer noch etwas weiter denkt, erkennt das künftige Potenzial, einst direkt vor Ort produzierten Strom tanken zu können.

Und wir?

In Deutschland scheint es – ähnlich wie Österreich – auf kleinteilige Bürokratie herauszulaufen. Oder auf maximale Kompliziertheit. Jedes Bundesland beschließt andere und teils gegensätzliche Vorgaben. In BW gilt für Neubauten bei Wohn- und Industriegebäuden eine Solarpflicht, in Bremen und Berlin hingegen für Wohngebäude, in Bayern wiederum nur für Industrie- und Gewerbebauten, aber noch länger nicht für Wohnbauten. In NRW sind es wiederum die öffentlichen Gebäude wie Schulen und Schwimmbäder, aber eben nicht Wohn- oder Gewerbebauten. Mancherorts gelten die Pflichten nur für Neubauten, also einen verschwindend kleinen Teil von Gebäuden, anderswo durchaus auch bei Sanierungen. In SH kommen Parkplätze ab 100 Stellplätzen dazu. In Sachsen redet man erstmal nur noch ein bisschen weiter davon. Ergo: populistisch wird gerade nach Gusto und Stimmung das gemacht, was machbar ist oder was gerade den lokalen Koalitionen gemeinsam gefällt. Das ist wenig koordiniert. Aber aus Corona haben wir gelernt, dass nationale Einigkeit genauso schwierig ist. Und besser als die USA mit nur wenigen Vorzeigeregionen sind wir darin trotzdem. Aber das wendet sich gerade. Bei Wind ziehen uns diese nämlich gnadenlos davon. Während wir über Bazooka fabulieren und in alles andere ganze Wummse investieren, haben die USA den Multimilliardenkoffer für grüne Energie auf den Tisch gehauen und Europa wie Deutschland geraten gerade vielleicht nicht mehr einholbar ins Hintertreffen.

Zurück zu uns, auf Bundesseite wiederum geht durchregieren nur mit komplizierten Gesetzen wie bei der Windkraft, die Vorgaben bei den Zielen machen, aber Spielraum für die Umsetzung lassen. Was der Bund aber kann und muss, ist Rahmenbedingungen schaffen. In den Niederlanden, Dänemark oder Schweden wird wie in Kalifornien die Einspeisung einfach mit dem Verbrauch verrechnet, technisch gibt es gar die Lösung, dass einfach der Zähler rückwärts läuft. Das funktioniert bereits weltweit in über 50 Ländern so. In Deutschland unmöglich und extrem kompliziert. Auch wenn uns die Digitalisierung fehlt, manche Dinge ließen sich auch einfach vereinfachen. Habeck sagte jüngst bei Lanz, dass das nun komme und auch mit analogen Zählern funktioniert. Die Klimajugend hat schon recht: Wir müssen uns entscheiden, ob wir nach vorne flüchten oder uns weiter die Katastrophe bis zur tatsächlich eintreffenden Deindustrialisierung und Wohlstandsverlust zerreden und gegenseitig blockieren. Bayern schaut zum Beispiel gerade recht blöd aus der Wäsche, weil die EU Druck macht, Deutschland in Stromzonen einzuteilen, damit der europäische Strompreis nicht durch faule deutsche Bundesländer verzerrt wird. Jetzt zahlt Bayern halt teuer für den Populismus der CSU, Firmen werden sich den Standort dreimal überlegen. Bayrische Unternehmen und deutsches Kapital investierten derweil und deswegen längst im Ausland in Erneuerbare und nicht zu Hause. Nur ein bisschen das Klima retten geht nicht, denn Wirtschaft wie Zukunft hängen daran. All in or nothing. Lokal zerfledderte Solarpflichten lösen das Problem weder von oben herab noch mit der Fördergießkanne (bei der war Bayern ja dann doch ganz vorne mit dabei), dazu braucht es mehr. Sie müssen einheitlich und in eine nationale Strategie eingebettet sein. Denn das Rennen zu Nettonull ist ein globales, da ist nicht das Nachbarbundesland die Konkurrenz, sondern die ganze Welt.

