Wir müssen reden – über das Kanzler-Interview!

Bräsigkeit und träge Konfliktscheu sind kein Zukunftsplan. Zeitenwende muss man machen, nicht aussitzen. LNG-Terminals kann man tatsächlich schnell bauen - Nachhaltigkeit fordert aber mehr. Ein Kommentar.

Credits: “Olaf Scholz” by boellstiftung is licensed under CC BY-SA 2.0.

Ein Interview sezieren ist ja nicht so die Leistung. Aber da der Kanzler äußerst selten überhaupt zu seinem Volke spricht, muss man halt die raren Gelegenheiten nutzen. Der Kanzler hat mit der Taz gesprochen: das Interview. Was hier folgt, ist ein einordnender Kommentar dazu. Die Meinung dazu musst du dir selber bilden. Aber einige Aussagen des Kanzlers haben es ganz schön in sich.

Das Interview ist irgendwo zwischen einlullen, schönreden und nicht ganz so elegant umschifftem Glatteis einzuordnen. Also Scholz, wie wir ihn kennen. Könnte man unkommentiert lassen. Aber da sind dann doch ein paar Punkte dabei, die haarsträubend sind – so souverän es sich wohl für gewisse Semester lesen mag. Denn für die verkündet der Kanzler weiter, dass wir für das Klima auch weiterhin auf gar nichts verzichten werden müssen. Die mögen das glauben, Jüngeren ist aber klar, dass das nicht nachhaltig ist und nicht aufgehen wird. Sie haben Angst vor dieser Denkweise. Wahrscheinlich denkt er dabei wirklich vor allem an seine Generation – also die Mehrheit an der Urne – welche nicht anders bei seiner Zukunftsvision mitmachen würde. Er verkennt dabei, dass das jetzt schon großen Verzicht für vor allem jüngeren Generationen bedeutet. Aus Bequemlichkeit dem verzogenen Kinder keine Grenzen setzen, rächt sich meistens bitter. Für Eltern wie Kinder. Aber jetzt sind die Rollen zwischen Eltern und Kindern vertauscht. Und letztere kleben sich deswegen bereits auf Straßen, wo sie angehupt, bepöbelt, nicht ernst genommen und belächelt werden. So weit sind wir schon. Wer ist hier nochmal die – zugespitzt – verwöhnte Göre? Dieter oder Justin?

Es geht nur zusammen über Generationen hinweg, das haben wir hier kürzlich besprochen. Aber dafür muss sich jetzt schleunigst auch etwas bewegen. Dies zu moderieren, ist die Richtlinienkompetenz von Scholz. Es gilt, die Zukunft und die Welt zu retten, nicht nur die eigene Wirtschaft. Und wer denkt, die Wirtschaft sei das Land und seine Gesellschaft, der hat nichts verstanden. Es ist von sagenhafter Gleichgültigkeit und unglaublich neben der Spur seiner Rolle, wenn der Kanzler der eigenen Jugend rät, doch besser gefälligst Proteste für mehr Windräder zu organisieren, weil er selber diesen Schlüsseljob nicht hinbekommt. Oder wenigstens den, die Notwendigkeit dazu den Eltern zu erklären. Sein Minister Habeck macht beim Wind zwar einen guten Job, aber der kann das nicht alleine wuppen. Es braucht eine gemeinsame öffentliche Motivation. Etwas, an das wir alle glauben können und uns in diese schwierige Zukunft trägt. Aufklärung anstatt Beschwichtigung.

Warum der jetzige Plan kein Plan ist? Wasserstoff lässt sich ja (teuer) importieren, Hauptsache keine unbequemen Einschnitte oder zu viele Windräder oder Solarpaneele in der eigenen Sichtweite. Aber eigentlich ist es einfach nur die Proklamation von einem wortwörtlich neuen Platz an der Sonne und nichts anderes als ein zweiter Kolonialismus mit Energie aus Afrika. Zwei Drittel des Wasserstoffes auch langfristig einfach kaufen – egal von wem und mit welchen Risiken, Hauptsache nix an sich selber ändern? Giffey mit Bullerbü und Wissing mit Arbeitsverweigerung durchkommen lassen? Klar werden da unten diesmal keine Rohstoffe, sondern vermeintlich nur die Sonne ausgebeutet – aber die Umweltwirkungen der Anlagen und was das mit der dortigen Gesellschaft, ja dem ganzen Kontinent macht, können wir nicht absehen, Lieferkettengesetz und hiesige Arbeitsbedingungen hin oder her.