Vor- und Nachteile

Die Krux mit der Pflicht ist, dass sie zwar für alle fair die gleichen Bedingungen bietet und konsequent klingt. Aber sie hat auch Nachteile. Denn wenn alle zwingend müssen, werden sich viele die günstigst möglichen Anlagen aufs Dach pappen. Und das sind nicht immer die effizientesten und garantiert solche ohne Speichersysteme. Genau das könnte sich aber schon bald rächen. Denn Nachrüsten ist teuer und kompliziert. Was mal gebaut ist, droht jahrzehntelang genau so zu bleiben. Andersherum kann man aber argumentieren, dass – wie in Kalifornien – eine schrittweise Anpassung der Regeln an die extrem voranschreitende Technik nötig sein wird und bis dahin jede zugebaute Fläche hilft. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren – aber ob wir durch Zögern und richtig machen oder durch Loslegen und Kollateralschäden in Kauf nehmen besser fahren, wird sich erst hinterher zeigen. Und genau dieses Hinterher ist das Ziel, bzw. dass es überhaupt noch ein solches gibt. Das vielleicht meistgehörte Argument der Kosten ist aber das kleinste, denn erstens amortisieren sich die Mehrkosten rasch durch Energieeinsparung oder je nachdem sogar Einspeisung, und zweitens sind die Mehrkosten mittlerweile relativ gering. Um wieder Kalifornien als ähnliche Wirtschaftsmacht wie Deutschland als Vergleich zu nehmen: ein durchschnittliches Haus kostet dort mittlerweile 550’000 Dollar (ok, etwas verzerrt durch Tech-Millionäre im Silikon-Valley) und eine Solaranlage nur gerade 9500 Dollar. Also quasi kaum spürbar. Und wer sich heute Häuser leisten kann oder damit nachhaltig geschäften will, der kann und muss sich auch das bisschen Zukunft leisten. Wer sich um die Ästhetik sorgt: heutige Solarzellen können unsichtbar in Fassaden und sogar Terrakottaziegel eingebaut werden. Dann liegen die Mehrkosten bei bis zu 4 %, mit herkömmlichen Modulen geht’s aber auch massiv günstiger. Und Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Sichtbare Hoffnung hat in diesen Zeiten durchaus auch seinen Wert. Was wir übrigens sehr gut machen, ist die Einbeziehung des gesamten Gebäudebestandes und nicht nur der Neubauten, dieser Hebel ist nämlich ungleich größer. Bald sollen 65 % der Heizleistung aus Erneuerbaren kommen und fossile Energieträger dafür wegfallen. Solche Regeln führen dann zu einer Art indirekten Solarpflicht, die enorme Wirkung entfalten kann und auch die betroffenen Branchen viel umfassender beeinflussen bzw. transformieren wird und Solaranlagen bei Neubauten noch günstiger macht.

Anlage der Berliner Stadtwerke – der Name ist irreführend, denn diese Stadtwerke kümmern sich hier nicht um Busse, Müll oder Abwasser, sondern ausschließlich um grüne Stromproduktion in der Hauptstadt als forcierte Strategie des Landes. Selbst in die Hand nehmen, investieren und perspektivisch profitieren heißt die Devise.

Fazit

Die Marktsituation verändert sich gerade laufend. Zum Beispiel durch das baldige Verbot von Gas- und Ölheizungen. Auch bei den Holzheizungen tut Regulierung dringend Not. So ist eine genaue Vorhersage der Dynamik schwierig. Und genau dann ist der pragmatische Ansatz wahrscheinlich der bessere. Doch Deutschland verheddert sich gerade wie immer in der eigenen Kultur der Bräsigkeit und Regionalitäten. Ein Flickenteppich entsteht, der schon bald zu einer Art Kleinkrieg um Fachkräfte oder Industrieansiedlung (man denke an die geplanten Stromzonen) ausarten könnte. Wettbewerb ist es aber auch nicht wirklich, wenn eben jeder sein eigenes Süppchen kocht und dabei nicht alle dasselbe Wasser dafür verwenden, z.B. durch regionale Eingriffe mit Förderungen. Technischer Game Changer könnte die Technologie der flexiblen und hauchdünnen Solarzellen werden, denn da ist Deutschland führend – ganz im Gegensatz zu herkömmlichen Solarzellen. Dieser Kelch wurde von gelb-schwarz vor einem Jahrzehnt ohne Not einfach weggeschüttet. Das rächt sich nun zusätzlich, denn alle Pflichten nützen nichts, wenn die Lieferketten stocken und die halbe Welt einander die blauen Wunder wegkauft. Hach, hätten wir doch jetzt nur ein Solar-Valley.

Erfolgreich sind auch Modelle mit gut gemachten Anreizen, wie z.B. Australien, das sich über Förderungen quasi unbemerkt zum Solarweltmeister pro Kopf hochgearbeitet hat. Allerdings müssen die Finanzierungen da ohne Zeiträume mit stetigen Quellen funktionieren, damit nicht wie in der Schweiz oder auch bei uns die Töpfe jeweils weit vor dem Bedarf schön früh im Jahr austrocknen und Projekte auf Wartelisten landen. Sich auf größere Flächen wie Autobahnen, Bahnhöfe und Gleisanlagen, Parkplätze, Logistikzentren oder dem gigantischen Bereich der Agrivoltaic zu konzentrieren, könnte zudem mehr bringen und rascher gehen als mit den vergleichsweise wenigen Neubauten pro Jahr. Am besten ist alles zusammen. Das bedeutet jedoch mehr staatliches und gemeinsames Handeln. Dies müssen wir nach den Ausflügen in den Neoliberalismus in den letzten Jahrzehnten nun wieder lernen. Wir verlieren gerade viel zu viel Zeit dafür, mit einer FDP genau darüber zu streiten. Wie man eine breite demokratische Abstützung für sowas erreicht, haben wir übrigens kürzlich bei der Passivhauspflicht in Schottland genauer beleuchtet. The future is bright – aber nur, wenn es sie überhaupt noch geben wird.

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