Also eigentlich schon. Es ist irgendwie blasphemisch, wenn Baerbock sich bemüht, die Beninbronzen (Nigeria) persönlich zurückzugeben, wir aber gleichzeitig gigantische neue Disruptionen mit Energieverträgen für den Kontinent (Namibia) im Gepäck dabei haben. Die Idee, deutscher Energiehunger würde Frieden, Umweltbewusstsein oder funktionierende Demokratie bringen, ist seltsam. Das hat noch nirgendwo funktioniert. Und mitten in einer der größten Abhängigkeitskrise, welche in Krieg, Armut, Angst und Mangel endete, schafft der stoische Regent nun ernsthaft einfach neue? Man könnte auch einen Umbau der Wirtschaft in andere Branchen – z.B. Erneuerbare – anstreben, anstatt weiterhin auf Auto, Chemie und Maschinenbau zu setzen. Das würde auch die Dringlichkeit beantworten, dass uns China in all diesen Bereichen gerade den Rang abläuft. Stattdessen bot man diesem obendrauf auch noch den Hamburger Hafen feil. Man könnte sich (wirklich) anpassen und eben Verkehr reduzieren, Erneuerbare in einem nie gekannten, alle Generationen mobilisierenden Masterplan zubauen und die deutsche Industrie zum weltweiten One-Stop-Shop für Nettonull machen, mit der Wertschöpfung im Inland. Oder durchaus wenigstens über Verzicht unnötigen Konsums nachdenken. Aber derlei vor allem initial unbequeme Vorschläge sitzt man lieber genauso wie unbequeme Fragen zur Vergangenheit einfach aus. Wenn es bei der Vorgängerin funktioniert hat, dann machen wir auf ganz gut deutsch doch weiter so. Die CDU-Politik hat jedoch unter anderem dazu geführt, dass die deutsche Industrie und das hiesige Kapital nun einfach im Ausland anderen helfen, sich zu dekarbonisieren und sogar unsere eigene Produktion zu konkurrieren – siehe hier in Schweden. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn es nicht uns selber ins Hintertreffen bzw. Hinterherhinken bringen würde, weil wir bei uns damit nicht vorankommen.

Skulptur von Ludmila Seefried-Matejkowa vor verfallender, mit Asbest belasteter Berliner Schule. Wir diskutieren über Silvester, aber fragen uns nicht, was wir der Jugend gerade für eine Welt und Zukunft zumuten.

Wie man es besser machen könnte? Dieses Beispiel in Schottland zeigt, wie man Demokratie beschleunigt und Bürger beteiligt. Ansonsten: Übergewinne abschöpfen, Arme entlasten und Reiche zur Kasse bitten. Sprich: Umverteilung. Das fordert gerade die Organisation Oxfam. Kein Weg führe daran vorbei. Und zwar drastisch: Weltweit hungern 828 Millionen Menschen, in der Krise explodieren die Vermögen der Reichen und gleichzeitig wächst die Armut wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Auch, weil Länder wie wir der Restwelt die ganze Energie wegkaufen und die Preise dafür nach oben jagen, anstatt selber welche zu produzieren. Eine Vermögenssteuer von zwei Prozent für Millionäre und drei Prozent für Multimillionäre ab 50 Millionen sowie fünf Prozent für Milliardäre, würde ganze zwei Milliarden Menschen aus der Armut befreien und den Welthunger beenden. Zudem könnten damit die laut Agora 2,4 Billionen für Klimaschäden im globalen Süden finanziert werden. Für die Betroffenen Superreichen sind die paar Prozente wirklich nicht die Welt – aber für 99 % der Welt eben schon. Bei der globalen Mindeststeuer von 15 % für Unternehmen hat man gezeigt, dass man der Steuerflucht gemeinsam Herr werden kann. Und andere Gründe dagegen gibt es kaum. Außer man hat ein Lobbyproblem und die FDP am Rockzipfel.

Also wie man es dreht und wendet. Energieprobleme exportieren ist die unfeine Art sich möglichst Konfliktfrei aus der Affäre ziehen zu wollen. Und reinigende Konflikte würden uns innenpolitisch ganz gut tun, denn weiter wie bisher geht es sowieso nicht. Wir verbrauchen bei uns gerade drei Planeten, sind historisch bei 1 % Weltbevölkerung für 5 % CO2 und jährlich(!) 150 Milliarden an Klimaschäden verantwortlich und ein bisschen Verzicht lässt sich der empfindlichen Generation Wirtschaftsboom auf keinen Fall verkaufen? Lieber eine Hypothek auf die Zukunft der Generation aufnehmen, die schon die ganze kaputte Infrastruktur, den Pillenknick in der Altersversorgung, das marode Gesundheitssystem und die Klimakatastrophe vererbt bekommt?

Mit Verlaub, aber das ist Öl in ein Feuer, das bereits lichterloh brennt. Es ist reaktionär und nicht visionär. Es ist beschämend. Mutig sein, Ansagen machen und langfristig denken. Und nicht nur bis zum nächsten LNG-Terminal. Der Kontrast zwischen Bilder aus Lützerath und Lubmin hätte nicht größer sein können. Das Klima macht keine Kompromisse – das muss jetzt halt Scholz als erster Kanzler den Wählern erklären. Und zwar allen und ein für alle Mal. Die wahre Zeitenwende ist nicht ein neuer kalter Krieg, sondern der planetare Notfall. Und der scheint im Moment vor allem in einer deutschen Notaufnahmen zu sitzen: unterbesetzt, überlastet, zu lange Wartezeiten. Der Patient stirbt gerade. 84 % der Deutschen sind der Meinung, dass die Regierung viel zu langsam handelt. 81 % meinen, dass wir auf eine globale Katastrophe zusteuern. Auch die Wissenschaft denkt so, wie dieser offene Brief aus der Antarktis beweist.

Wer sich übrigens am Schluss bei der Auswahl von Scholz’ aktueller Lektüre freute, dass er wohl mittlerweile sowas wie ein Kommunikationstraining bekommt, der sollte nochmal den Abschnitt mit der offen zur Schau getragenen Autoverliebtheit Revue passieren lassen. Zum Fremdschämen befremdlich. Groß als selbsternannter Klimakanzler von Klima reden, aber kein Sinn für Vorbildfunktion haben und zäh an einem “weiter so” festhalten. Aus “Ok, Boomer” wird da immer mehr “Cringe, Herr Kanzler!“ Das kann auch Kim de l’Horizon nicht mehr richten.

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